Was wir falsch machen

 
Verhaltensökonomen stützen sich dabei im Wesentlichen auf Erkenntnisse des Psychologen Daniel Kahnemann, für die dieser 2002 mit dem Wirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Kahnemann und sein – inzwischen verstorbener – Kollege Amos Tversky waren fasziniert von den "Fehlern", die viele Menschen bei Urteils- und Entscheidungsprozessen immer wieder begehen. Die Ursachen sind ihrer Ansicht nach grundlegende psychologische Faktoren.

Zu den wichtigsten finanziellen Entscheidungen, die wir im Lauf unseres Lebens treffen, gehört zweifelsohne die Altersvorsorge. Mit der Entscheidung für oder gegen einen Vorsorgeplan, mit der Frage wie viel wir sparen oder investieren entscheidet sich, ob der Ruhestand tatsächlich der goldene Lebensabend wird, von dem viele träumen.

Dass sich viele Menschen gerade dabei falsch entscheiden, ist alarmierend, denn diese Fehler führen zu einer dramatischen Verschlechterung des Lebensstandards nach Ende des Berufslebens. Manche Irrtümer zeigen jedoch genau, was die Verhaltensökonomie ausmacht.

Shlomo Benartzi ist Professor an der UCLA Anderson School of Management und Chief Behavioral Economist am Allianz Global Investors Center for Behavioral Finance

Etwa ein Drittel der Arbeitnehmer in den USA, die einem arbeitgeberfinanzierten Pensionsplan wie den 401(k)-Plänen beitreten könnten, tun genau das nicht. Damit fehlen Ihnen nicht nur Rücklagen im Alter, sondern sie verzichten auch auf die Steuerbegünstigungen der 401(k)-Pläne sowie auf die Beiträge der Arbeitgeber.

Das ist verwunderlich, aber nicht einzigartig. In Großbritannien gibt es Rentenpläne, die vom Arbeitgeber finanziert werden und in die Arbeitnehmer nicht einmal selbst einzahlen müssen. Bei Interesse muss man sich lediglich dafür registrieren.

Doch die Hälfte der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer tritt einem für sie völlig kostenlosen Vorsorgeplan nicht bei. Das heißt jedoch nicht, dass die meisten Arbeitnehmer einem solchen Plan nicht beitreten wollen. Im Gegenteil. Untersuchungen zeigen, dass die Mehrheit vorhat, genau das "demnächst" zu tun.

Eine Studie zeigt zum Beispiel, dass Teilnehmer eines Seminars zur finanziellen Bildung nach der Veranstaltung beabsichtigen, bald für ihren Ruhestand vorzusorgen. Doch nur einer von sieben ließ innerhalb von drei Monaten auf diese guten Vorsätze auch Taten folgen (Choi et al., 2006). Dieser deutliche Widerspruch zwischen Vorsatz und Ausführung zeigt, dass Millionen von Arbeitnehmern weltweit allein dadurch finanzielle Fehlentscheidungen treffen, dass sie nichts tun.

Lassen Sie uns nun untersuchen, wie die Verhaltensökonomie solche Fehler erklärt und warum wir letztlich gegen unsere eigenen Interessen handeln.

Drei wichtige psychologische Faktoren sind dabei Trägheit, die Überbewertung der gegenwärtigen Situation und unsere Verlustaversion. Denn viele Menschen sind hyperempfindlich gegenüber Verlusten. Ein Verlust in einer bestimmten Höhe schmerzt uns mehr, als uns ein Gewinn in der gleichen Höhe freut.

Bei der oben beschriebenen passiven Entscheidung gegen einen Pensionsplan spielt vor allem Trägheit eine Rolle. Sie ist eine starke psychologische Kraft, der wahrscheinlich jeder von uns schon einmal begegnet ist. Sie wird auch als "Tendenz zum Status quo" bezeichnet und ist der psychologische Widerstand gegen Veränderungen. Auf diese Weise beeinflusst sie viele unserer Entscheidungen.

Trägheit ist, ähnlich wie kognitive Faulheit, das Bestreben, den intellektuellen Aufwand einer Überlegung so gering wie möglich zu halten. Herbert A. Simon, der erste Psychologe der je mit dem Wirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, schrieb der Reduzierung kognitiver Anstrengungen bei Entscheidungsprozessen eine wesentliche Rolle zu.

Dieser starke Einfluss wird bei dem Thema Organspende deutlich. Zwölf Prozent der Deutschen sind bereit, ihre Organe nach ihrem Tod zu spenden. Schätzt man nun wie viele Organspender in dem Nachbarland Österreich leben, tippen die meisten von uns auf 10 bis 20 Prozent. Angesichts der geographischen Nähe und einer ähnlichen kulturellen Prägung gehen wir meist davon aus, dass der Anteil der Organspender in Österreich ähnlich hoch ist wie in Deutschland.

Weit gefehlt. 99,98 Prozent der Österreicher stellen nach ihrem Tod ihre Organe anderen Menschen zur Verfügung. Von 10.000 Österreichern sind also 9.998 potenzielle Organspender, wohingegen auf 10.000 Deutsche nur 1.200 potenzielle Organspender kommen.

Die finanziellen Fehlentscheidungen von heute, holen uns im Rentenalter ein - und ihre Ursache ist häufig psychologisch, sagt Shlomo Benartzi.

Doch wie lässt sich dieser dramatische Unterschied zwischen zwei Nachbarländern erklären? Richtig, durch Trägheit (Johnson and Goldstein, 2003).

In Deutschland wird für die Organspende die ausdrückliche Zustimmung des Spenders verlangt. Man muss sich aktiv entschließen, im Todesfall zu spenden. Alle, die nichts tun, gelten automatisch als nicht spendewillig. In Österreich herrscht dagegen das Prinzip der indirekten Zustimmung. Alle Österreicher sind potenzielle Spender, wenn sie sich nicht ausdrücklich dagegen entscheiden. In Österreich wird also standardmäßig angenommen, dass Menschen ihre Organe spenden wollen.

Nach den gängigen Theorien der Wirtschaftswissenschaft haben Standardannahmen jedoch nur eine geringe Auswirkung auf tatsächliche Entscheidungen. Denn wenn sie nicht den Vorlieben entsprechen, so heißt es, treffen Menschen gegensätzliche Entscheidungen. Der Fall der Organspende macht jedoch deutlich, dass dem nicht so ist. Unsere Trägheit ist so stark, dass wir in der Regel genau das machen, was dem Standard entspricht. Es ist faszinierend zu sehen, dass ein grundlegendes psychologisches Prinzip wie Trägheit tatsächlich Leben retten kann, wenn das System darauf ausgerichtet ist.

Aber Trägheit spielt auch bei vielen anderen Entscheidungen eine Rolle, unter anderem bei der Altersvorsorge. Und genau hier setzt die Verhaltensökonomie an.

Der Standard, der in den USA vielen 401(k)-Plänen zugrunde liegt, ist der gleiche wie bei der Organspende in Deutschland: Eine ausdrückliche Zustimmung ist erforderlich. Um vorzusorgen müssen Arbeitnehmer also aktiv werden und sich für den Vorsorgeplan registrieren lassen. Handeln sie nicht, so werden sie als Verschwender betrachtet, die kein Interesse daran haben, für die Zukunft zu sparen.

Trägheit und andere psychologische Prinzipien wie kognitive Faulheit können viele unserer finanziellen Fehlentscheidungen erklären. Wenn wir ein Verständnis für unsere finanziellen Fehler entwickeln, ist das also zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wir Verhaltensökonomen sollten mehr tun. Ich bin überzeugt, dass wir Menschen helfen sollten, bessere finanzielle Entscheidungen zu treffen. Und genau hier kommt Verhaltensökonomie 2.0 zum Zug.

 
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Michael Matern

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