Vorsichtsmaßnahmen bei Erdbeben

Sibylle Steimen: Sibylle Steimen: Ein Erdbeben der Stärke 5,8 wurde am 29. Mai in dem Gebiet nördlich von Modena registriert. Kurz zuvor, am 20. Mai, war dieselbe Region ebenfalls von einem Erdbeben betroffen, damals mit der Stärke 6,1. In der Folge kam es zu zahlreichen Nachbeben mit einer Stärke von bis zu 5,1. Am 22. Mai wurde die Gegend um Bulgariens Hauptstadt Sofia mit einer Stärke von 5,8 erschüttert, ebenfalls gefolgt von einigen Nachbeben.

Alle diese Ereignisse gehen auf Bewegungen der Erdkruste zurück. Die entsprechenden Bewegungen der Platten führen zu Reibungen an den Plattenrändern und Auffaltungen innerhalb der Platten sowie gelegentlich auch zu plötzlichen Bewegungen - das sind dann die Erdbeben.

Wo ist mit den nächsten Erdbeben zu rechnen?

Steimen: Erdbeben kann man nicht genau vorhersagen. Natürlich gibt es Gebiete, in denen sie wahrscheinlicher sind als andernorts. Aber selbst an Standorten weit entfernt von tektonischen Platten können Erdbeben auftreten. Die Landstriche, in denen sie jetzt in Italien verzeichnet wurden, weisen nämlich nur ein "mäßiges" Erdbebenrisiko auf. Ein Beben vergleichbarer Intensität geschah dort vor etwa 700 Jahren. Was wir derzeit in Norditalien beobachten ist - so wird befürchtet - Teil einer ganzen Serie von Erdstößen: Ereignisse mit sehr ähnlichem Ausmaß und Bebenmechanismus - darunter versteht man die Art und Weise, wie sich die Erde während des Bebens bewegt. Im Laufe der nächsten Wochen oder Monate könnte es zu weiteren Erdstößen der Stärke 4 bis 5 kommen.

Warum verursacht ein Erdbeben ähnlicher Stärke so unterschiedlich große Schäden?

Steimen: Stärke ist ein Faktor, aber es spielen auch viele andere Faktoren eine Rolle, z. B.: In welcher Tiefe fand das Erdbebenstatt? Ein Beben in geringer Tiefe richtet mehr Schaden an als ein Beben, das sehr weit unten entsteht. Andererseits verursacht auch ein Beben an der Oberfläche keine großen Zerstörungen, wenn es sich in einer dünn besiedelten Gegend mit wenig Infrastruktur abspielt, z.B. in einer Steppe. Die Erdstöße in Modena am 20. Mai lagen mit ca. 5 Kilometern unter der Oberfläche in geringer Tiefe, was zu erheblichen Schäden führte.

In Italien sind beträchtliche Schäden an Gebäuden aufgetreten, die zum Weltkulturerbe zählen. Wie erklärt sich das?

Steimen: In Italien sind diese historischen Bauten normalerweise aus Mauerwerk oder Bruchstein. Solche Konstruktionen geben nicht nach und absorbieren die vom Erdbeben freigesetzte Energie auch nicht, sind aber häufig spröde und Erdstößen gegenüber äußerst anfällig. Moderne Baugesetze, wie es sie seit Jahren auch in Italien gibt, sorgen dafür, dass die Gebäude die erzeugte Erschütterungsenergie ableiten können, indem sie bis zu einem gewissen Grad nachgeben. Solche erdbebensicheren Gebäude sind so konstruiert, dass sie bei Erdbeben bis zu einer bestimmten maximalen Stärke nicht einstürzen.

Allerdings können sie trotzdem stark beschädigt werden und müssen dann eventuell abgerissen werden. Somit tragen moderne Bauauflagen zwar dazu bei, Leben zu retten, jedoch nicht zwangsläufig auch finanziellen Schaden abzuwenden. In jedem Fall ist die Anwendung von Bauvorschriften ausgesprochen wichtig. Außerdem führen Vorschädigungen in Gegenden, die von einer Erdbebenserie heimgesucht werden, zu einer Schwächung der Bausubstanz, so dass ein weiterer Erdstoß den Schaden noch erheblich vergrößern kann.

Leider gab es auch einige Todesopfer. Wie sieht das Ausmaß der Schäden insgesamt aus?

Steimen: Wie immer braucht die Einschätzung der Schäden einige Zeit, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese Regionen häufig eine gewisse Zeit seismisch bleiben - wie z.B. in Modena. Abgesehen von Schäden an Wohnungen und Häusern wird auch das private und wirtschaftliche Leben in Mitleidenschaft gezogen. In Fabriken oder Betrieben kommt es zu Verspätungen bei Produktion oder Lieferung. Es ist wichtig, dass jeder vernünftige Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf seine Person, seine Gebäude und sein Unternehmen ergreift. Die Regierung trifft bestimmte Vorkehrungen, aber auch die Versicherungen leisten mit pro-aktivem Risikomanagement Unterstützung und helfen den Menschen und der Wirtschaft, sobald wie möglich wieder zur "Normalität" zurück zu kehren. 

Sibylle Steimen, Seismologin und Leiterin der Abteilung Risk Management der Allianz Re

 
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen, der Ihnen hier zur Verfügung gestellt wird.
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Christiane Merkel

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