Wirtschaftliche Folgen des Erdbebens

Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Erdbebens und des Atomunglücks in Japan lassen sich derzeit nur in Szenarien darstellen, je nachdem, in welchem Umfang es zu einer Ausbreitung der nuklearen Strahlung kommt. Nach den jüngsten Informationen ist eine großräumige Verstrahlung mit einer Bedrohung für die Menschen in Japan zur Erschütterung der Weltöffentlichkeit wahrscheinlicher geworden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind von der Intensität dieser nuklearen Belastung abhängig.

Bei einigermaßen begrenztem Austritt von Radioaktivität und keiner Kontamination der Ballungsräume werden auch die Produktionsausfälle vornehmlich in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten im Nordosten Japans beschränkt bleiben. Auf die drei bis vier am stärksten betroffenen Präfekturen entfallen 4 Prozent bis 6 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung Japans. Erschwerend kommt allerdings die Rationierung der Stromversorgung und die Beschädigung von Transportwegen hinzu, die auch in anderen Regionen negativ auf die Produktion wirken werden.

Den unvermeidbaren Unterbrechungen der Wirtschaftsaktivität direkt nach einer Naturkatastrophe steht normalerweise auf längere Sicht eine zusätzliche Nachfrage im Zuge der Wiederherstellung zerstörten volkswirtschaftlichen Anlagevermögens gegenüber. In der zweiten Jahreshälfte dürfte die Konjunktur in diesem Szenario durch den Wiederaufbau, der sich über mehrere Jahre erstrecken wird, spürbare Impulse erhalten. Die Höhe der zusätzlichen Nachfrage lässt sich durch den Verlust an Sachvermögen abschätzen. Als Referenzfall wird derzeit das Erdbeben in Kobe im Jahr 1995 herangezogen, da es die bisher kostenträchtigste Naturkatastrophe mit einem Verlust an (Netto-)Kapitalstock in einer Größenordnung von rund 10 Billionen Yen (gut 2 Prozent des damaligen BIP) darstellt. Angaben zu den 1995 durch Naturkatastrophen verursachten Schäden an Wohnhäusern zeigen, dass seinerzeit rund 20 Prozent der Häuser vollständig zerstört wurden. Einiges spricht dafür, dass die Intensität der Zerstörung dieses Mal größer ist, so dass die gesamten Kosten des Wiederaufbaus entsprechend höher zu veranschlagen sind (erste Schätzungen lauten auf 3 Prozent des BIP), obwohl die Produktion und das Anlagevermögen in den betroffenen Präfekturen geringer sein dürfte als in der vor 16 Jahren betroffenen Region rund um Kobe.

Ein großer Teil der Wiederaufbaukosten wird vermutlich auf den Staat entfallen. Diese können nur zu einem kleinen Teil aus laufenden Budgetmitteln für Krisenfälle und durch Rückgriff auf die Rücklagen im so genannten "Earthquake Reinsurance Special Account" bestritten werden. Verbleibende Versicherungsansprüche der privaten Haushalte im Rahmen der Erdbebenversicherung, aber auch der Wiederaufbau der öffentlichen Infrastruktur werden einen Nachtragshaushalt erforderlich machen. Japan wird die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte verschieben müssen, aber das ist derzeit ein zweitrangiges Problem.

Michael Heise: "Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind von der Intensität der nuklearen Belastung abhängig"

Bei zunehmender regionaler Verbreitung der Radioaktivität wären weitreichende Schutzmaßnahmen auch für die Bevölkerung in Ballungsräumen notwendig. Die Unsicherheit über den Verlauf dieser Strahlenbelastungen ist groß, nicht zuletzt weil sie von den meteorologischen Bedingungen abhängig ist. Im Falle einer unkontrollierbaren Kernschmelze in mehreren Reaktoren wäre eine weitgehende Kontamination des Bodens, der Luft und des Wassers mit radioaktiven Partikeln zu erwarten. Die Regionen um die Kernkraftwerke wären für geraume Zeit nicht nutzbar, und das öffentliche und wirtschaftliche Leben in der Metropolregion um Tokio könnte in Abhängigkeit von Luftströmungen möglicherweise tage- oder wochenlang still stehen.

In diesem Fall wären nachhaltige wirtschaftliche Probleme in Japan zu erwarten und für 2011 käme es zu einem deutlichen Minus bei der gesamtwirtschaftlichen Produktion. Große Teile der landesweiten Produktion kämen zum Erliegen. Die Unternehmen hätten entsprechende Umsatzeinbrüche zu verkraften. Der Export würde nachhaltig geschwächt, Wettbewerber auf den Weltmärkten würden japanische Marktanteile übernehmen. Der Verlust an volkswirtschaftlichem Vermögen wäre ausgeprägter, da selbst nur teilweise beschädigte Anlagen längere Zeit nicht genutzt werden könnten. Ein solches Szenario wäre geprägt von fortgesetzten Stabilisierungsbemühungen der Notenbank und finanzieller Hilfe des Staates für die Unternehmen und deren Arbeitnehmer. Die Staatsverschuldung würde sich erheblich ausweiten.

Ein solches Szenario würde vor allem die japanische Volkswirtschaft selbst schädigen, über verschiedene Kanäle aber auch auf die Weltwirtschaft übergreifen. Die Gefahr eines längeren Produktionsstillstandes würde die Finanzmärkte erheblich verunsichern, weitere Verluste insbesondere an den japanischen Börsen wären wahrscheinlich. Aufgrund des Konjunktureinbruchs wäre nicht damit zu rechnen, dass die Kapitalmarktzinsen ansteigen, auch wenn sich der japanische Staat weiter verschuldet. Die Zinsen auf Dollar oder Euroanleihen könnten aufgrund der allgemeinen Verunsicherung und Risikoaversion leicht zurückgehen Angesichts der hohen Arbeitsteilung zwischen den asiatischen Volkswirtschaften wären auch internationale Produktionsketten zumindest vorübergehend gestört. Bei länger andauernden Lieferproblemen Japans würden Wettbewerber an den Weltmärkten ihre Anteile zu Lasten japanischer Konkurrenten ausbauen können. Letztlich ist zu bedenken, dass es in vielen Ländern zu einem Umdenken in der Energiepolitik kommen könnte. Eine Umrüstung der Energieversorgung würde Teile des Kapitalstocks obsolet werden lassen und Kosten verursachen. Nicht auszuschließen wäre auch, dass Öl- und Gaspreise nur sehr kurzfristig zurückgehen und bald wieder in einem Aufwärtstrend einmünden, da diese Rohstoffe in der Energiegewinnung eine (wieder) bedeutendere Rolle einnehmen werden.

Viele Analysten haben in den zurückliegenden Monaten ihre Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft deutlich nach oben revidiert. Diese Prognosen könnten jetzt wieder gekürzt werden. Die Ereignisse in Japan kommen zu einer Reihe jüngst negativer Faktoren hinzu: der Schub beim Ölpreis, die Sorgen über Spannungen in Nordafrika und im Nahen Osten, Inflation in den Emerging Markets (insbesondere in China) und wieder erhöhte Sorgen über die Bewältigung der Schuldenkrise im Euroraum, obwohl letztere nach dem jüngsten Gipfeltreffen wieder nachgelassen haben. Dies sind unseres Erachtens gute Gründe für eine nicht allzu überschwängliche Einschätzung der globalen Wachstumsperspektiven 2011. Im Jahresdurchschnitt rechnen wir mit einem Wachstum von 3,4 Prozent, nach 4,0 Prozent im vergangenen Jahr. Sollte es in Japan infolge einer starken Verbreitung von Radioaktivität zu einer ausgeprägten Rezession kommen, würde das Wachstum niedriger ausfallen. Es erscheint aber nicht wahrscheinlich, dass sie eine globale Rezession auslösen würde. Dazu käme es, wenn Öl- und Gaspreise z.B. im Zuge ausgedehnter politischer Spannungen in Nordafrika und im Nahen Osten massiv anstiegen.

 
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