Sippenhaft für Versicherer?

Oliver Bäte: Wir sind weniger nervös als besorgt. Die Finanzkrise hat uns allen einen schweren Schock verpasst. Mit einer enormen Kraftanstrengung ist es gelungen, unser Wirtschaftssystem zu stabilisieren – allerdings zu einem hohen Preis. Nun versuchen Politik und Aufsicht zu verhindern, dass sich das wiederholt. Das ist zwar verständlich, wird aber – so fürchte ich – fehlschlagen. Es hat immer Krisen gegeben, und es wird sie immer geben.

Oliver Bäte: "Die Assekuranz hat sich als Hort der Stabilität erwiesen"

Bäte: Selbstverständlich müssen wir Vorkehrungen treffen, die Krisen zu verhindern helfen. Und wir können aus unseren Fehlern lernen. Was aber passiert nun mit Solvency II? Es wird erstmals bei der Berechnung der Kapitalausstattung das Risikoprofil des Versicherers berücksichtigt. Doch der Schock der Finanzkrise führt dazu, dass ständig neue Ideen auf den Tisch kommen, wie man sich vor jeder denkbaren Krise schützen könnte. Und hier werden die Versicherer in Sippenhaft mit Banken und anderen Finanzdienstleistern genommen. Kein Versicherungsunternehmen ist in der Finanzkrise wegen seines Versicherungsgeschäftes in Schieflage geraten. Ganz im Gegenteil: Die Assekuranz hat sich als Hort der Stabilität erwiesen.

Trotzdem wurden auf einmal die Kapitalanforderungen unter Solvency II drastisch verschärft – insbesondere im Lebensgeschäft. Erschwerend sind außerdem Rechnungslegungsvorschriften, die als Folge eine Volatilität in unsere Bilanz hineintragen, die nicht unserem Geschäft entspricht.

Zurück zu Solvency II: Unsere Beobachtungen zeigen auch, dass nationale Besonderheiten hier zu Verzerrungen des Wettbewerbs führen können. Die Frage ist, ob ein Versicherungskonzern, der aus Deutschland heraus operiert, noch wettbewerbsfähige Kapitalquoten erzielen kann, oder ob er durch nationale Besonderheiten des regulatorischen und bilanziellen Umfelds massiv benachteiligt wird. Konzerne müssen als eine Einheit betrachtet werden, unabhängig davon, wo ihre Zentrale gerade liegt.

Bäte: Es ist noch vollkommen unklar, wie die verschiedenen Initiativen, also Solvency II, die neuen Rechnungslegungsvorschriften nach den International Financial Reporting Standards, die Überlegungen zum Insolvenzschutz und die Frage, inwiefern Versicherer systemrelevant sind, ineinandergreifen und welche konkrete Ausgestaltung sie haben. Da wird gerade viel diskutiert, und es schwirren eine Menge Zahlen herum. Seriöse Schätzungen aber gibt es nicht. Die große Gefahr der Kakophonie der Vorschläge ist: Jeder will seinen Baum regulieren, doch niemand kümmert sich um den Wald. Wenn wir nicht aufpassen, gibt es am Schluss nur noch Verlierer, weil man die Branche stranguliert.

Bäte: Solvency II ist inzwischen tatsächlich sehr komplex geworden, und ich frage mich, ob diese Komplexität hilfreich ist. Allerdings ist Versicherung ein kompliziertes Geschäft. Wir sollten uns also nicht der Illusion hingeben, dass Solvency II auf einmal ganz einfach verständlich wird.

Bäte: Die Lebensversicherung mit langfristigen Garantien wird von zwei Seiten in die Zange genommen. Zum einen leiden unsere Kunden unter dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld. Die niedrigen Zinsen sollen ja der Ankurbelung der Wirtschaft dienen, sie finden aber nur geringen Niederschlag in einer größeren Kreditvergabe [seitens der Banken]. Die Zeche zahlen vor allem Anleger in risikoarme Produkte, alle Sparer und Kunden von Lebensversicherungen. Und sie zahlen nicht nur heute, sondern werden das auch im Alter zu spüren bekommen, wenn die Auszahlungen geringer sind als bei vorigen Generationen.

Zum anderen sollen jetzt die Rahmenbedingungen für Versicherer weiter verschärft werden. Kapital kostet Geld, und wenn wir wegen übertriebener Vorsicht unnötig zusätzliches Kapital bereit stellen müssen, dann schadet das zum Schluss allen.

Gleichzeitig wissen wir alle, dass Staaten auf Dauer angesichts alternder Gesellschaften nicht in der Lage sind, die Altersvorsorge umfassend zu regeln. Den Menschen, die privat vorsorgen möchten, blieben letztlich drei Möglichkeiten: Sie akzeptieren eine geringere Rendite oder sie übernehmen für ihre Vorsorge das Kapitalanlagerisiko vollständig selbst, weil sie sich die bisher üblichen Produkte mit einer garantierten Rendite nicht mehr leisten können. Oder – und das wäre fatal – sie sorgen weniger vor und erhöhen die Gefahr der Altersarmut.

Wir sollten uns fragen, ob wir dies sehenden Auges akzeptieren oder aber die regulatorischen Rahmenbedingungen und damit die Kapitalanforderungen für diese Form der Altersvorsorge gerecht gestalten wollen. Hier muss Solvency II angepasst werden.

 
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen, der Ihnen hier zur Verfügung gestellt wird.
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