Karić: "Deutschland braucht eine heimische islamische Kultur"

Der bosnische Professor stammt aus einer Kultur, in der Muslime, Juden und Christen traditionell in guter Nachbarschaft zusammenleben. Das friedliche Nebeneinander verschiedener Religionen ist für den Hochschullehrer für Koran-Studien aus Sarajevo trotz der Erfahrungen aus dem Balkankonflikt gelebter Alltag. Deshalb macht sich Enes Karić auch in Deutschland für eine heimische islamische Kultur stark. Als Optimist, Forscher und ehemaliger Politiker sieht er religiöse und kulturelle Vielfalt vor allem als große Bereicherung, von der alle profitieren sollten.

Professor Enes Karić 

Karić: Als ich die Einladung erhielt dachte ich, wie müde jeder ist, etwas über Islam, Terrorismus und Fundamentalismus zu hören – und sah es als meine Aufgabe, die Bedeutung des Korans, unsere Kultur und Religion, wie wir in Bosnien sie tagtäglich praktizieren, zu vermitteln. Ich präsentierte meine Idee der Ludwig-Maximilians-Universität – und sie gefiel den Verantwortlichen.

Karić: In Bosnien haben wir eine Mischung aus europäischer und islamischer Kultur. Das Ottomanische Reich brach zusammen, aber der Islam blieb.

Karić: Wir haben 17 Prozent Katholiken, 44 Prozent Muslime und 33 Prozent Orthodoxe – die restlichen Prozent verteilen sich auf andere Religionsgruppen wie Juden und Protestanten.

Karić: Wir hatten in Bosnien über Jahrhunderte hinweg sehr lange Friedensperioden. Es gab keine Trennung zwischen den verschiedenen Religionen – nur Frieden und gute Nachbarschaft.  Bosnien war in erster Linie immer eine Gesellschaft – eine Bürgerschaft, in welcher die Menschen sich nahestanden.

Karić: Ich ziehe immer meine Tätigkeit als Universitätsprofessor vor. Damals sah ich es als meine Pflicht für mein Heimatland, eine politische Funktion zu übernehmen. Seit 1996 bekleide ich kein politisches Amt mehr.

Karić: Nach 1945, in den ersten harten Jahren unter dem kommunistischen Sowjet-Regime, wurden unzählige religiöse Leute verhaftet, für 10 Jahre. Unter Tito verbesserte sich die Situation für die Religionen etwas. 1977 wurde die erste Fakultät für Islamische Kultur eröffnet.

Für viele Jahrzehnte in diesem Jahrhundert ging es den bosnischen Muslimen um das pure Überleben. Aber wir sind Optimisten. Wir haben kein Interesse an einem Kalifen oder ottomanischen Herrscher – wir wollen nur das Leben.

Karić: Ich möchte die Universität hier von innen kennenlernen. Aber ich möchte auch erfahren, wie Muslime hier leben. Ich habe bereits eine türkische und eine bosnische Moschee besucht. Ich denke, Deutschland braucht eine heimische islamische Kultur - auch zum Beispiel langfristig eine lokale islamische Universität. Wir brauchen mehr Integrationsprojekte – nach dem Prinzip ich gebe Dir etwas und Du gibst mir etwas.

Mein Ziel, oder besser meine Aufgabe, sehe ich darin, zu helfen, den Islam ein kleines Stück besser zu verstehen.

Karić: Ich möchte darüber erzählen, was vom Islam nach all den Stürmen auf dem Balkan lebendig geblieben ist. Was sind die Gründe für das Überleben von Kultur, Religion und Zivilisation? Ich möchte die Werte des Islam präsentieren.


Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen, der Ihnen hier zur Verfügung gestellt wird.
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