Vor 70 Jahren: Der Novemberpogrom

In der Pogromnacht zerstörten die Täter nach neuesten Forschungen weit über 1000 Synagogen in Deutschland sowie über 7500 Geschäfte. 400 jüdische Mitbürger wurden von den Nationalsozialisten ermordet oder nahmen sich im Zusammenhang mit der Pogromnacht das Leben. Über 30.000 jüdische Bürger wurden in Konzentrationslager verschleppt.

Die Pogromnacht markierte eine weitere Verschärfung auf dem Weg zum vollständigen Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus der deutschen Gesellschaft.

Allianz Vorstand Eduard Hilgard, damaliger Leiter der Reichsgruppe Versicherung

Dem Pogrom folgten gesetzliche Anordnungen, die den Prozess der Enteignung forcierten, die Auswanderung der Juden beschleunigten und sie noch stärker aus dem gesellschaftlichen Leben isolierten.

Diese Anordnungen waren das Ergebnis einer von Hermann Göring, als Beauftragter für den Vierjahres Plan der oberste Verantwortliche für das nationalsozialistische Wirtschaftsprogramm, einberufenen Konferenz, die am 12. November 1938 im Berliner Reichsluftfahrtministerium tagte.

In dieser Sitzung am 12. November 1938 berieten unter Görings Regie etwa 100 Vertreter aus der Ministerialbürokratie und den Sicherheitsdiensten, der Polizei und Parteigliederungen der NSDAP mit einzelnen Vertretern aus der Wirtschaft über die Folgen des Pogroms.

Konkretes Resultat der Konferenz waren folgende Maßnahmen:

  • Unter dem Vorwand einer Wiedergutmachung für den Mord an dem Diplomaten Ernst vom Rath – der bereits als Anlass für die Pogromnacht missbraucht worden war – wurde der gesamten jüdischen Bevölkerung eine sogenannte "Sühneleistung" auferlegt. Dies war eine pauschale Zwangsabgabe von einer Milliarde Reichsmark an den Staat.
  • Mit der ebenfalls nach dem 12. November 1938 von Göring erlassenen "Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes" konfiszierte das Reich alle eventuell existierenden Sachversicherungsansprüche deutscher Juden (Feuer-, Glas- Schmuckversicherung).

Die NS Behörden erließen in der Folge der Sitzung eine Fülle diskriminierender Verordnungen, die der jüdischen Bevölkerung innerhalb weniger Wochen grundlegende alltägliche Rechte und Freiheiten raubten. Dazu gehörten z. B. der Ausschluss von Juden von den Universitäten, die Einziehung von Führerscheinen und der Zwangsverkauf von Autos oder die Auflösung jüdischer Organisationen. Die Versicherten waren von den Richtlinien für die Schadenregulierung betroffen:

  • Alle Ansprüche von nichtjüdischen Geschädigten und jüdischen Versicherten mit ausländischer Staatsbürgerschaft mussten aus Rücksicht auf internationale Verpflichtungen erfüllt werden.
  • Alle Ansprüche jüdischer Geschädigter mit deutscher Staatsangehörigkeit durften aufgrund einer ministeriellen Verordnung nicht an den Versicherungsnehmer ausgezahlt werden, sondern wurden vom Staat konfisziert.

Allianz Vorstand Eduard Hilgard nahm als Leiter der Reichsgruppe Versicherung, der vom NS-Regime zwangsweise geschaffenen Interessenvertretung der Versicherungen innerhalb der NS-Wirtschaftsordnung, an der Sitzung teil. Er wurde als höchster Repräsentant der privaten Versicherungswirtschaft zu dem Teil der Konferenz zugezogen, der sich mit Fragen der Versicherungshaftung für die materiellen Pogromschäden befasste. Die Versicherungswirtschaft wurde schließlich verpflichtet, eine einmalige Pauschalsumme von 1,3 Millionen Reichsmark für die Ansprüche der geschädigten deutschen Juden an das Reich zu zahlen.

Hinter diesen Fakten verbergen sich eine Vielzahl menschlicher Schicksale. Die Allianz hat 1997 den renommierten Wirtschaftshistoriker Prof. Gerald D. Feldman beauftragt, diese komplexen Zusammenhänge zu erforschen. 2001 hat er seine Studie "Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945", herausgegeben. In dem fast 800 Seiten starken Buch stellt er anschaulich die Hintergründe und Akteure rund um die Pogromnacht und die staatliche Konfiszierung und Enteignung von Versicherungsansprüchen dar.

Die Allianz war darüber hinaus Gründungsmitglied der 1998 geschaffenen "International Commission on Holocaust Era Insurance Claims" (ICHEIC) und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft". Die "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft" brachte die Hälfte des Stiftungskapitals der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (Stiftung) auf. Stiftung, ICHEIC und der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) kooperierten bei der Entschädigung von - trotz umfangreicher Entschädigungsprogramme nach dem 2. Weltkrieg - unbezahlten oder entzogenen und bislang nicht entschädigten Versicherungspolicen. Die Arbeit der Stiftung sollte sicherstellen, dass Opfer nationalsozialistischer Ausbeutung und Verfolgungen entschädigt werden und offene Vermögensfragen, die aus dem Holocaust und der Zwangsarbeit resultierten, geklärt werden.

Nach dem Abschluss der Auszahlungen der Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und von anderem Unrecht aus der NS-Zeit Betroffene ist es jetzt Aufgabe der Stiftung, Projekte zu fördern, die der Völkerverständigung, den Interessen von Überlebenden des NS-Regimes, dem Jugendaustausch, der sozialen Gerechtigkeit, der Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme und Gewaltherrschaft und der internationalen Zusammenarbeit auf humanitären Gebiet dienen.


Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen, der Ihnen hier zur Verfügung gestellt wird.
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