Die Enteignung von Lebensversicherungen jüdischer Policeninhaber
Jüdische und nicht-jüdische Kunden der Allianz
Die staatliche Erfassung jüdischer Vermögenswerte
Der Zugriff des Staates auf jüdische Vermögenswerte
Die Konfiszierung von Lebens-versicherungspolicen
Jüdische und nicht-jüdische Kunden der Allianz
In den 1930er und 1940er Jahren hatten mehrere Millionen Menschen Lebensversicherungsverträge bei der Allianz. In den Jahren unmittelbar vor und nach Kriegsbeginn stieg die Zahl der Versicherungsnehmer deutlich an. Eine genaue Bezifferung ist nicht möglich, da ein großer Teil der Policen auch als Sammelpolicen bei Institutionen des Staates oder der NSDAP abgeschlossen wurden. Dabei handelte es sich um Rahmenverträge, die zu den gleichen Konditionen wie Einzelpolicen für eine große Zahl von Angehörigen eines bestimmten Berufsstandes, wie zum Beispiel Lehrer, abgeschlossen wurden.
Das religiöse Bekenntnis eines Kunden war für die Versicherungsgesellschaft bei der Ausstellung einer Police unerheblich. Folglich gab es bei der Allianz keine Kategorie oder besondere Bezeichnung für jüdische Versicherungsnehmer. Aus den Unterlagen, die den Lebensversicherungspolicen zugrunde lagen, war es nicht möglich, zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Versicherungsnehmern zu unterscheiden. Nur wenn die eigentliche Lebensversicherungsakte noch existiert, lässt sich aus diesem Papier feststellen, ob ein Versicherungsnehmer jüdisch war oder nicht. Die Anzahl der jüdischen Kunden kann anhand der vorliegenden Informationen nur geschätzt werden.
Werbung der Allianz Lebensversicherung: Die Zahl fünf verweist auf den Wert des Bestands ihrer Lebensversicherungspolicen, der im Jahr 1938 den Wert von 5 Milliarden Reichsmark erreichte.
Seit Anfang 1937 hatte das NS-Regime den politischen und wirtschaftlichen Druck auf die jüdische Bevölkerung erheblich gesteigert. Der politische Hintergrund dieses Vorgehens war der Vierjahresplan, der Deutschlands Wirtschaft für den Krieg vorbereiten sollte. In diesem Zusammenhang steht auch die Enteignung jüdischer Vermögenswerte. Im Frühjahr 1938 erließ Hermann Göring eine Verordnung, die alle jüdischen Bürger des deutschen Reiches dazu verpflichtete, eine detaillierte Übersicht ihres Vermögens zu erstellen.
Die Betroffenen mussten auf amtlichen Formularen Angaben zu ihrem gesamten Besitz an Grundstücken und Immobilien, Bargeld, Wertpapieren, Lebensversicherungen, Kunstgegenständen, Schmuck und Edelmetallen machen. Diese Informationen dienten den Behörden fortan als Grundlage für die "Arisierung" jüdischer Unternehmen und die systematische Ausplünderung der Juden nach der Pogromnacht.
Formular zur Registrierung des Vermögens der jüdischen Bürger (1938) (Landesarchiv Berlin)
Glossar
Glossar
NS-Wirtschaftspolitik
Der Nationalsozialismus wies der Wirtschaft eine dienende Funktion zu. Die Machtinteressen von Staat und Partei genossen Priorität. Diese Prioritätensetzung wird an der Gliederung der Phasen der NS-Wirtschaftspolitik erkennbar:
1) Phase1933 bis 1936: dirigistische Maßnahmenpolitik zur Belebung der Konjunktur und Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit 2) Phase1936 bis 1942: Vierjahresplanpolitik zur Kriegsvorbereitung und Umstellung auf die Kriegswirtschaft 3) Phase1942 bis 1945: Mobilisierung sämtlicher Ressourcen in der Zeit der "totalen Kriegswirtschaft"
Hermann Göring (1893-1946)
Einer der mächtigsten Politiker im nationalsozialistischen Deutschland, der eine Vielzahl von Ämtern inne hatte: Reichsminister für Luftfahrt, Beauftragter für den Vierjahresplan, wodurch er eine Art Wirtschaftsdiktator wurde, Reichsmarschall der Wehrmacht. Göring war eine zentrale Figur bei der wirtschaftlichen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung.
Der Zugriff des Staates auf jüdische Vermögenswerte
Die Existenzgrundlagen der jüdischen Bevölkerung Deutschlands wurden seit 1933 sukzessive ausgehöhlt. Auch viele Kunden der Allianz mussten ihre finanziellen Reserven angreifen. Zunächst stellten sie meist die Beitragszahlung ein und kündigten schließlich ihre Versicherungsverträge, um Bargeld zu erhalten. Das Geld wurde zum Teil benötigt, um den alltäglichen Bedarf zu decken, aber auch um Sonderabgaben zu bezahlen oder die Auswanderung zu finanzieren.
Auf diese Weise wurden bis 1939 bereits ein Großteil der Lebensversicherungspolicen jüdischer Kunden von diesen selbst rückgekauft. Bei vorzeitiger Kündigung einer Lebensversicherung sinken jedoch sowohl die Erträge des Versicherten als auch diejenigen der Versicherungsgesellschaft. Es wird der sogenannte Rückkaufswert ausgezahlt. Der Rückkaufswert lag erheblich unter der Versicherungssumme, die am Ende der eigentlich vereinbarten Laufzeit des Vertrags ausbezahlt worden wäre. Dies galt insbesondere, wenn der Vertrag erst wenige Jahre lief und entsprechend wenige Prämienzahlungen erfolgt waren.
Statistiken belegen die rapide Zunahme der in den Jahren 1938 und 1939 rückgekauften Policen. Nach der Pogromnacht gingen Staat und Partei endgültig zur radikalen Ausplünderung der Juden über. Viele jüdische Kunden wiesen die Versicherungsgesellschaften nun an, die Rückkaufswerte ihrer gekündigten Versicherungen direkt an die Steuerbehörden auszuzahlen. Damit versuchten sie, die staatlichen Zwangsabgaben für Juden und die hohen Steuerforderungen zu begleichen, die bei einer Auswanderung geleistet werden mussten.
Deckblatt der Lebensversicherungspolice eines jüdischen Kunden von Allianz Leben
Glossar
Glossar
Reichsbürgergesetz
Das Reichsbürgergesetz war Teil der Nürnberger Gesetze von 1935. Es diskriminierte Juden als Staatsbürger mit eingeschränkten Rechten. Sie durften keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden, jüdische Beamte wurden zwangspensioniert und hatten keine politischen Mitwirkungsrechte mehr.
Das Gesetz wurde in den Folgejahren durch eine Vielzahl von Verordnungen ergänzt. So dekretierte z.B. die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1941 die endgültige wirtschaftliche Ausplünderung der Juden durch den NS-Staat.
Rückkaufswert
Bei vorzeitiger Auflösung eines Lebensversicherungsvertrags wird an den Versicherten der Rückkaufswert ausgezahlt. Dies entspricht dem zur Deckung angelegten Kapital, nicht aber der Summe der eingezahlten Prämien. Der Wert ergibt sich nach Verrechnung von Kosten für die Verwaltung und Risikodeckung.
Schon 1933 schuf die nationalsozialistische Regierung die rechtliche Grundlage für die direkte Konfiszierung von Vermögenswerten. Sie erließ das "Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens". Es definierte die Bedingungen, nach denen der Staat Personen, die zu Staatsfeinden erklärt wurden, die deutsche Staatsbürgerschaft aberkennen konnte. Das Eigentum der Ausgebürgerten wurde dabei vom Staat konfisziert. Auch Lebensversicherungen wurden so enteignet.
Diese Vorschriften wandten die Behörden auch an, um das Vermögen jüdischer Bürger nach ihrer Auswanderung zu beschlagnahmen. Die Auswandernden wurden ausgebürgert und ihre Namen im Reichsanzeiger veröffentlicht. Gleichzeitig beschlagnahmte der Staat ihr in Deutschland verbleibendes Vermögen. Im November 1941 wurde schließlich die endgültige Konfiszierung aller jüdischen Vermögenswerte beschlossen. Die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz bestimmte, dass das Vermögen jüdischer Bürger, die Deutschland dauerhaft verließen, an den Staat falle.
Ab diesem Zeitpunkt wurden fast alle Juden, die nicht bereits ausgewandert waren, in Konzentrationslager in Osteuropa deportiert. Nach der Logik der Nationalsozialisten hatten sie damit Deutschland verlassen und ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren. Alle Vermögenswerte wurden dann vom Staat eingezogen.
Die Verordnung verpflichtete zudem alle Personen, Banken und Versicherungsgesellschaften dazu, bei ihnen vorhandenes Vermögen ausgebürgerter Personen an den Staat zu melden. Diese Vermögenswerte mussten dann an die Finanzämter ausbezahlt werden.
Lebensversicherungspolice der Allianz
Glossar
Glossar
Reichsbürgergesetz
Das Reichsbürgergesetz war Teil der Nürnberger Gesetze von 1935. Es diskriminierte Juden als Staatsbürger mit eingeschränkten Rechten. Sie durften keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden, jüdische Beamte wurden zwangspensioniert und hatten keine politischen Mitwirkungsrechte mehr.
Das Gesetz wurde in den Folgejahren durch eine Vielzahl von Verordnungen ergänzt. So dekretierte z.B. die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1941 die endgültige wirtschaftliche Ausplünderung der Juden durch den NS-Staat.