"Langandauernde Nachbeben"

Markus Treml: Das Beben war mit einer Magnitude von 9.0 das stärkste jemals in Japan aufgezeichnete und das viert- oder fünftstärkste jemals gemessene auf der Welt. Die Tatsache, dass das Epizentrum 130 km vor der Küste lag, hat die Auswirkungen des Bebens im Innern des Landes zwar gemildert, aber gleichzeitig zu dem Tsunami geführt, der verheerende Schäden angerichtet und viele Todesopfer gefordert hat.

Japan liegt in einem Gebiet mit hohem Erdbebenrisiko. Es kommt dort häufig zu Erdstößen, die jedoch meist weit schwächer sind und kaum Schäden verursachen. Der nördliche Teil der Insel Honshu, der jetzt betroffen war, hatte allerdings eine für japanische Verhältnisse geringe Erdbebengefährdung.

Was genau ist passiert, und konnte man damit nicht rechnen? 

Treml: Von den Auswirkungen her waren japanische Erdbeben oft große Katastrophen - neben den üblichen Erschütterungen häufig begleitet von Tsunamis und großen Feuern. Japan hat durchaus mit einem schweren Erdbeben, was Tokio trifft, gerechnet. Allerdings südwestlich von der Zone, die jetzt gebrochen ist, nämlich im Nankai-Trog. Dort taucht die Philippinische Platte ab - man spricht hier von "Subduktion" -, während dort, wo sich das jetzige Beben ereignet hat, die Pazifische Platte "subduziert" wird.

Zwar gab es sehr hohe Wahrscheinlichkeiten, dass einzelne Segmente der Pazifischen Platte sich in einem Erdbeben bewegen könnten, dass aber der ganze Bereich östlich des nördlichen Honshu bricht, damit hat man wohl nicht gerechnet.

Wenn so große Bereiche einer Platte in einem Erdbeben unter eine andere abtauchen, dann sind das die stärksten Beben, die wir weltweit beobachten. Die Platten haben sich hier über 17 m gegeneinander bewegt, der Bereich in dem mehr als 10 m Bewegung stattfand, war etwa 300 km breit, da werden ungeheure Energien frei.

Auch in Tokio hat das Beben heftige Erschütterungen hervorgerufen. Trotzdem sind die Schäden dort bei weitem nicht so verheerend wie im Nordosten des Landes. Wie kommt das?

Treml: Tokio liegt 375 km vom Epizentrum entfernt. Das heißt zwar bei einem Erdbeben dieser Magnitude nicht viel, weil das Epizentrum nur der Ort des Beginns des Bebens ist. Die wirkliche Bruchfläche ist bei einem solchen Beben sehr, sehr groß. Dennoch hat sich der Hauptteil des Erdbebenbruches mehr als 200 km von Tokio entfernt abgespielt, etwa auf Höhe der Stadt Sendai. Dort waren daher die Schäden – auch durch den Tsunami – wesentlich schlimmer.

Dass Tokio trotzdem noch getroffen wurde - es wurden ja schwere Brände gemeldet - liegt auch am relativ ungünstigen Untergrund in der Region. Der kann die Erdbebenwellen deutlich verstärken.

Besteht Ihrer Einschätzung nach die Möglichkeit weiterer schwerer Erdstöße in der Region?

Treml: Ein Erdbeben dieser Magnitude zieht eine langandauernde Nachbebentätigkeit mit sich. Die Nachbeben können zum Teil signifikante Stärke aufweisen, auch nach längerer Zeit noch, wie das jüngste Beispiel in Christchurch im Dezember gezeigt hat. Weiterhin lagern sich aufgrund des Bebens jetzt die Spannungen in der tektonischen Region um. Im ungünstigsten Fall könnte das ein weiteres Erdbeben in einer Nachbar-Erdbebenzone verursachen. Allerdings ist es fraglich, ob die Wahrscheinlichkeit dafür bedeutend höher ist, als sie ohnehin vorher schon war.

Wie ist die Allianz als Versicherungsunternehmen auf eine derartige Naturkatastrophe vorbereitet? Welche konkreten Maßnahmen haben Sie und Ihr Team in den vergangenen Tagen ergriffen?

Treml: Wir verwenden Erdbebenrisikomodelle, um die Wahrscheinlichkeit für Schäden, die wir versichern, auszurechnen. Das passiert regelmäßig und darauf basiert auch unser eigenes Risikomanagement. Nach einem Erdbeben ist unsere Aufgabe, die betroffenen Versicherungsdeckungen zu identifizieren und deren Daten aufzubereiten für eine eigene Schadenschätzung. Die Grundlage hierzu sind wieder die Modelle, allerdings müssen Tsunami und Feuer gemäß der wirklich aufgetreten Ausprägung getrennt untersucht werden.

Markus Treml, Experte für Erdbebenrisiken bei der Allianz Rückversicherung

 
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