Das wäre nicht sehr glaubwürdig angesichts der dramatischen Folgen. Kein Politiker wird das riskieren wollen. Mir erscheint es klüger, den europäischen Weg weiterzugehen. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mit den Rettungsfonds EFSF und ESM schon sehr wertvolle Instrumente geschaffen, um die Probleme zu überwinden.
Aber das Vertrauen des Marktes in diese Instrumente ist gering.
Wer ist denn „der Markt“? Dahinter stehen Investoren, die auf Billionen liquider Mittel sitzen und dieses Geld gerne investieren möchten. Aber eben nur, wenn die Verhältnisse Sicherheit bieten.
Sie gehören selbst zu diesen Großinvestoren. Was könnte Ihre Verunsicherung beenden?
Entscheidend ist für mich, dass wir aus dem Zustand eines permanenten Provisoriums rauskommen und dass es eine klare Vision gibt. Wir kennen das Zielbild für 2020 im Moment nicht. Wie soll das Europa der Zukunft aussehen? Wer ist dann drin und wer ist draußen?
Was für ein Europa brauchen wir – eines, in dem jedes Land für seine Finanzen verantwortlich ist, oder eines, in dem alle gemeinsam zahlen?
Aus meiner Sicht spricht alles für eine stärkere politische Union. Das wird nur mit mehr gemeinsamer Haftung und Finanzierung gehen. Gleichzeitig muss es aber Grenzen dafür geben, wie sehr ein Land für andere haftet. Wer anderen hilft, muss auch eine Möglichkeit zur Kontrolle haben. Anders ist ein solches Modell gar nicht mehrheitsfähig.
Und was soll am Ende herauskommen: Ein Fiskalpakt im Sinne des Vertrags von Maastricht oder eine Fiskalunion mit europäischem Etat?
Ich könnte mit beiden Varianten gut leben. Die Frage ist, von welchem Modell man die Bevölkerung in Europa überzeugen kann. Die EU war über Jahrzehnte vor allem eine Konstruktion der Eliten. Das ist jetzt vorbei, auf diesem Weg kommen wir nicht weiter.
Liegt ein Teil des Problems nicht darin, dass die Eliten, zu denen auch Manager wie Sie gehören, selbst keine Blaupause für Europa haben?
Man würde von den Eliten, wenn man sie so nennen will, durchaus eine Antwort bekommen, wie ein neues Europa aussehen könnte. Aber ich glaube nicht, dass die Europäer einen Masterplan von Wissenschaftlern oder Unternehmern akzeptieren würden. Es braucht einen politischen Prozess, der die Menschen mitnimmt.
Aber ein solcher Prozess braucht viel Zeit. Die hat Europa nicht.
Alle strukturellen Lösungen brauchen Zeit. Wenn der italienische Premier Mario Monti den Arbeitsmarkt des Landes reformiert, wirkt das auch nicht von heute auf morgen. Deshalb müssen wir eine Brücke bauen, um die langfristige Vision überhaupt zu erreichen.
Der EU-Gipfel in der vergangenen Woche hat ja das Tor zu Finanzhilfen ohne harte Auflagen aufgestoßen. Zu Recht?
Ehrlich gesagt bin ich mir bis jetzt nicht sicher, ob das wirklich das Ergebnis dieses Gipfels war. Ich habe viel darüber gelesen, aber so richtig klar ist doch gar nichts. Daher wundert mich auch die zunächst überschwängliche Reaktion der Märkte auf die Gipfelergebnisse. Offenbar glauben die Investoren, dass gerade Deutschland etwas flexibler geworden ist. Bisher war die Botschaft: Hilfe gibt es nur gegen harte Sparauflagen, auch wenn es das Land in die Rezession führt. Das war keine befriedigende Lösung.
Aber es führt doch kein Weg daran vorbei zu sparen.
Entscheidend ist doch, dass Europa als Standort wieder attraktiv wird. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass wir uns Obergrenzen für die Besteuerung setzen. Niemandem ist geholfen, wenn die Regierungen über horrende Steuererhöhungen die Etatlücken schließen, dann aber das Wachstum weg bricht.
Im Moment scheint niemand mehr an ein starkes Europa zu glauben. Ihr Anleihenexperte Bill Gross hat jüngst sogar die Sicherheit Deutschlands in Frage gestellt. Eurobonds dürften Sie dann ja erst recht nicht kaufen.
Bill Gross hat lediglich gesagt, dass deutsche Anleihen mit ihren historisch niedrigen Renditen derzeit zu teuer sind. Und Eurobonds würden derzeit die Investoren sicher nicht überzeugen, da bin ich voll und ganz der Meinung der Bundeskanzlerin. Das wäre wieder nur eine kurzfristige Lösung des Finanzierungsproblems einzelner Staaten, ohne die Strukturen zu verändern.
Können Sie in diesem Umfeld Ihren Kunden versprechen, dass ihre Lebensversicherungen sicher sind?
Absolut, unsere deutsche Lebensversicherung ist sicher – und attraktiv vor allem für all jene, die mit einem Anlageprodukt das Wissen eines großen Investors wie der Allianz nutzen wollen und zusätzlich einen Versicherungsschutz wünschen.
Gilt das auch für die Verzinsung, die Sie ihren Kunden garantiert haben?
Das extrem niedrige Zinsniveau ist derzeit eine Herausforderung für die Lebensversicherer. Aber auch das haben wir durchgerechnet: Selbst im sehr unwahrscheinlichen Fall, dass die Zinsen 20 oder 30 Jahre so niedrig bleiben, könnte die Allianz alle ihre Garantien einhalten.
Aber was nützt dem Kunden die Garantie, wenn der Euro doch auseinanderfällt und die Wirtschaftsleistung wie von Ihnen prognostiziert zweistellig einbricht? Dann wird es gigantische Abschreibungen geben.
Nichts ist sicher, wenn alles unsicher ist. Dem kann ich nur zustimmen. Aber nicht jedes Extremszenario ist auch realistisch. Wir erwarten weder ein Auseinanderbrechen der Währungsunion noch den Zahlungsausfall eines weiteren Euro-Landes. Im Zweifel wird die Europäische Zentralbank alles dafür tun, um solche Liquiditätsengpässe zu vermeiden.
Ihr Motto lautet also: In Draghi we trust?
Der EZB-Präsident hat im Moment natürlich eine sehr zentrale Rolle inne, das stimmt.
Führen all die kurzfristigen Hilfen durch die Zentralbank oder den ESM nicht dazu, dass sich auch langfristig nichts an den Strukturen ändert?
Die Gefahr besteht natürlich. Wenn wir uns nie trauen, etwas zusammenbrechen zu lassen, werden wir aus den Notfallmaßnahmen nie herauskommen. Das ist ein Teufelskreis. Aber momentan ist nicht der richtige Zeitpunkt, um auszuprobieren, wie die Wirtschaft einen zweiten, noch größeren Schock als die Lehman-Pleite verträgt.
Braucht es vielleicht eine noch viel tiefere Krise, damit sich wirklich etwas ändert?
Das würde vielleicht helfen – aber ich wünsche es uns nicht. Eigentlich sollten wir in den vergangenen Jahren genug Krisen erlebt haben, um aus diesen Erfahrungen zu lernen. Vielleicht müssen wir einfach etwas realistischere Erwartungen an den Zeithorizont haben: Auch die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika war kein Thema von wenigen Monaten.
Sie sagten uns vor vier Jahren, das Risiko von Staatsdefiziten werde unterschätzt. Eine gewisse prophetische Gabe scheinen Sie zu haben. Wo droht denn jetzt die nächste Krise?
Wir reden ständig über die expliziten Staatsschulden. Wir sollten uns aber endlich genauer ansehen, welchen zusätzlichen Forderungen die Staaten in Zukunft gegenüberstehen – vor allem aufgrund ihrer Gesundheits- und Rentensysteme.
Wenn wir uns jetzt auch noch genauer damit befassen, wird das die Finanzkrise nur noch verschlimmern.
Ehrliche Bestandsaufnahmen und Transparenz sind der erste Schritt, um Probleme wirklich anzugehen. Die Regierungen müssen glaubwürdig sein. Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass das Vertrauen der Investoren zurückkehrt.