Wie wir aus unseren Fehlern lernen können

 
Die Verhaltensökonomie tritt damit in eine neue Phase ein. Unter dem Stichwort Verhaltensökonomie 1.0 ging es darum zu verstehen, weshalb Menschen oft finanzielle Fehlentscheidungen treffen. Die Erkenntnis war unter anderem, dass uns Trägheit daran hindert, für unser Alter vorzusorgen.

Das erklärte Ziel der Verhaltensökonomie 2.0 ist nun, diese Erkenntnisse anzuwenden um Fehler zu vermeiden. Bei Verhaltensökonomie 2.0 geht es darum, Lösungen für problematische Verhaltensweisen zu entwickeln und das heißt zum Beispiel Trägheit als Chance zu sehen.

Shlomo Benartzi ist Professor an der UCLA Anderson School of Management und Chief Behavioral Economist am Allianz Global Investors Center for Behavioral Finance

So könnte man sich unsere Trägheit zunutze machen, indem man den Standard ändert. Arbeitnehmer würden sich dann automatisch für einen Vorsorgeplan registrieren, es sei denn, sie entschieden sich aktiv dagegen. Passivität oder das Nicht-Treffen einer Entscheidung führt dann dazu, dass Arbeitnehmer für die Altersvorsorge sparen. So wird Trägheit vom Feind zum Freund.

Diese kleine Änderung kann dramatische Auswirkungen auf die Beitrittszahlen in Vorsorgeplänen haben. Eine erste Studie zu diesem Thema hat gezeigt, dass der Anteil neuer Arbeitnehmer, die einem Pensionsplan beitraten, auf fast 90 Prozent stieg – verglichen mit 64 Prozent bei Arbeitnehmern, die bereits seit drei bis fünf Jahren dabei waren (Madrian and Shea, 2001).

Mittlerweile gibt es mehr als ein Dutzend Forschungsarbeiten zur automatischen Einschreibung und alle weisen ähnliche Steigerungsraten auf. Die "Auto-Einschreibung" hat also deutlich erkennbare positive Auswirkungen.

Diese Art der Registrierung wurde durch den amerikanischen Pension Protection Act von 2006 noch gefördert und wird zunehmend populärer. 2010 boten 34,4 Prozent der Vorsorgepläne eine "Auto-Einschreibung" für neu eingestellte Arbeitnehmer an. Weitere 7,4 Prozent boten dies auch für Mitarbeiter in einem bestehenden Arbeitsverhältnis an, sofern sie den Plänen noch nicht beigetreten waren (PSCA, 2011).

Bislang ist automatische Einschreibung das bei weitem effektivste Werkzeug, um Arbeitnehmer zur Teilnahme an Vorsorgeplänen zu gewinnen. Ihre Stärke kann jedoch auch ihre größte Schwäche sein, die durch andere psychische Faktoren noch verstärkt wird.

Fortschrittliche Träger von Pensionsplänen, die frühzeitig die automatische Registrierung einführten, setzten die Sparquote in der Regel mit drei Prozent an. Manche befürchteten, eine höhere Sparquote würde mehr Teilnehmer verleiten, sich aktiv gegen den Plan zu entscheiden. Untersuchungen zeigen zwar, dass dies nicht der Fall ist (Beshears et al., 2009), doch geringe anfängliche Sparquoten sind nach wie vor weit verbreitet. 2010 legten 61,8 Prozent der Pläne mit "Auto-Einschreibung" die anfängliche Sparrate bei drei Prozent fest (PSCA, 2011).

Selbstverständlich sind drei Prozent keineswegs ausreichend für einen komfortablen Ruhestand. Man war von der Annahme ausgegangen, dass die Teilnehmer ihre Sparquote allmählich auf eine angemessenere Zahl anheben würden – beispielsweise auf 10 bis 15 Prozent. Mein Kollege Richard Thaler und ich haben jedoch vorhergesagt, dass es die meisten aufgrund ihrer Trägheit bei den geringen Quoten belassen werden.

Tatsächlich berichtete dann das Wall Street Journal am 7. Juli 2011, dass 40 Prozent der neu Eingestellten, die automatisch für den 401(k)-Plan ihres Unternehmens registriert wurden, jetzt weniger sparen, als wenn sie den Plänen aktiv beigetreten wären (Tergesen, 2011).

Wir haben deshalb eine verhaltensökonomische Lösung entwickelt, die Arbeitnehmern dabei hilft in Zukunft mehr zu sparen: "Save more tomorrow".

Es fällt uns leicht zu beschließen ab morgen (anstatt gleich heute) mehr Sport zu treiben und weniger zu essen. Daher ist die Hürde zu "Save more tomorrow" niedriger.

Dabei werden die Teilnehmer zunächst eingeladen, mehr zu sparen – nicht heute, sondern morgen. Dieser Ansatz basiert auf einem sehr menschlichen Verhalten, das wir alle an uns selbst beobachten können: Sobald dieser Artikel geschrieben ist, gehe ich mit meiner Frau Lesli ins Restaurant "Toskana". Hoffentlich gibt es dort wieder meine Lieblings-Windbeutel und morgen, so versichere ich mir selbst etwas naiv, werde ich dann mehr Sport treiben und mich gesünder ernähren.

Diese Selbsttäuschung basiert auf unserer Überbewertung der Gegenwart, das heißt wir lassen die Zukunft relativ unberücksichtigt. Schwierige Aufgaben wie Abnehmen oder Sparen erscheinen uns leichter, wenn wir sie in die Zukunft projizieren. Die meisten Menschen sind Meister darin und überzeugen sich selbst, dass sie morgen das Richtige tun.

Thaler und ich nahmen deshalb an, dass es für Planteilnehmer attraktiver ist, morgen – und nicht schon heute – mehr zu sparen. Und so war es auch.

Die zweite Komponente von "Save more tomorrow" besteht darin, mit jeder Gehaltserhöhung die Sparquote zu erhöhen. Da der Nettolohn dabei nicht sinkt,  umgehen wir unsere starke Aversion gegen Verluste. Der Verlust in diesem Fall die Reduzierung des verfügbaren Lohns.

Und drittens läuft das Programm eigenständig ab. Das heißt, die Sparquote erhöht sich automatisch, wenn sich das Gehalt erhöht und die Teilnehmer an dem Plan müssen nicht selbst aktiv werden.

In unserer ersten Studie zu diesem Thema 1998 wurden wir mit einem schwierigen Problem konfrontiert: einem Unternehmen mit niedrigen Sparquoten, insbesondere bei Geringverdienern. Der Arbeitgeber beauftragte einen Finanzberater und bot den Mitarbeitern eine kostenlose Beratung an.

Zehn Prozent lehnten dieses Angebot ab und zogen es vor, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen. Die durchschnittliche Sparquote dieser Gruppe lag bei 6,6 Prozent. Fast ein Viertel der Belegschaft folgte dem Rat des Beraters, ihre Sparquote einmalig um fünf Prozentpunkte zu erhöhen. Die übrigen Mitarbeiter, vor allem gering Bezahlte, erklärten, sie könnten es sich derzeit nicht leisten, mehr zu sparen. Ihre durchschnittliche Sparquote betrug gerade mal 3,5 Prozent. 

Diese Gruppe nannten wir "zaghafte Sparer". Trotz ihres geringen Einkommens waren 78 Prozent dieser Gruppe bereit, zukünftig automatisch mehr zu sparen, sobald sie mehr verdienen.

Dreieinhalb Jahre und vier Gehaltserhöhungen später hatte sich die durchschnittliche Sparquote der "zaghaften Sparer" fast vervierfacht – auf 13,6 Prozent. Das ist doppelt so viel wie die Mitarbeiter sparen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen wollten (Thaler und Benartzi, 2004). Ein eigentlich problematisches Verhalten, unsere Überbewertung der Gegenwart, wurde so zu einer verhaltensökonomischen Lösung.

Seit 2010 haben mehr als die Hälfte der großen Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten automatische Erhöhungen der Sparquote zu einem Bestandteil ihrer 401(k)-Pläne gemacht. In Großbritannien, Neuseeland und Australien werden ähnliche Programme eingeführt.

Das Programm "Save more tomorrow" fand für problematische Verhaltensweisen wie der Überbewertung der Gegenwart, begrenzter Selbstkontrolle, Verlustaversion und Trägheit eine verhaltensökonomische Lösung. Sie hat wahrscheinlich Millionen Menschen geholfen, mehr zu sparen. Die wichtige Botschaft ist jedoch, dass Verhaltensökonomie 2.0 nicht nur funktioniert, sondern äußerst effizient zu besseren Ergebnissen führt (Benartzi und Lewin, 2011).

Doch damit ist es nicht getan. Ich bin ein entschiedener Verfechter davon, die Verhaltensökonomie auch auf die Phase nach dem Eintritt in den Ruhestand auszuweiten.

 
Dieser Artikel wurde ursprünglich in Project M _blank veröffentlicht.

 
 
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Michael Matern

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