Vermögensverteilung: Keine Fortschritte

Die weltweite Wohlstandskonvergenz stockt

Bei der weltweiten Wohlstandsentwicklung war über viele Jahre ein Konvergenzprozess zu beobachten, durch den die Kluft zwischen ärmeren und reicheren Ländern kleiner wurde. Damit ist es vorbei. Sehr deutlich wird dies bei der Betrachtung des Nettogeldvermögens der Industrieländer relativ zu dem der Schwellenländer (Abbildung 27). In den Jahren 2004 bis 2014 sank diese Zahl drastisch von 67 auf 24. Das bedeutet, dass das Nettogeldvermögen der reicheren Länder im Jahr 2014 „nur“ noch 24 Mal so hoch war wie das der ärmeren Länder. In den folgenden zehn Jahren ging dieser Wert jedoch nur noch um 6 Punkte auf zuletzt 18 zurück, wobei ein Großteil dieses Rückgangs auf die ersten zwei Jahre dieses Zeitraums entfiel, sodass dieser Wert im Jahr 2016 bei 20 lag. Seit 2017 ist die Konvergenz zwischen reicheren und ärmeren Ländern mehr oder weniger zum Stillstand gekommen.

Auch wenn es übertrieben wäre, das Ende der Globalisierung zu verkünden, hat sich der Prozess sichtlich verlangsamt. Die grüne Transformation dürfte den Schwellenländern neue Chancen in der internationalen Arbeitsteilung eröffnen. Allerdings wiegen die negativen Auswirkungen der zunehmenden geopolitischen Unsicherheit, die Investitionen behindern und zu einer Umstrukturierung der Lieferketten führen, derzeit schwerer als die positiven Aussichten. Deshalb wurde zuletzt auch wieder häufiger vom Globalen Süden gesprochen – ein Ausdruck der wachsenden Besorgnis, dass die Win-Win-Situation der Globalisierungsjahre in Verteilungskämpfe zwischen ärmeren und reicheren Ländern umschlagen könnte. Abbildung 27 veranschaulicht dies.

Seit 2017 ist die Konvergenz zwischen reicheren und ärmeren Ländern mehr oder weniger zum Stillstand gekommen.
Abb. 27: Die Konvergenz ist ins Stocken geraten
Nettogeldvermögen pro Kopf, Relationen zwischen Industrie- und Schwellenländern  
 

Sources: Eurostat, ECB, national central banks, financial supervisory authorities, financial associations and statistical offices, IMF, LSEG, World Inequality Database, Allianz Research.

Vor diesem Hintergrund war die Zahl der Angehörigen der globalen Vermögensmittelschicht mit rund 890 Millionen gegenüber dem Vorjahresbericht nahezu unverändert.6 Langfristig gesehen bleibt das Wachstum dieser Klasse jedoch beeindruckend: Die Zahl ihrer Angehörigen ist in den letzten zwei Jahrzehnten um +89 % gestiegen. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Schwellenländer von 43 % auf 64 % erhöht (die Hälfte dieser Angehörigen stammt aus China). Die zunehmende Teilhabe ärmerer Länder am globalen Wohlstand zeigt sich besonders deutlich in der Zusammensetzung der globalen Vermögensoberklasse. Während die Schwellenländer vor 20 Jahren mit einem Anteil von nur 1 % noch praktisch gar nicht vertreten waren, machten sie im vergangenen Jahr 29 % dieser Gruppe aus. Diese Gewichtsverschiebung ist mit einem starken Wachstum um 37 % auf 550 Millionen Haushalte einhergegangen. Tatsächlich verdanken die beiden oberen Vermögensschichten ihr Wachstum ausschließlich dem Zustrom neuer Mitglieder aus ärmeren Ländern, während die Zahl der Angehörigen aus den entwickelten Märkten seit 2004 nahezu unverändert geblieben ist.

Die Zahl der Haushalte mit geringem Vermögen ist im gleichen Zeitraum um rund 7 % (auf 4,3 Milliarden) gestiegen, bei einem Gesamtbevölkerungswachstum von 17,6 % in den untersuchten Ländern. Auffällig ist, dass der Anteil der Mitglieder aus Schwellenländern leicht auf 91,7 % gesunken ist, während der Anteil der Mitglieder aus Industrieländern um 17,5 % auf 357 Millionen gestiegen ist.

Die Entstehung einer neuen, deutlich heterogeneren Vermögensoberklasse ändert jedoch nichts daran, dass die Vermögenskonzentration auf globaler Ebene immer noch extrem hoch ist. Eine Aufteilung der Gesamtbevölkerung der analysierten Länder in Vermögensdezile macht das sehr deutlich.

Sie zeigt, dass die gemessen am Nettogeldvermögen reichsten 10 %  der Weltbevölkerung – in den hier betrachteten Ländern sind das rund 570 Millionen Menschen mit einem durchschnittlichen Nettogeldvermögen von 324.640 Euro – im Jahr 2024 zusammen 85,1 % des gesamten Nettogeldvermögens hielten. Allerdings ist ihr Anteil zumindest langfristig gesunken: Vor zwei Jahrzehnten lag er noch bei 92,1 % (Abbildung 28). Dennoch ist dieser Wert deutlich höher als auf nationaler Ebene, wo der ungewichtete Durchschnitt aller Länder im Jahr 2024 bei 60,4 % lag. Beim derzeitigen Fortschrittstempo würde es weitere 95 Jahre dauern, bis weltweit ein „normales” Niveau der Vermögenskonzentration erreicht wäre, das mit dem innerhalb einzelner Länder vergleichbar wäre. 

Das zweitreichste Dezil der globalen Haushalte besitzt nur 8,8 % des Gesamtvermögens, bei einem durchschnittlichen Nettofinanzvermögen von 34.870 Euro. Für die untere Hälfte der Vermögenspyramide, die etwa 2,9 Milliarden Menschen umfasst, bleibt jedoch fast nichts übrig, vor allem, weil die Menschen im zehnten Dezil im Durchschnitt verschuldet sind, was zu einem durchschnittlichen negativen Nettofinanzvermögen von 3.200 Euro führt. Im fünften und sechsten Dezil in der Mitte der globalen Vermögensverteilung belaufen sich die durchschnittlichen Nettofinanzvermögen auf lediglich 3.290 beziehungsweise 1.720 Euro.

Aufgrund dieser hohen globalen Vermögenskonzentration besteht auch eine große Kluft zwischen dem globalen Medianwert und dem globalen Durchschnittswert der Nettofinanzvermögen. Während der Medianwert des Nettofinanzvermögens im Jahr 2024 bei 2.510 Euro pro Kopf lag, war der Durchschnittswert 15 Mal höher (37.050 Euro). Vor zwei Jahrzehnten war er allerdings noch 34 Mal so hoch.

Auf den ersten Blick scheint es ermutigend, dass das durchschnittliche Nettovermögen pro Kopf in den untersten Vermögensdezilen viel schneller gewachsen ist als in den beiden reichsten Dezilen (Abbildung 29). Angesichts der enormen absoluten Unterschiede zwischen den Dezilen bleibt jedoch selbst bei hohen Wachstumsunterschieden eine gleichmäßigere Verteilung des Wohlstands auf globaler Ebene ein fernes Ziel. In Bezug auf das erste Dezil mit dem niedrigsten Nettofinanzvermögen ist festzuhalten, dass die negative Wachstumsrate einen Rückgang des „Nettofinanzvermögens“ dieser Haushalte impliziert, da ihre Verschuldung weiter stieg.

6 Die Klassifizierung der Vermögensklassen basiert auf dem durchschnittlichen globalen Pro-Kopf-Nettogeldvermögen, das sich 2024 auf 37.050 Euro belief. Die globale Vermögensmittelschicht („Medium Wealth“, MW) umfasst alle Personen mit einem Vermögen zwischen 30 % und 180 % des globalen Durchschnitts. Damit liegen die Grenzwerte für die Zugehörigkeit zur globalen Vermögensmittelschicht im Jahr 2024 bei 11.100 Euro und 66.700 Euro. Die „Low Wealth“ (LW)-Kategorie der Menschen mit geringem Vermögen umfasst Personen mit einem Nettogeldvermögen von unter 11.100 Euro, während der Begriff „High Wealth“ (HW) für Personen mit einem Nettofinanzvermögen von mehr als 66.700 Euro gilt (Einzelheiten zur Festlegung der Grenzwerte finden Sie in Anhang A).
Abb. 28: Globale Vermögenskonzentration
Nettogeldvermögen, Anteil nach Dezilen 2004 (innen) und 2024 (außen) in % (zum Euro-Wechselkurs Ende 2024)   
 

Quellen: Eurostat, ECB, national central banks, financial supervisory authorities, financial associations and statistical offices, IMF, LSEG, World Inequality Database, Allianz Research.
Die gemessen am Nettogeldvermögen reichsten 10 %  der Weltbevölkerung – in den hier betrachteten Ländern sind das rund 570 Millionen Menschen mit einem durchschnittlichen Nettogeldvermögen von 324.640 Euro – hielten im Jahr 2024 zusammen 85,1 % des gesamten Nettogeldvermögens.
Abb. 29: Aufholprozess im Gange?
Wachstum des durchschnittlichen Pro-Kopf-Nettogeldvermögens nach Dezilen, 2024/2004 in %  
 

Quellen: Eurostat, ECB, national central banks, financial supervisory authorities, financial associations and statistical offices, IMF, LSEG, World Inequality Database, Allianz Research.
China zeigt, wie schwierig es ist, die Förderung des Wachstums mit der Wahrung der Verteilungsgerechtigkeit in Einklang zu bringen

Keine Fortschritte auf nationaler Ebene

Insgesamt ist die Vermögensungleichheit im nationalen Maßstab weniger dramatisch als im globalen Maßstab. Wie bereits erwähnt, beträgt der Anteil der reichsten zehn Prozent auf nationaler Ebene 60,4 % (ungewichteter Durchschnitt) – verglichen mit 86,5 % auf globaler Ebene. Die Kluft zwischen dem Median- und Durchschnittsvermögen ist ebenfalls deutlich geringer, da das Pro-Kopf-Vermögen nur etwa drei Mal so hoch ist wie das Medianvermögen (Verhältnis 3,08). In einer Hinsicht ist das Bild auf nationaler Ebene jedoch noch besorgniserregender: Obwohl Ungleichheit seit Jahren ein großes politisches Thema ist, hat es keine Fortschritte in Richtung einer ausgewogeneren Vermögensverteilung gegeben. Im Jahr 2004 besaßen die reichsten zehn Prozent der Haushalte in den hier betrachteten Ländern 59,9 % des gesamten Geldvermögens und das durchschnittliche private Vermögen lag beim Dreifachen des Medianwerts (Verhältnis 3,05). Diese Zahlen sind fast identisch mit denen für 2024.

In einigen Ländern sind Veränderungen erkennbar, allerdings nur in wenigen. Von 57 betrachteten Ländern weisen 37 eine relativ stabile Vermögensverteilung auf: Die Vermögenskonzentration hat sich um weniger als 2 Prozentpunkte verändert (Abbildung 30). 

Interessanter ist natürlich der Blick auf die Länder, in denen es zu Verschiebungen gekommen ist. Sehen wir uns zunächst die Länder an, in denen sich die Verteilung verbessert hat, die Vermögenskonzentration gemessen am Anteil der obersten zehn Prozent also zurückgegangen ist. Diese Gruppe umfasst nur sieben Länder. Mit Ausnahme von Kambodscha sind alle europäische Länder. Hier kann zwischen zwei Gruppen unterschieden werden: Auf der einen Seite gibt es Länder wie Portugal, Lettland und Irland, die zu Beginn des Jahrtausends eine – zumindest nach europäischen Maßstäben – relativ hohe Vermögenskonzentration von weit über 60 % aufwiesen und sich in den folgenden Jahren dem europäischen Mittel annäherten. Die andere Gruppe umfasst die Slowakei, Ungarn und die Niederlande, die schon immer eine relativ ausgewogene Vermögensverteilung hatten und sich weiter verbessert haben. Die Niederlande sind ein gutes Beispiel: Mit einem Anteil der reichsten zehn Prozent von nur 46,2 % am Gesamtvermögen sind sie heute eines der egalitärsten Länder der Welt. 

Die Gruppe der Länder, in denen der Anteil des obersten Vermögensdezils gestiegen ist, umfasst 13 Länder, fast doppelt so viele wie die vorherige Gruppe. China sticht dabei besonders hervor. Nirgendwo sonst ist der Vermögensanteil der reichsten zehn Prozent so stark gestiegen wie hier: um+17,3 Prozentpunkte. Grund dafür ist die tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Transformation des Landes in den letzten 20 Jahren. Diese hat nicht nur zu einem enormen allgemeinen Wohlstandszuwachs beigetragen, sondern auch zur Entstehung einer echten Oberschicht. Mit 67,9 % liegt der Anteil der reichsten zehn Prozent am Gesamtvermögen in China jetzt deutlich über dem globalen Durchschnitt. Das Beispiel China zeigt, wie schwierig es ist, die Förderung des Wachstums mit der Wahrung der Verteilungsgerechtigkeit in Einklang zu bringen: Zu einer Zunahme der Ungleichheit führte hier vor allem das ungebremste Wachstum der „wilden“ 2000er Jahre, als der Privatsektor nur wenigen Beschränkungen unterlag. Im starken Gegensatz dazu ist die Vermögenskonzentration in den letzten fünf Jahren unverändert geblieben. Mit gewissen Einschränkungen gilt das Gleiche auch für Indien und die Türkei, wo die zunehmende Wohlstandskonzentration eine „Nebenwirkung“ des raschen Wachstums ist. Anlass zur Sorge gibt die Entwicklung in den USA, wo die Ungleichheit bereits vor 20 Jahren sehr ausgeprägt war. Heute ist das Vermögen in kaum einem Land der Welt so ungleich verteilt wie in den USA: Die reichsten zehn Prozent besitzen 67,2 % aller Vermögenswerte und eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Dies gilt nicht für die anderen europäischen Länder in dieser Gruppe (mit Ausnahme von Schweden), wo sich der Anteil des obersten Vermögensdezils von einem niedrigen Niveau aus erhöht hat und der Wohlstand auch heute noch relativ gleichmäßig verteilt ist. In Frankreich zum Beispiel liegt der Vermögensanteil der reichsten zehn Prozent bei 54,7 %, also deutlich unter dem Wert im benachbarten Deutschland (60,4 %).


Abb. 30: Relative Stabilität
Anteil der Top 10 % am gesamten Nettofinanzvermögen, Veränderung in Prozentpunkten
  

Quellen: Eurostat, ECB, national central banks, financial supervisory authorities, financial associations and statistical offices, IMF, LSEG, World Inequality Database, Allianz Research.