Schwaches Wachstum in Europa: Bedrohung für die Weltwirtschaft

Im dritten Quartal verzeichnete die Eurozone ein etwas stärkeres Wachstum als erwartet - und schon sind die Politiker versucht, den Aufschwung zu beschwören. Diesem Impuls sollten sie sich jedoch nicht hingeben, sondern stattdessen wesentlich mehr unternehmen, um die Wachstumsmotoren der Eurozone neu zu gestalten und ihnen mehr Kraft zu verleihen.

 

Wenn überhaupt, dann bestätigt die von Eurostat veröffentlichte Wachstumsrate von 0,2 Prozent lediglich, dass Europa mit einem deutlichen Wachstumsdefizit gekämpft hat, momentan kämpft und weiterhin kämpfen wird. Europa läuft nach wie vor Gefahr, ein ganzes Jahrzehnt zu verlieren, doch das Wachstumsdefizit sollte auch über Europas Grenzen hinaus Besorgnis erregen und anderen Ländern bewusst machen, welchen Gegenwinden die Weltwirtschaft insgesamt ausgesetzt ist. Denn wenn einzelne Länder sich gezwungen sehen, eine protektionistische Wirtschaftspolitik zu verfolgen, droht der Weltwirtschaft möglicherweise eine ungeordnete Deglobalisierung.

 

Sieben Gründe sprechen für diese Entwicklung:

 

  1. Die Bruttoinlandsproduktzahlen von heute zeigen deutlich, dass die Wachstumsmotoren Europas ins Stottern geraten sind. Und diesmal sind die Schuldigen nicht die kleineren Länder der Peripherie. Stattdessen verzeichnen diese, relativ gesehen, das stärkste Wachstum in der Eurozone. So schaffte Griechenland mit einem Wachstum von 0,7 Prozent den Sprung aus der Rezession und Spanien verzeichnete stolze 0,5 Prozent. Dagegen schwächeln die "drei Großen" - Frankreich, Deutschland und Italien. Deren Wachstum liegt insgesamt lediglich bei knapp über Null.
  2. Europa kämpft nicht nur gegen zyklische Wachstumshemmnisse an, wie u.a. die Folgen der Sparpolitik, sondern läuft Gefahr in eine Phase abzurutschen, in dem sich unzulängliches Wachstum und Preisdeflation gegenseitig verstärken. Unter dieser katastrophalen Wechselwirkung leidet Japan bereits seit 20 Jahren und hat große Schwierigkeiten, einen konjunkturellen Durchbruch zu erzielen.
  3. Angesichts der Abhängigkeit Europas vom Handel und der Risiken, mit denen sich einige europäische Bankenkonfrontiert sehen , verschlimmern die geopolitischen Spannungen mit Russland die Wachstumsrisiken des Kontinents zusätzlich. Europa sucht verzweifelt Abnehmer für seine Produkte, doch der Export leidet unter der implodierenden Konjunktur und der wachsenden Gefahr einer Finanzkrise in Russland. Da es ihnen bisher nicht gelungen ist, Präsident Vladimir Putin von seiner Interventionspolitik in der Ostukraine abzubringen, stehen die Europäer zunehmend unter Druck, ihre Sanktionen zu verschärfen (diese sind aktuell ihr einziges Handlungsinstrument). Dadurch riskieren sie aber auch Gegensanktionen, welche die Länder Europas erneut in die Rezession stürzen könnten.
  4. Europas Wachstumsdefizit wirkt sich auch auf das künftige soziale und politische Wohlergehen aus. Der Kontinent braucht nachhaltig hohes und inklusives Wachstum, um die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Da es in mehreren Ländern bereits erschreckend viele Langzeitarbeitslose gibt und die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen extrem hoch ist, schwindet die Hoffnung auf Erholung immer mehr. Es besteht das Risiko, dass sich die Probleme in der wirtschaftlichen Struktur verankern und wir nicht nur ein Jahrzehnt, sondern gleich eine ganze Generation verlieren.
  5. Obwohl sie aufgrund der Umstände nur unvollkommene Instrumente zur Verfügung hat, ist die Europäische Zentralbank die einzige Institution, die etwas bewirken kann. Doch die  Maßnahmen, welche die EZB als Lösung anbietet, sind zwangsläufig zu parteiisch und werden wahrscheinlich nicht effektiv sein, wenn es darum geht, echtes Wachstum zu generieren. EZB Präsident Mario Draghi hat bereits auf ersteres Bezug genommen, zuletzt in Rom, wo er anmerkte, dass die Regierungen der Eurozone insbesondere auf der "Angebots- und Nachfrageseite ihrer Politik" Fortschritte machen müssten. All dies ist Teil einer größeren Herausforderung, nämlich der Unterstützung der europäischen Währungsunion und der Herbeiführung einer echten Bankenunion sowie die effektivere Koordination der Fiskalpolitik der Länder und die bessere Integration ihrer politischen Institutionen.
  6. Je weniger Erfolg Europa bei der Entwicklung neuer Wachstumsmotoren hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass man in Europa versucht, sich das Wachstum der anderen anzueignen. Darin ist Europa nicht allein. Japan hat seine Währung bewusst geschwächt, um seine Exporte attraktiver zu machen und Marktanteile von anderen zu gewinnen. Genau dasselbe versucht Europa jetzt auch. Geht jedoch eine solche Strategie nicht mit schrittweisem globalen Wachstum einher, so führt sie zu einem Nullsummenspiel, das die internationale politische Koordinierung behindert, das Risiko finanzieller Instabilität birgt und exzessiven wirtschaftlichen Nationalismus schürt.
  7. Die Wachstumsmotoren der Welt sind nicht stark genug, um den europäischen Karren mit einem quasi-permanentem Wachstumsdefizit mitzuziehen. Besonders angesichts der Konjunkturabschwächung in den Schwellenländern besteht die Gefahr, dass Europa die robusteren Länder mit sich in den Graben ziehen könnte (insbesondere die USA, auf die der Rest der Welt als globalen Wachstumstreiber hofft).

 

Letzten Freitag fielen die Wachstumszahlen zwar etwas besser aus als erwartet, aber sie sind immer noch zu niedrig. Die Frage ist, ob das steigende Wachstumsdefizit Politiker - in Europa und darüber hinaus - endlich dazu bringen wird, entschlossen und mutig das zu tun, was die Situation erfordert.

 

 

Von Mohamed A.El-Erian, im Original erschienen auf Bloomberg view am 14.11.2014. Abdruck mit Einverständnis. Die Meinungen im Artikel entsprechen denen des Autors.

Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser der Allianz
Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser der Allianz

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Petra Brandes
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