"In einem sich wandelnden Klima wird die Rolle der Versicherung eine viel größere Rolle spielen"

Sibylle Steimen: Für mich bedeutet das, dass ich lernen muss, zumindest teilweise mit den neuen physischen Risiken umzugehen, die durch den Klimawandel entstehen. Lassen Sie mich ein praktisches Beispiel nennen: Während ich heute vielleicht alle 20 Jahre ein bestimmtes Hochwasser erlebe, muss ich in Zukunft vielleicht alle 10 Jahre mit demselben Hochwasser rechnen. Wenn ich nicht jedes Jahrzehnt mit der gleichen Art von Schäden konfrontiert werden will, muss ich einige Gegenmaßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass das Wasser mein Grundstück überflutet. 

Nicola Ranger: Ich würde sagen, im Kern geht es bei der Klimaresilienz um die Verringerung der Auswirkungen klimabedingter Ereignisse, seien es kurzfristige Ereignisse wie Überschwemmungen, Dürren und Waldbrände, aber auch die langfristigen Trends, z. B. die Veränderungen in den Mustern der Nahrungsmittelproduktion auf der ganzen Welt, die wir im Zuge des Klimawandels erwarten. Bei der Klimaresilienz geht es im Wesentlichen darum, diese Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Menschen und die Wirtschaft zu verringern. 

Sibylle Steimen, Managing Director Advisory & Services, Allianz Re
Sibylle Steimen
Nicola Ranger, Leader, Resilience and International Development Program at the Environmental Change Institute; and Executive Director for Oxford Martin Systemic Resilience Program
Nicola Ranger

Nicola Ranger: Daten sind der Schlüssel zum Aufbau einer klimaresistenten Zukunft, und (Rück-)Versicherer können mit ihrem fundierten Wissen über Risiken, auch in Bezug auf das Klimarisiko, so viel bieten. Die Versicherungsbranche hat bereits viel getan, aber ich denke, sie kann noch deutlich mehr tun. Ich leite eine Initiative mit dem Namen Global Resilience Index Initiative, die im Grunde genommen Versicherungswissen nutzt und offene Klimarisikodaten bereitstellt. Das ist eine großartige Initiative, aber sie muss noch viel größer werden. Das ist ein Schlüsselbereich, in dem mehr getan werden kann. 

Auch die Versicherer können viel tun, um die Anpassung an den Klimawandel in ihrem Underwriting zu fördern. Sie können mehr tun, als eine risikoadäquate Preisgestaltung zu gewährleisten, indem sie zum Beispiel mehr Anreize für ihre Kunden schaffen, sich anzupassen, zum Beispiel mit "Build back better"-Initiativen.

Schließlich haben die Versicherer als große Vermögenseigentümer einen großen Einfluss auf die Investitionen. Die Versicherungsbranche kann Investitionen in widerstandsfähige Infrastrukturen beschleunigen, indem sie ihre eigenen Anlageportfolios anpasst.

Sibylle Steimen: Ich stimme Nicola zu: Wir als Versicherer müssen viel mehr tun, um unseren Kunden einerseits zu helfen, die veränderten Risiken zu verstehen, und sie andererseits auch zu beraten, wie sie ihr Eigentum und sich selbst am besten schützen können. 

Nicola Ranger: Eine davon wäre der Umgang mit Risikodaten. Wenn wir die Probleme im Zusammenhang mit der gemeinsamen Nutzung von Daten einfach überwinden könnten, wäre das eine große Veränderung. Es gibt so viele großartige Informationen, die derzeit hinter Schloss und Riegel aufbewahrt werden und für die Menschen, die sie brauchen, einfach nicht zugänglich sind. Das wäre also eine Sache: Wege zu finden, um diese Daten besser zugänglich zu machen, damit jeder davon profitieren kann und gleiche Voraussetzungen für das Verständnis von Risiken geschaffen werden. 

Der nächste Punkt auf meiner Wunschliste ist, dass Anpassung und Resilienz einen höheren Stellenwert auf der öffentlichen Agenda erhalten. Das Hauptaugenmerk liegt derzeit auf der dringenden Notwendigkeit, die Emissionen zu reduzieren, um bis 2050 netto null zu erreichen. Das mag vor zwei Jahrzehnten der richtige Ansatz gewesen sein, aber wir leben heute in einer Welt, in der wir bereits erhebliche Auswirkungen des Klimawandels spüren. Die Bemühungen in der Anpassung an die neuen Bedingungen müssen Schritt halten mit den Anstrengungen, Emissionen zu reduzieren. Ich glaube, einer der Gründe, warum über Anpassung und Widerstandsfähigkeit nicht so viel gesprochen wird, ist, dass viele Menschen denken, dass Anpassung langfristig, sehr kompliziert und teuer ist und dass wir die Vorlaufkosten überwinden müssen. Ich finde das sehr frustrierend, denn eigentlich ist es gar nicht so teuer und die Risiken sind bereits vorhanden. 

Sibylle Steimen: Meiner Meinung nach gibt es auch einen psychologischen Grund dafür, dass der Fokus des öffentlichen Diskurses mehr auf der Reduzierung von Emissionen und weniger auf der Finanzierung und Ermöglichung von Anpassungsmaßnahmen liegt. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen glauben, dass das Erreichen von Netto-Null irgendwie auf magische Weise die Zeit zurückdrehen wird und wir die physischen Auswirkungen des Klimawandels ganz aufhalten können. Wenn man sich jedoch auf die Anpassung konzentriert, akzeptiert man bereits die Tatsache, dass sich die Welt aufgrund unseres wärmeren Klimas verändert hat, und den Menschen fällt es schwer, sich darauf einzulassen. 

Das Problem ist jedoch, dass wir, selbst wenn wir auf dem richtigen Weg wären, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, d. h. die Emissionen so zu reduzieren, dass wir die globale Erwärmung auf 1,5 bis 2 Grad begrenzen können, Anpassungen benötigen um mit den Veränderungen einer wärmeren Welt umzugehen. Die Stresstests, die uns zeigen was die kommenden Jahrzehnte bringen können, machen es deutlich: Wir können nicht darauf verzichten. 

Nicola Ranger: Ich stimme dem vollkommen zu. Im Moment sind wir bei 1,1 Grad Erwärmung, und wir sehen bereits mehr Auswirkungen, als wir in der Vergangenheit vorhergesagt hatten. Für Europa haben wir nicht vorhergesehen, dass die Austrocknung des Rheins, die Dürre und die Waldbrände so schnell kommen würden. Und die Auswirkungen in den Entwicklungsländern sind noch viel gravierender, zum Beispiel die Überschwemmungen in Pakistan im Jahr 2022. 

Nicola Ranger: Vor 20 Jahren war die Versicherungsbranche bei den ersten UN-Klimakonferenzen die einzige anwesende Finanzbranche. Und schon damals sagten die Versicherer, dass der Klimawandel ein großes Risiko darstellt und schlugen Lösungen vor. In gewisser Weise denke ich, dass die Versicherer jetzt in der Diskussion ein wenig untergegangen sind. Die Gespräche auf der COP konzentrieren sich zwangsläufig auf den Netto-Null-Umstieg, und die Stimme der Versicherer wird von all diesen großen Allianzen von Banken und Vermögensbesitzern etwas übertönt. Aber Versicherer sind wichtige Vermögensbesitzer, und Versicherungen sind ein wichtiger Teil der Lösung für den Klimawandel. Ich denke, die Versicherungsbranche muss zurückkommen und den Schwerpunkt auf Risiko und Anpassung legen. Außerdem müssen sich die Versicherer in diesen Diskussionen auf internationaler und nationaler Ebene und sogar auf der Ebene der Kunden viel lauter äußern. Es geht also wirklich darum, die Stimme der Versicherungsbranche zu Gehör zu bringen und zu sagen: Das sind enorme Risiken, es muss gehandelt werden. Ich denke, das tun Sie bereits, aber es muss noch viel, viel lauter geschehen. 

Sibylle Steimen: Ich stimme voll und ganz zu, dass wir uns viel mehr Gehör verschaffen sollten. Aber wenn man über Anpassung spricht, neigen die Leute dazu zu sagen, dass sich das nicht auszahlt. Ich denke, wir müssen uns mit unseren Kunden zusammentun. Es muss klar werden, dass die Anpassung an den Klimawandel ein gemeinsames Unterfangen ist. Wir könnten zum Beispiel über einen Versicherungsschutz nachdenken, der nicht bei Null anfängt, sondern etwas höher angesetzt ist und so dazu beiträgt, dass die Prämien für den Kunden stabiler bleiben. Außerdem können wir die Kunden beraten, wie sie ihr Eigentum vor sehr häufigen Schäden schützen können, die sie ohne Gegenmaßnahmen einbehalten müssten. Diese Überlegungen stehen bei den meisten Privatkunden derzeit nicht ganz oben auf der Liste - aber die gemeinsame Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels wird zu einer Notwendigkeit, um das Versicherungssystem für alle Beteiligten gesund zu erhalten. Die meisten gewerblichen Kunden sind daran gewöhnt, Risiken für ihr Geschäft abzumildern und haben daher ein anderes Risikobewusstsein, so dass Anpassungsmaßnahmen bereits ganz oben auf ihrer Liste stehen. Um jedoch echte Klimaresilienz für alle zu schaffen, müssen wir einen offenen Dialog mit allen unseren Kunden führen und das Tempo erhöhen. 

COP 28: EIB and AllianzGI announce new capital commitments to the Emerging Market Climate Action Fund (EMCAF)

New capital commitments from the United Kingdom and German governments. / The fund invests in green transition funds and projects in emerging and developing markets worldwide. / Launched at COP26, EMCAF has already invested more than $100 million in five funds over two years. / EMCAF on track to hold its third close at €385 million in the coming weeks. (Article links to external site)

Net-Zero Transition Plan - Veränderung für eine emissionsfreie Wirtschaft vorantreiben

Im September 2023 veröffentlichte die Allianz ihren ersten Netto-Null-Plan, der die Details für die Zwischenziele für 2030 zur Dekarbonisierung ihres Geschäftsbetriebs, der Kapitalanlage und des Versicherungsgeschäfts festlegt. Damit nimmt die Allianz eine Vorreiterrolle in der Finanzdienstleistungsbranche ein. Da der Klimawandel eines der größten weltweiten Risiken ist, verfolgt die Allianz diese Ziele mit großem Nachdruck.

COP 28 preview: taking the temperature

This year’s UN Climate Change Conference – COP 28 – starts in late November in Dubai. A busy agenda includes a focus on the impact of heatwaves on health and how trade can play a role in mitigating climate change.