Die Geschichte der materiellen Wiedergutmachung nach 1945
Schon während des Zweiten Weltkrieges legten die Alliierten die rechtlichen Grundlagen für die Wiedergutmachungsleistungen für Opfer des Nationalsozialismus. Die künftige Verwaltung für Deutschland erhielt das Recht, alle Vermögenswerte zu konfiszieren, die sich der nationalsozialistische Staat durch Druck oder Gewalt angeeignet hatte.

Ein amerikanisches Militärgesetz von 1947 bestimmte, dass solche Vermögenswerte entweder zurückgegeben oder entschädigt werden müssten.

Das Gesetz wurde zur Leitlinie für die Politik der Bundesrepublik Deutschland. 1951 formulierte Bundeskanzler Konrad Adenauer den Standpunkt des neugegründeten Staates: "Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind."

1952 schloss Deutschland mit dem Staat Israel das Luxemburger Abkommen. Darin definierte sich die Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgerin des Deutschen Reiches. Sie verpflichtete sich zu Zahlungen an den Staat Israel und die Conference on Jewish Material Claims against Germany. Das Bundesentschädigungsgesetz und das Bundesrückerstattungsgesetz regelten 1956/57 die Kategorien und Regeln der Wiedergutmachungsleistungen für die Opfer der Verfolgung.
Bundeskanzler Konrad Adenauer und der israelische Außenminister Mosche Scharett unterzeichnen 1952 das Luxemburger Abkommen über Wiedergutmachung - Bundesbildstelle Berlin
Bundeskanzler Konrad Adenauer und der israelische Außenminister Mosche Scharett unterzeichnen 1952 das Luxemburger Abkommen über Wiedergutmachung - Bundesbildstelle Berlin
Glossar
Das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 regelt die materielle Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Anspruchsberechtigt war, wer aufgrund seines Glaubens, seiner ethnischen Identität oder seiner Weltanschauung verfolgt wurde. Opfer der Verfolgung oder ihre Nachkommen konnten die Rückerstattung verlorenen Eigentums, finanzielle Entschädigung für den Verlust von Freiheit und Besitz, Schädigung der Gesundheit, entgangene Einkommens- und Ausbildungschancen beantragen.
Katholisch-konservativer Politiker und Oberbürgermeister von Köln. 1933 von den Nationalsozialisten seiner Ämter enthoben. Konrad Adenauer wurde bis 1945 mehrfach inhaftiert. Einer der Gründer der christdemokratischen Partei (CDU) und 1. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949-1963). In seiner Kanzlerschaft wurden die Politik der Wiedergutmachung geprägt und die politischen Beziehungen zum Staat Israel aufgebaut.
David Ben Gurion war Staatsmann, Politiker, Gewerkschaftsfunktionär und einer der Gründer des Staates Israel. Er war mehrfach israelischer Ministerpräsident und unterstützte den Aufbau der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland.
Israelischer Politiker: Außenminister Israels von 1948 bis 1956 und zugleich von 1953-1955 Ministerpräsident. 1952 unterzeichnete er mit Bundeskanzler Konrad Adenauer das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen.
Chronik
  • Verkündung des Marshall-Plans zum Wiederaufbau Europas
  • Militärgesetz Nr. 59: Pflicht zur Rückgabe- bzw. Entschädigung enteigneter Vermögenswerte
Dimensionen und Grenzen
Die Dimensionen des Verbrechens, die Deutschland zu verantworten hatte und das Ausmaß an Leid, das den Hinterbliebenen der Millionen von Opfer zugefügt worden war, machte eine vollständige Wiedergutmachung unmöglich. Zumindest sollte den ethischen Standards, die die nationalsozialistische Gesellschaft durch die Shoa beseitigt hatte, wieder Geltung verschafft werden.

Die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland sah sich in der Nachfolge des NS-Unrechtsregimes. Sie stellte sich ihrer geschichtlichen Verantwortung, indem sie zumindest Angebote zur materiellen Entschädigung entwickelte. Der Grundgedanke dabei war, die Geschädigten mittels finanzieller, rechtlicher und ideeller Leistungen mit vergleichbaren nichtgeschädigten Bevölkerungsteilen gleichzustellen. Auch außenpolitische Interessen beeinflussten die Politik der Wiedergutmachung. Sie war auch ein Instrument, um die Rückkehr des neuen deutschen Staates als gleichberechtigtes Mitglied in die internationale Gemeinschaft der Völker vorzubereiten.

Die Opfer der Verfolgung oder ihre Nachkommen hatten Anspruch auf die Rückerstattung verlorenen Eigentums sowie finanzielle Entschädigung für den Verlust von Freiheit und Besitz, Schädigung der Gesundheit und entgangene Einkommens- und Ausbildungschancen. Das schließt auch die Entschädigung von Zwangsabgaben, wie die Reichsfluchtsteuer und die Vermögensabgabe von 1938 ein.

Insgesamt wurden im Rahmen dieser Programme etwa 4,4 Millionen Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Bis Ende 2019 zahlte die Bundesrepublik weltweit Leistungen zur materiellen Wiedergutmachung in Höhe von etwa 78 Milliarden Euro. Die Zahlungen gehen weiter.
Studie zur Entschädigung jüdischer NS-Opfer des australisch-israelischen Historikers Ronald Zweig (1987)
Studie zur Entschädigung jüdischer NS-Opfer des australisch-israelischen Historikers Ronald Zweig (1987)
Glossar
1934 verschärften die Nationalsozialisten die 1931 eingeführte Steuer, die ursprünglich zur Eindämmung von Kapitalflucht beschlossen worden war. Die Novellierung verfügte eine Abgabe in Höhe von 25% auf Vermögen ab 50.000 Reichsmark: Die Reichsfluchtsteuer wurde damit zu einem zentralen Bestandteil der Ausraubung auswandernder Juden durch den nationalsozialistischen Staat.
Das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 regelt die materielle Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Anspruchsberechtigt war, wer aufgrund seines Glaubens, seiner ethnischen Identität oder seiner Weltanschauung verfolgt wurde. Opfer der Verfolgung oder ihre Nachkommen konnten die Rückerstattung verlorenen Eigentums, finanzielle Entschädigung für den Verlust von Freiheit und Besitz, Schädigung der Gesundheit, entgangene Einkommens- und Ausbildungschancen beantragen.
Chronik
  • Das Bundesergänzungsgesetz regelt die Wiedergutmachung für NS-Opfer, seit 1956 Bundesentschädigungsgesetz
Die Rolle der Unternehmen bei der Wiedergutmachung
Der Versuch einer materiellen Wiedergutmachung für die Opfer des NS-Regimes war eine der dringendsten Aufgaben des neuen deutschen Staates.

Die gesamte Wirtschaft, somit auch die Allianz, wurde mit Ansprüchen und Forderungen der Opfer von politischer Verfolgung und wirtschaftlicher Ausplünderung konfrontiert. Dies betraf konkret den Umgang mit den Interessen ehemaliger jüdischer Mitarbeiter, mit jüdischen Alteigentümern "arisierten" Eigentums und jüdischen Inhabern von Lebensversicherungspolicen.

Forderungen jüdischer Kunden gegen die Allianz aus noch offenen Lebensversicherungspolicen gab es nur selten. Dies lag vor allem daran, dass ein Großteil der Policen von den jüdischen Inhabern in den 1930er Jahren rückgekauft worden waren. Die Allianz hatte diese Versicherungen dabei ausbezahlt und die Verträge waren somit beendet. Für verfolgungsbedingte Schäden aus der vorzeitigen Kündigung von Policen - deren Erträge dann vom Staat dem Eigentümer entzogen wurden - hatten die Policeninhaber und ihre Angehörigen Anrecht auf Wiedergutmachung durch die Bundesrepublik Deutschland.

Policen, die bis 1941 vom Inhaber nicht rückgekauft worden waren, beschlagnahmte der NS-Staat direkt. Nach der Konfiszierung mussten die Unternehmen die Lebensversicherungen an die Finanzbehörden auszahlen.

Hingegen gab es mehrere Entschädigungsforderungen an die Allianz, die aus "Arisierungen" resultierten. Diese Ansprüche wurden meist in den 1950er oder 1960er Jahren geklärt.

1949 forderte so zum Beispiel der in New York lebende Sohn von Else und Julius Basch die Rückerstattung des Wohn- und Geschäftshauses, das die Allianz 1940 von der für "Arisierungen" zuständigen "Vermögensverwertung München" gekauft hatte. Die Allianz einigte sich auf einen Vergleich mit dem Sohn von Else und Julius Basch. Sie leistete in Ergänzung zu dem 1940 entrichteten Preis eine Zahlung von 1,1 Millionen DM.
Die Allianz berechnet den Wert einer vom nationalsozialistischen Staat konfiszierten Lebensversicherung für das Entschädigungsverfahren und erhält dafür eine Erstattung von der Entschädigungsbehörde
Die Allianz berechnet den Wert einer vom nationalsozialistischen Staat konfiszierten Lebensversicherung für das Entschädigungsverfahren und erhält dafür eine Erstattung von der Entschädigungsbehörde

Gerd Modert
Corporate Historian

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