Die Qual der Wahl

So haben Forscher in einem Delikatessenladen in Kalifornien verschiedene Tische mit Marmeladenproben aufgestellt. Auf einem Tisch standen sechs verschiedene Geschmacksrichtungen zur Auswahl, auf dem anderen 24. An dem Tisch, an dem es mehr Auswahl gab, blieben die Kunden zwar öfter stehen. Doch die Wahrscheinlichkeit, wirklich etwas zu kaufen, war bei denen, die an dem Tisch mit der geringeren Auswahl stehen blieben, zehn Mal größer (30 Prozent verglichen mit 3 Prozent).

Auswahl ist also wichtig, doch sie führt nicht immer zu einer besseren Entscheidung, hat Sheena Iyengar, Professor of Business an der Columbia Business School und Autorin von The Art of Choosing herausgefunden. Allianz bat sie, die Gründe dafür genauer zu erläutern.

In Ihrem Buch The Art of Choosing beschreiben Sie den Wunsch zu wählen als angeboren. Selbst als Kleinkinder handeln wir schon entsprechend, noch ehe wir unsere Wünsche überhaupt ausdrücken können. Weshalb ist dieses Verhalten bei uns Menschen so ausgeprägt?

Sheena Iyengar: Das gilt nicht nur für Menschen. Dass auch Tiere Wahlfreiheit brauchen, sehen Sie in Zoos. Die Tiere dort müssen sich keine Sorgen über Nahrungssuche, Unterschlupf und natürliche Feinde machen. Alles, was sie zum Leben brauchen, ist vorhanden. Trotzdem leiden sie oft schrecklich, weil sie aller Wahlmöglichkeiten beraubt worden sind. Alle Lebewesen wollen ihre Umgebung zu einem bestimmten Grad kontrollieren können.

Sie veranschaulichen das zum Beispiel mit dem Freiheitsdrang des Sibirischen Tigers und des surfenden Berliner Bären. Aber Sie sagen auch, dass der Wunsch nach Wahlmöglichkeiten bei Menschen ganz besonders stark ist.

Iyengar: Welches Tier lebt schon gern in einem Käfig, ganz egal wie golden der Käfig auch ist? Gefangenschaft gilt allgemein als Strafe. Aber wir Menschen sind komplexer. Uns geht es nicht nur um Kontrolle, wir sind auch in der Lage nachzudenken, auf welche Weise und mit welchen Mitteln wir unsere Kontrolle ausüben und unsere Wahl treffen wollen. Und dank dieser Reflexion herrschen wir über unseren Planeten – ganz ohne Krallen und ohne scharfe Zähne.

Wie können wir wissen, ob wir die richtige oder die falsche Wahl treffen? Ist das auch angeboren?

Iyengar: Wenn wir unsere Ziele genau formulieren können und zwar so, dass wir das Ergebnis auch messen können, dann sind wir durchaus in der Lage festzustellen, ob wir gute oder schlechte Entscheidungen treffen. Leider schieben allzu viele von uns Entscheidungen auf die lange Bank, insbesondere bei wichtigen Themen wie der Altersvorsorge und Finanzanlagen.

Wie können wir diesem Problem begegnen?

Iyengar: Das wichtigste ist, überhaupt erst einmal Ziele festzulegen. Viele von uns nehmen sich dafür nicht ausreichend Zeit. Selbst wenn es sich nur um ein kurzfristiges Ziel handelt, können Sie nicht entscheiden, was die beste Möglichkeit ist, bevor Sie das Ziel identifiziert haben. Aber die Ziele, die Sie festlegen, müssen auch messbar sein.

Gibt es Methoden, die uns helfen unsere Ziele zu definieren?

Iyengar: Ja, wir können uns fragen: "Was kann ich im besten Fall erreichen und was würde im schlimmsten Fall passieren?" So bekommen wir unsere Parameter. Dann müssen wir vom schlimmsten Fall ausgehen und uns fragen: "Wenn ich so viel hätte, würde mir das reichen? Und wenn ich noch ein bisschen mehr hätte, würde mir das dann reichen?"

Dadurch finden Sie heraus, wo sie die Trennlinie ziehen müssen. Und sobald sie das wissen, wissen sie auch, was die beste Alternative ist.

Wenn Menschen etwas auf die lange Bank schieben, hat das oft mit Ängsten zu tun. Sie fürchten sich davor Fehler zu machen.

Iyengar: Genau. Ich vermute, dass Menschen ihre Ziele deshalb nicht definieren wollen, weil sie Angst haben, dadurch ihre Grenzen kennenzulernen. Sie haben auch Angst herauszufinden, dass sie im Alter arm sein werden.

Aber Sie können nur dann Ihrem Ziel näher kommen und Ihre Chancen wenigstens ein bisschen verbessern, wenn Sie beginnen Ihre Ziele zu identifizieren.

Sheena Iyengar, Professor of Business an der Columbia Business School und Autorin von The Art of Choosing

Sobald wir über mehre Möglichkeiten verfügen, glauben wir, dass wir die perfekte Lösung finden müssen. Doch wie sieht diese aus?

Iyengar: Für alle, in denen das Ergebnis messbar ist, aber nicht für das Glück. Im Vergleich dazu sind Geld, finanzielle Sicherheit und Arbeitsplatzsicherheit viel einfachere Ziele.

Was das Glück betrifft, so ist es schwer Ziele festzulegen, abzustimmen und zu messen. Wir alle wissen, ob wir unglücklich oder glücklich sind oder uns einfach ganz normal fühlen.

Aber diese Gefühle sind vergänglich. Sie ändern sich schnell und wir können sie nicht genau messen. Deshalb sind Entscheidungen, die Glück, Liebe oder ähnliche reine Gefühle betreffen, auch so schwer.

Was die Altersvorsorge angeht, so sagen Sie, dass es schwer ist, Menschen dazu zu bewegen vorzusorgen. Tun sie es, fühlen sie sich von den Wahlmöglichkeiten überfordert. Können Sie dieses Dilemma erklären? Warum fällen wir oft schlechtere Entscheidungen, wenn wir mehr Auswahl wir haben?

Iyengar: Sobald wir über mehre Möglichkeiten verfügen, glauben wir, dass wir die perfekte Lösung finden müssen. Wir verlangen zwar mehr, aber eine größere Auswahl bietet nicht automatisch mehr – es könnte sich dabei ja auch immer wieder um dieselbe Lösung handeln, die nur jedes Mal anders verpackt wurde.

Außerdem müssen Sie sich dann wesentlich stärker anstrengen um herauszufinden, ob all diese potenziellen Lösungen sich auch wirklich unterscheiden, welche die beste ist und welche nicht. Wir werden verwirrt, frustriert und desillusioniert und treffen so schließlich schlechtere Entscheidungen.

Also kann zu viel Wahlfreiheit tatsächlich zu Tyrannei werden?

Iyengar: Absolut. Denken Sie beispielsweise an das schwedische Rentensystem. Als das System im Jahr 2000 umgestellt wurde, wollte man Menschen die Wahl lassen, aber die Bevölkerung fühlte sich von dem Zwang, aus bis zu 450 Fonds auszuwählen fast erschlagen.

Wären wir glücklicher, wenn wir unseren Anspruch auf zu viele Optionen aufgeben würden?

Iyengar: Traditionell fühlen sich Europäer bei diesem Gedanken wohler. Bei Amerikanern löst diese Idee dagegen gemischte Gefühle aus. Das wirkt sich auch auf die Vorstellung von Glück in den verschiedenen Kulturen aus, denn wenn Wahlmöglichkeiten wichtig sind, wird es schwerer glücklich zu sein.

Wenn Sie davon überzeugt sind, dass es möglicherweise eine noch bessere Lösung gibt und sich verpflichtet fühlen danach zu suchen, dann wird das Glück immer schwerer zu fassen.

Und dann trauern Sie dem nach.

Iyengar: Richtig. Im Durchschnitt scheinen Europäer glücklicher als Amerikaner. Das stellen wir auch in den verschiedenen "Happiness Indexes" fest. Was das Glücklichsein angeht, schneidet Amerika unter den hochentwickelten Ländern oft mit am schlechtesten ab. Genau das ist der Widerspruch, der bei dem Wunsch nach mehr Wahlfreiheit entsteht.

 
 
Sheena Iyengar unterstützt derzeit die Gründung eines neuen Wissensforums, die sogenannte "Global Leadership Matrix".

Dieser Artikel wurde ursprünglich in Project M _blank veröffentlicht.

  
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Michael Matern

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