Günther Thallinger: Ist unser Klima noch zu retten? Aktuelle Strategien der Industrie und Politik

Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

vielen Dank, lieber Herr Fromme, für Ihre freundlichen Worte zu meiner Einführung. 

Ich freue mich sehr, hier unter Ihnen zu sein! Denn es geht um ein wichtiges Thema. Und ein Thema, das mir in den letzten Jahren ans Herz gewachsen ist. 

Was können, nein!: was MÜSSEN wir tun, um den Klimawandel anzuhalten, um dann als Menschheit die Chance zu haben, das Klima zu normalisieren? Was muss geschehen, damit Mensch und Natur wieder zu einem Gleichgewicht gelangen? 

Bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich meine Rede nicht mit einer feurigen Anekdote oder einem knallenden Witz einleite. Und die Zeiten sind nicht so, dass einem zu Späßen zumute wäre. 

Die Wiederkehr von Krieg in Europa, geopolitische Spannungen sowie die fehlende Nachhaltigkeit unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft…

Es handelt sich um sehr ernsthafte Herausforderungen. 

Nein, der Klimawandel ist eine Realität, keine Einbildung. 

Ich werde in den nächsten 30 Minuten also sprechen über:   

  • Erstens, wo wir gerade stehen.
  • Zweitens, was uns hoffen lässt.
  • Vor allem geht es mir – drittens – um konkrete Handlungen, die den gegenwärtigen Klimatrend anhalten und dann umdrehen. Und wie sich Weltwirtschaft und Geopolitik dadurch verändern werden.

Noch ein Punkt vorab: Klimawandel ist ein Symptom einer nicht nachhaltigen Gesellschaft und ihrer Wirtschaft. Verlust von Biodiversität oder Plastik in den Meeren oder auch unseren Lungen sind weitere Sympthome. Eine nachhaltige Wirtschaft würde allen Menschen ein gesellschaftliches Minimum sichern ohne ökologische Grenzen zu überschreiten. Heute schaffen es nicht alle Menschen dieses gesellschaftliche Minimum zu sichern. Obwohl wir ökologische Grenzen brechen! 

Eine der Hauptgründe ist die teilweise extreme wirtschaftliche Ungleichheit. Der Club of Rome bilanziert: Derzeit verbraucht die reichste Milliarde Menschen 72% der globalen Ressourcen. Im Gegensatz dazu verbleibt für die ärmsten 1,2 Milliarden Menschen gerade mal 2% der Ressourcen. 

Klimawandel ist nur ein Symptom der nicht nachhaltigen Gesellschaft.

Zum ersten Punkt. Wo stehen wir?

Die Wissenschaft warnt: Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die durchschnittliche Temperatur um mehr als 1,5 Grad Celsius erhöht. Denn die 1,5 Grad markieren eine Grenze. Jenseits dieser Marke drohen die tiefgreifendsten Effekte des Klimawandels Realität zu werden. 

Schon jetzt ist es so: Hitzewellen, Sturm, Starkregen nehmen zu. Diese Phänomene verstärken sich deutlich mit jedem Zehntel Grad Erwärmung. Machen wir weiter, steuern wir auf Kipppunkte zu. Also ein Zustand, der den Klimawandel nochmals beschleunigt. Sie kennen die Beispiele: 

  • Tauende Permafrostböden und Eisschilde,  
  • Störungen der atlantischen Umwälzzirkulation,
  • Destabilisierung des Amazonas-Regenwalds … 

… das sind alles Effekte, deren Wechselwirkung und kumulierende Resultate sehr schwer einzuschätzen sind.

Für manche sind das weiterhin räumlich und zeitlich weit entfernte Entwicklungen. Daher kurz etwas von unserem Hier und Jetzt: Niederschläge sind selten, wir erleben gerade eine Trockenperiode– jetzt im Februar. Frankreich: 32 Tage für Niederschläge, Alpen >60% weniger Niederschlag. Das kommt wieder sagen Sie? Dann etwas zur Hitze: Sie wissen, dass viele Regionen global unter Hitzewellen zu leiden hatten. Wussten Sie auch, dass (Frau Roßbach, Präsidentin) die dt. Rentenversicherung davon ausgeht, dass Ausgaben weniger wachsen werden: wegen Covid/Corona und wegen extremen Heiß-Sommern!

Inzwischen haben wir auch erkannt, was für Vorteile eine Wirtschaft bietet, die auf erneuerbare Energien aufgebaut ist. 

  • Sie erhöht die Unabhängigkeit von geopolitischen Verwerfungen. Kann also zu unserer Sicherheit beitragen.
  • Und sie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit. Denn erneuerbare Energien sind wesentlich günstiger als fossile.

Was bisher geschah, ist unzureichend. Nehmen wir mal an, sämtliche Länder, die das Pariser Abkommen unterzeichnet haben, halten ein, was sie zum Schutz des Klimas bis 2030 versprochen haben. Dann würden die Klimagas-Emissionen gerade mal über die nächsten zehn Jahre stabilisiert.

Nötig ist aber die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 35% bis 60% zu verringern. 

Und selbst die gerade angesprochene Stabiliserung der Emissionen ist ein reiner Hoffnungswert. Denn fast alle Staaten sind auf dem Weg ihre ambitionierten Paris-Klimaziele zu verfehlen. Auch Deutschland.  

Es gibt immerhin eine Reihe von Entwicklungen, die zuversichtlich machen: Die Menscheit kann die große Transformation packen. Damit bin ich beim zweiten Punkt meiner Rede angelangt. 

Was also macht Hoffnung? Ich zähle auf:

1. Die USA und Europa haben den Wendepunkt bereits überschritten. Dort fallen die Emissionen. Absolut. 

2. China, das heute rund ein Drittel aller Emissionen weltweit ausstößt, steuert um. Die zusätzlich generierte Wind- und Solar-Elektrizität werden in diesem Jahr vermutlich 359TW betragen. 2021 waren es noch 255TW. Der insgesamt aus erneuerbaren Energien gewonnene Strom dürfte in 2023 damit annährend dem gesamten Elektrizitätsverbrauch von Indien entsprechen. Oder dem doppelten Stromkonsum von Brasilien und Kanada zusammen. Wir reden hier also über maßgebliche Zahlen. Würden andere Staaten so viel wie China in den Ökostrom investieren, dann wäre deren Versorgung schon heute dekarbonisiert.

3. a) Erstmals übertrafen die Investionen in Wind- und Solaranlagen mit 490 Mrd. US-Dollar das Investitionsbudget, das in Öl- und Gasbohrungen floss. Im Vorjahr gingen noch 357 Mrd. US-Dollar in Ökostromanlagen. 

b) Regierungen, Haushalte und Unternehmen investierten kräftig in Energieeffizienz. 2022: 560 Mrd. US-Dollar vor allem für Elektromobilität und Wärmepumpen.

4. a) Die Politik greift das Thema viel engagiert auf als bisher. Das zeigt schon der Vergleich der Bundestagswahlkämpfe 2017 und 2021. Friday-for-Future bewegt ganz besonders.

b) Die öffentliche Hand setzt wirksame Anreize, um die Transformation voranzutreiben. 

  • In den USA werden grüne Technologien über den Inflation Reduction Act mit 369 Mrd. US-Dollar subventioniert.
  • Die EU-Kommission will über den Net-Zero Industry Act 270 Mrd. US-Dollar für saubere Technik bereitstellen. 

5. Geopolitische Spannungen, natürlich auch der Überfall auf die Ukraine, so furchtbar er ist, gibt dem Thema Auftrieb. Um fünf bis zehn Jahre hat der Krieg den ökologischen Wandel beschleunigt, rechnet der Economist vor. 

  • Denn die hochschießenden Preise für fossile Brennstoffe haben den Energieverbrauch verringert – wenn auch nur um 2%.

6. Maßgebliche Staaten legen auch bei der Formulierung ihrer Ökoziele den nächsten Gang ein. 

  • Die Verdoppelung der installierten Solarkapazität in der EU soll nun schon 2025 statt 2030 erfolgen.
  • Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Deutschland soll 2030 bereits 80% und nicht 65% betragen.
  • Erstmals nennt China ein Ziel für den Anteil Erneuerbarer an der Stromerzeugung. Sie sollen 2025 33% ausmachen. 

7. a) PACE (Planetory Health Action Survey, Uni Erfurt), 7 von 10 unterstützen den Klimaschutz im Allgemeinen mittel bis stark.

b) Absenkung von MWST (Feb 2023, Umfrage) für pflanzliche Lebensmittel wird unterstützt, eben auf pflanzliche (7 -> 0%) und Fleisch erhöhen (7 –> 19%)!

  • Ein weiterer Grund zu hoffen: Auch Unternehmen verändern sich stark. Zuweilen ist ihr Klima-Engagement sogar ambitionierter als in der Politik. Die Öffentlichkeit fordert es. Die Mitarbeiter wollen es. 

Es gibt Netzwerke, in denen Firmen bei der Verwirklichung von „Netto-Null“ zusammenarbeiten, weil sie die neue Steuerung gemeinsam einführen. Ein Beispiel ist die Net Zero Asset Owner Alliance, dessen Steering Group ich vorsitze. Mehr als 80 institutionelle Investoren haben sich hier zusammengetan. Gemeinsam steuern sie rund 11 Billionen Kapitalanlagen. Wir haben uns ein ambitioniertes Ziel bereits für 2025 gesetzt. Nämlich eine Verringerung der Emissionen in unseren Anlageportfolios um 25%. Und wir berichten kontinuierlich darüber, wo wir stehen.

  • Integration von Nachhaltigkeitsinformation mit Finanzinformation („2-Hände“-Politik)

Und zu guter Letzt: Die Technologien gibt es. Wir müssen umstellen, eben auf bekannte Technologien. Kein Warten auf Erfindungen ist nötig!

Kurze Zwischenbilanz: Ja, es ist viel in Bewegung gekommen zum Schutz des Klimas. Das hat unter anderem zur Folge: Wir müssen nicht mehr befürchten, dass sich die durchschnittliche Temperatur der Atmosphäre um 5 Grad Celsius erhitzt. Das war noch vor wenigen Jahren eines der Szenarios, wenn auch das negativste. Und nun ist es vom Tisch. 

Aber es bleibt immer noch viel zu tun. Wie soll es weitergehen? Ich habe diesen dritten Teil meiner Rede zu drei Thesen zusammengefasst. 

These Nummer eins: Die Transformation muss alle mitnehmen. 

Einzelaktionen der Wirtschaft, Vorgaben von der Politik, Verbote und Zwang .  .  . das alles wird nicht zureichend sein. Wenn es nicht eingebettet ist in den breitabgestützten Konsens einer Gesellschaft, der da lauten könnte: 

„Wir wollen anders leben als bisher.“ Dahinter steckt auch die Aussage, das Wissen: „Nur auf einem gesunden Planeten, in einer gesunden Umwelt können wir Menschen leben, überleben.“

Sind wir bereit zu Verhaltensänderungen? Bereit, Wertevorstellungen zu hinterfragen? 

Die Gleichung „Erfolg = viel Geld verdienen“ egal, welche Ressourcen gebraucht werden, überzeugt nicht mehr.

„Was ist ein gutes Leben“ muss jetzt jeder für sich neu beantworten.

Zuviel? Einfache Beispiele, was jeder Einzelne beitragen kann, gibt es viele.

1. Nahrung: 

a) Ein Drittel aller produzierten Nahrung landet im Müll oder verdirbt. Dieses Drittel steht für 10% aller Treibhausgas-Emissionen. Kaufen und zu produzieren, was wir tatsächlich auch aufessen können und wollen?

b) Fleischkonsum ist ursächlich für 14,5% der Emissionen. Das klimaschädliche CO2, Methan und Lachgas gehen mit der Fleischproduktion einher. Würde es nicht zufriedener machen, wenn wir unseren Fleischkonsum Schritt für Schritt reduzieren? Es wäre förderlich für unsere persönliche Gesundheit - und würde einschneidend helfen, den Klimawandel zu verlangsamen.

2. Mobilität:

Warum nicht öfter die Bahn und den Öffentlichen-Personen-Nah-Verkehr nutzen, ergänzt durch Mietautos? Statt immer und überall mit tonnenschweren Privatautos zu fahren. Die in Summe, trotz aller technischen Fortschritte, immer noch hohe Emissionswerte produzieren.

Nicht verblüffend, dass die Uni Erfurt erforscht hat: 70% wollen effektiv Klimaschutz unterstützen.

Am Rande: SUVs produzieren rund 1 Gt CO2. Nach der Elektrizität sind SUVs der zweitgrößte Verursacher der Emissionssteigerungen 2010 bis 2020! 


Was kann die Politik tun, damit die Transformation Fahrt aufnimmt?

1. Sie setzt Rahmenbedingungen, die Preismechanismen stärker am CO2-Ausstoß ausrichtet. Ideal: Preis für CO2; aber keine Unterstützung durch USA, daher weltweit nicht umsetzbar. Diese Rahmenbedingungen (wie CBAM) stellen sicher, dass Klima in die Entscheidungsfindung integriert wird und dass die Unternehmen, die sich transformieren, geschützt werden, d.h. nicht an „Trittbrettfahrer“-Geschäft verlieren?

2. Subvention – eben gezielt. 

Die Politik muss einen Ausgleich für ärmere Haushalte bereitstellen, der Zumutungen der Transformation kompensiert. Subventionen könnten hier das Mittel der Wahl sein. Sie müssen jedoch so umgewidmet werden, dass sie nicht mehr fossilen Energieträgern pauschal zugutekommen. Und dennoch „Transformationsverlierern“ und Bedürftigen stärker helfen als bisher.

3. Gemeinsam mit unseren Regierungen muss auch dafür gesorgt werden, auf dem Weg zu Netto-Null die Verfügbarkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit der Energiebereitstellung nicht leiden zu lassen.

Kommt es hier zu Brüchen, ist die Gefahr groß, dass ein ambitionierter Klimaschutz aufgegeben wird – möglicherweise mit irreversiblen Folgen. Die Volkswirtschaften brauchen also unbedingt Puffer, die Voltilität, Knappheit oder Unverfügbarkeit abfangen. Dazu komme ich noch einmal.

These Nummer zwei: Die Industrie kann nicht warten. 

Nichts Geringeres ist angesagt als der komplette Umbau des Energiesystems, des industriellen Produktionsapparats und des Transports. Das kann eine sehr wettbewerbsfähige Wirtschaft ergeben. Wenn es gelingt, weite Teile zu elektrifizieren!

Die Unternehmen müssen sich im Hinblick auf Netto-Null Ziele setzen. Und so der Politik die Möglichkeit geben, Zielzustände zu kommunizieren; wie sieht eine Elektrizitätswelt in 2030 aus? Was muss dafür umgesetzt werden (siehe Osterpaket über BMWK 2022). Und kontinuierlich über nachvollziehbare Etappenerfolge berichten. Das schafft Vertrauen - auf das sie dringend angewiesen sind angesichts einer immer kritischeren Mitarbeiterschaft und Öffentlichkeit.

Es geht darum, eine zyklische Produktion zu ermöglichen bzw. Volkswirtschaft aufzustellen, die den Ressourcenbedarf drosselt. Viele Experten und Unternehmen bestätigen: die Technologie gibt es.

Der Finanzsektor ist maßgeblich für den Aufbau der ökologischen Industriegesellschaft. Denn nur unter seiner Beteiligung ist der gewaltige Investitionsbedarf zu finanzieren. Die Umstellung auf Netto-Null bis 2030 wird global vermutlich 30 Billionen US-Dollar verschlingen. Um diese Summen zu stemmen, müssen die jährlichen Investitionen bis 2025 das Vierfache des Betrags ausmachen, der 2016 bis 2022 eingesetzt wurde. 

Das sind große Zahlen. Aber dennoch „nur“ 2% bis 4% des Bruttoinlandprodukts pro Jahr!

Gut angelegt wird das Geld allemal sein. 

These Nummer drei: Die beherzte Umstellung auf Netto-Null ist ein geopolitischer Akt.

Die Umstellung auf Netto-Null ist ein Herkulesakt. Der Investitionsbedarf bis 2050 ist groß, riesig – habe ich schon erwähnt. Da können Verwerfungen, ein Auf und Ab von Staaten, Volkswirtschaften und Unternehmen im Übergang nicht ausbleiben.

Zusammenarbeit – Das gilt nicht nur für kleinere Staaten. Deutschland und die EU tun gut daran, Partnerschaften, insbesondere zu den USA zu suchen. Auch wenn diese Partnerschaft nicht frei von Hindernissen sein dürfte. Schon heute ist deutlich, dass die Vereinigten Staaten und China Gewinner einer ökologischen Transformation sein werden. Bewegt sich Russland auf der Verliererbahn?

Wer gewinnt, wer verliert im Netto-Null-Wettlauf? Wird es „Saubere-Energie-Supermächte“ geben, die mit günstigem Kapital und Innovationsstärke die Entwicklungen über längere Zeit bestimmen? 

Voraussetzung dafür ist, dass man über besonderes Know-how, Technologien, Rohstoffe oder Kostenvorteile verfügt. Auch wer Standards setzt, kann Vorteile sichern!

  • Ein Beispiel ist Know-how und Betrieb von Kernenergie. Ohne sie wird Netto-Null kaum gelingen. Wer auf sie verzichtet, wird zukünftig nur hinnehmen können, was andere vereinbaren. Im März 2018 befanden sich 56 Kernreaktoren in 15 Ländern im Bau. Darunter allein 18 in China, jeweils sechs in Indien und Russland, sowie jeweils vier in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Korea. Mehr als 150 weitere Reaktoren in rund 25 Ländern befinden sich im Planungsstadium. In der EU betreiben 13 der 27 Mitgliedstaaten derzeit Kernkraftwerke. Gegenwärtig wird in der Slowakei, in Finnland und in Frankreich ein Kernkraftwerk gebaut.

    Die Kernkraft ist ein Wachstumssektor – auch wenn wir das nicht gerne hören. China und Russland werden in der Lage sein, die Standards für diese Technologie zu definieren und durchzusetzen. Einschließlich der strategisch-sicherheitspolitisch bedeutsamen Frage, wie Verträge über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen zukünftig gefasst sind. 
  • Wasserstoff und Ammoniak als Treibstoffe mit niedrigen Emissionen sind ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Kräfte im Zuge der internationalen Klimapolitik verschieben. So haben Australien, Chile, Japan und Saudi Arabien früh mit grenzüberschreitendem Handel begonnen. Die Internationale Energieagentur erwartet: Diese Treibstoffe werden etwa 30% des zukünftigen energiebezogenen Handels ausmachen. Es steht zu vermuten: Diese Länder werden zukünftig die Standards bestimmen und bei der analytischen Verarbeitung entsprechender Daten führend sein. 
  • Auch Kupfer, Kobalt, Lithium, Nickel und seltene Erden werden bei der Umsteuerung auf eine ökologische Industriegesellschaft einen enormen Bedeutungszuwachs erleben. Die Internationale Energieagentur schätzt: Das benötigte Volumen dieser Substanzen wird sich im Zuge der Transformation versechsfachen. Wer über sie verfügt, dem wächst in der Weltwirtschaft Macht zu.

    Und wie sind hier die Karten verteilt? 50% des Kobalts kommt aus der Republik Kongo, 50% des Lithiums aus Australien, 50% seltener Erden aus China. In China ist auch ein großer Teil der Verarbeitungs- und Anreicherungsprozesse konzentriert. Zum Vergleich: Dagegen halten die aktuell größten Öllieferanten – USA, Russland und Saudi-Arabien – jeweils nur 10% Marktanteil. Damit wird klar, wie wichtig es zukünftig sein wird, auf eine zirkuläre, recycling-orientierte Organisation der Wirtschaft einzuschwenken, um Abhängigkeiten zu mildern.
  • Des weiteren könnte es zu geopolitischen Machtverschiebungen kommen aufgrund der Fähigkeit, klimastrategisch wichtige Komponenten unschlagbar kostengünstig herzustellen. China etwa produziert 75% der weltweit benötigten Polysillikon-Kristalle, die entscheidend sind für photovoltaische Solaranlagen und für die Elektroindustrie. Und 90% der Wafer für Solarzellen.

Dies wird den globalen Handel befeuern. Es könnte so kommen. Doch auch das Gegenteil ist möglich. Die Internationale Energieagentur erwartet eher einen rückläufigen Energiehandel. Denn der Elektrizitätsbedarf steigt substantiell. In den Vereinigten Staaten etwa muss die Stromproduktion verdoppelt oder gar vervierfacht werden. Und da Strom nur sehr schwer speicherbar ist und auch nicht über weite Strecken transportiert werden kann, werden Staaten eher bestrebt sein, die eigene Entwicklung zu fördern und sich unabhängig zu machen. Also protektionistisch zu agieren.

Und was passiert auf dem Weg zur ökologischen Industriegesellschaft mit den Petrostaaten? Zunächst: Ihr Hauptrohstoff wird auch in einer Netto-Null-Welt benötigt. Nicht in dem Ausmaß wie heute, ja sogar zu deutlich geringeren Mengen. Doch etwa die Hälfte, mindestens aber ein Viertel des heute verbrauchten Öl-und Gasvolumens wird nach wie vor gefragt sein. 

Schreibt die Internationale Energieagentur 2021

Es dürfte zu Verdrängungen kommen und infolgedessen zu stärker ausgeprägten Oligopol-Strukturen. Einzelne Anbieter werden davon sehr profitieren. Diese Entwicklung wird noch beschleunigt durch die Entscheidung einzelner Länder, gänzlich aus der Öl-und Gaswirtschaft auszusteigen. Erwartet werden wiederkehrende Knappheiten am Markt und damit Preissprünge bei diesen – trotz allem – unverzichtbaren Rohstoffen.

Ich komme zum Schluß. Ich glaube, wir können es schaffen.

Führung ist gefragt. Führung muss

  • Klimaabkommen verhandeln,
  • Verpflichtungen zur Dekarbonisierung schreiben,
  • Fortschritt steuern und dazu Berichte veröffentlichen,

darf sich aber nicht darauf beschränken.

Führung muss die wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken der Transformation adressieren. Und daran arbeiten, dass diese minimiert werden. 

Die Gefährdung unserer Sicherheit, beginnend mit der Energie-Versorgungssicherheit, könnte sich zu einer Existenzbedrohung auswachsen, die alle Bemühungen um ein nachhaltiges Klima umstößt. 

Deshalb ist das Ausbalancieren von geopolitischen und Versorgungsrisiken so wichtig. Eingangs habe ich erwähnt, dass Nachhaltigkeit Gleichheit befördert und wirtschaftlicher Ausgleich wichtig ist, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Zugegeben, das ist ein schwieriger Gang für die Politik. Politiker ist eine schwierige Aufgabe geworden.

Politik sollte sich der Unterstützung durch Unternehmenslenker sicher sein. Selbstverpflichtungen, Umsetzungspläne und Reports aus der Firmenwelt sind ein guter Start, um beim Aufbau einer klimafreundlichen Industriegesellschaft voranzukommen. Es müssen viele Unternehmen, alle?, die eigene und gemeinsame Transformation betreiben.

 

Jeder, der das Privileg hat, die Zusammenhänge und Risiken zu kennen, hat jetzt die Pflicht, zu handeln. Das sind inzwischen sehr viele. Wesentliche Fakten habe ich hier ausgeführt. Einzeln oder im Verbund . . . es muss jetzt unbedingt gehandelt werden!

Eine große Chance, die wir nutzen können und ich meine, nutzen werden!

Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion!

Dieser Text ist das Transkript einer Rede, die Allianz SE Vorstandsmitglied Dr. Günther Thallinger beim SZ-Nachhaltigkeitsforum Sustainable Finance und Impact Investing 2023 am 6. März 2023 in München gehalten hat.

Günther Thallinger ist Mitglied des Vorstands der Allianz SE. Sein Lebenslauf ist auf der Vorstandsseite verfügbar.

Dr. Thallinger können Sie auf LinkedIn folgen.

Medienkontakt

Anja Rechenberg
Allianz SE
Die Allianz Gruppe zählt zu den weltweit führenden Versicherern und Asset Managern und betreut rund 125 Millionen* Privat- und Unternehmenskunden in knapp 70 Ländern. Versicherungskunden der Allianz nutzen ein breites Angebot von der Sach-, Lebens- und Krankenversicherung über Assistance-Dienstleistungen und Kreditversicherung bis hin zur Industrieversicherung. Die Allianz ist einer der weltweit größten Investoren und betreut im Auftrag ihrer Versicherungskunden ein Investmentportfolio von etwa 737 Milliarden Euro**. Zudem verwalten unsere Asset Manager PIMCO und Allianz Global Investors etwa 1,7 Billionen Euro** für Dritte. Mit unserer systematischen Integration von ökologischen und sozialen Kriterien in unsere Geschäftsprozesse und Investitionsentscheidungen sind wir unter den führenden Versicherern im Dow Jones Sustainability Index. 2023 erwirtschafteten über 157.000 Mitarbeiter für den Konzern einen Umsatz von 161,7 Milliarden Euro und erzielten ein operatives Ergebnis von 14,7 Milliarden Euro.
* Einschließlich nicht konsolidierter Einheiten mit Allianz Kunden.
** Stand: 31. Dezember 2023
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:
COP 28: EIB and AllianzGI announce new capital commitments to the Emerging Market Climate Action Fund (EMCAF)

New capital commitments from the United Kingdom and German governments. / The fund invests in green transition funds and projects in emerging and developing markets worldwide. / Launched at COP26, EMCAF has already invested more than $100 million in five funds over two years. / EMCAF on track to hold its third close at €385 million in the coming weeks. (Article links to external site)

Net-Zero Transition Plan - Veränderung für eine emissionsfreie Wirtschaft vorantreiben

Im September 2023 veröffentlichte die Allianz ihren ersten Netto-Null-Plan, der die Details für die Zwischenziele für 2030 zur Dekarbonisierung ihres Geschäftsbetriebs, der Kapitalanlage und des Versicherungsgeschäfts festlegt. Damit nimmt die Allianz eine Vorreiterrolle in der Finanzdienstleistungsbranche ein. Da der Klimawandel eines der größten weltweiten Risiken ist, verfolgt die Allianz diese Ziele mit großem Nachdruck.

COP 28 preview: taking the temperature

This year’s UN Climate Change Conference – COP 28 – starts in late November in Dubai. A busy agenda includes a focus on the impact of heatwaves on health and how trade can play a role in mitigating climate change.