Ein paar kleine Risiken machen das Leben bunt und unsere Psyche stark

Busch: Gesellschaften sind sehr vielschichtig und vielfältig. Es ist schwierig, den Zustand pauschal zu diagnostizieren, zumal unsere Wahrnehmung auch oft verzerrt ist durch Minderheiten, die es schaffen, sehr laut auf sich aufmerksam zu machen. Was ist aber schon zu spüren meine, ist eine gewisse Überreizung durch die schiere Masse an negativen Informationen und Ereignissen, die auf uns einwirkt.

Menschen reagieren sehr unterschiedlich darauf. Eine Gruppe wird passiv, ängstlich und zieht sich zurück. Die zweite Gruppe wird dünnhäufig, aggressiv, wütend, mitunter sogar kriminell, weil die Zündschnur einfach zu kurz ist. Und eine dritte Gruppe, und das ist leider die kleinste Gruppe, kommt in das vorhin beschriebene Handeln. Sie packen einfach an in ihrem Umfeld, machen ihren Job, engagieren sich ehrenamtlich und sind da, wo man sie braucht. Das sind Menschen, auf die Verlass ist und die in Krisen über sich hinauswachsen.

Busch: Das macht mir auch Sorgen. Demokratien leben von Vertrauen, während Autokratien auf Basis von Angst funktionieren. Die Probleme mit denen wir heute konfrontiert sind alle so komplex, dass ein Politiker, eine Partei, eine Regierung sie kaum mehr lösen können. Ein weiterer Grund liegt in der Hetze in den Medien, die heute viel häufiger über das Misslungene und Missratene berichten und über die kleinen und großen Fehltritte unserer politischen und gesellschaftlichen Funktionsträger. Damit sehen wir heute alle schwarzen Flecken, die die Menschen schon immer auf ihrer weißen Weste hatten – und oft noch im Vergrößerungsglas. Dadurch wird quasi jeder König, jede Königin vom Thron gestoßen und es gibt kaum noch jemanden, der Idealvorstellungen genügen kann. Alles ist gläsern und diese Übertransparenz erzeugt Misstrauen gegenüber unseren politischen und wirtschaftlichen Eliten.

Busch: Was von Seiten der Politik helfen würde wäre Fachkompetenz. Der Berufspolitiker, der entweder das Studium abbrach oder noch nie in seinem Leben etwas gearbeitet hat, wird nie das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung genießen, die jeden Tag um ihre Existenz kämpfen müssen.

Ehrlichkeit und Verlässlichkeit wäre auch etwas, was Politiker als Wert wieder entdecken sollten. In einer realen Welt, die sich immer schneller dreht, und in einer virtuellen Welt, in der Menschen zwischen Wahrheit und Lüge kaum noch unterscheiden können, sind diese beiden Eigenschaften wahre Tugenden, nach denen sich Menschen sehnen.

Wir selbst können aber auch etwas tun. Wir können selbst uns immer wieder überwinden, Menschen unser Vertrauen entgegenzubringen. Die Hürde zu überspringen kann schwer fallen. Aber Demokratie ist von Vertrauen abhängig. Auf beiden Seiten.

Busch: Wenn die Diskussion festgefahren ist, hilft es sicher klarzumachen, dass jeder Mensch mehr ist als die politische Meinung, die er oder sie verkörpert. Jeder Mensch hat viele Facetten. Wenn man Menschen begegnet, ist es wichtig, nicht nur das Trennende zu betonen, sondern auch das zu sehen, was verbindet.

Dies war für mich auch in meiner forensischen Arbeit wichtig, als ich Gutachten zu Straftätern erstellen musste. Wenn man weiß, was dieser Mensch getan hat, ist es sehr schwer, ihm auf einer neutralen Ebene zu begegnen, weil die Emotionen mitschwingen oder man Abscheu empfindet. Mir hat es geholfen, sich vorzustellen, dass dieser Mensch, der einen Raubüberfall begangen hat, möglicherweise ein ganz liebender Familienvater ist. Oder dass derjenige, der eine Frau geschlagen hat, vielleicht ein Tierfreund ist.

Wir machen oft den Fehler, dass wir Menschen komplett ablehnen oder umgekehrt komplett idealisieren – und beides erodiert die Basis für Austausch und Dialog.

Busch: Ein Teil unserer Widerstandsfähigkeit ist angeboren oder frühkindlich erlernt, der lässt sich kaum beeinflussen. Der andere Teil profitiert von ganz grundlegenden Empfehlungen, die nach altbackenen Tipps aus Frauen- oder Herrenzeitschriften klingen: Es geht ganz profan um das körperliche Wohlbefinden, also sich gesund zu ernähren, ausreichend und gut schlafen, Sport zu machen und sich in der Natur bewegen.

Auch die persönlichen Beziehungen sind eine sehr wichtige Quelle der Kraft, gerade in Krisen und schwierigen Zeiten, daher sollte man sich um Partner, Familie und Freunde kümmern. Was auf verschiedenen Schultern verteilt ist, trägt sich für alle leichter. 

Für die Stärkung der Resilienz ist es auch wichtig, sich als „selbstwirksam“ zu erfahren. Leben und Arbeit sollte man so gestalten, dass man immer wieder kleine Erfolge erleben kann, dass wir einen Teil unserer Probleme lösen können. Diese Selbstwirksamkeit erfahren wir umso intensiver, wenn wir uns etwas außerhalb unserer persönlichen Komfortzone bewegen und kalkulierte Wagnisse eingehen. Ein paar kleine Risiken oder Mikroabenteuer machen das Leben bunt und unsere Psyche stark. Eine leichte Unsicherheit aktiviert und lässt sich klug nutzen, ich nenne das Unsicherheitsenergie. Wir merken, was wir schaffen können – und meist ist das viel mehr als wir denken. So entwickeln wir eine Sicherheit in uns selbst. Das stärkt unser mentales Immunsystem und unsere Resilienz ungemein. Auch Humor ist wichtig für die Resilienz.

Busch: Bei Humor geht es mir nicht darum, dauernd zu lachen oder Witze zu reißen. Aus psychologischer Sicht geht es darum, sich selbst und das Leben nicht allzu ernst zu nehmen. Es geht um eine Haltung der spielerischen Lebenskunst, die gelassen damit umgeht, dass man im Leben nicht alles erreicht, nicht alle Probleme lösen kann, aber es trotzdem immer irgendwie weitergeht. Der Hund Snoopy aus der Comic-Serie Peanuts macht uns das sehr gut vor: Er ist wagemutig und offen für Neues, handelt statt im ängstlichen Denken zu verharren – so liest er jeden Tag eine Seite eines dicken Wälzers. Er tanzt durch das Leben und nutzt die offenen Räume, die sich ihm auftun. Das Ungewisse und Neue spornen ihn an. Wenn die Dinge anders kommen als geplant, improvisiert er. Ein solcher spielerischer, ausprobierender und improvisatorischer Umgang mit dem Leben hält uns stabil und macht uns stark.

Prof. Dr. Volker Busch ist seit mehr als 20 Jahren als Arzt, Wissenschaftler an der Universität Regensburg, Autor und Vortragsredner tätig. Er forscht an den Zusammenhängen zwischen Stress, Schmerz und Emotionen. Therapeutisch begleitet er Menschen auf dem Weg zu mentaler Gesundheit, Zufriedenheit und mehr Inspiration im Beruf und Alltag. Seine Veröffentlichungen „Kopf frei!“ und „Kopf hoch“ waren auf den Spiegel-Beststellerlisten. Er ist Herausgeber des bekannten Podcast „Gehirn Gehört“.

Weitere Informationen auf  www.drvolkerbusch.de.

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Die Allianz Gruppe zählt zu den weltweit führenden Versicherern und Asset Managern und betreut rund 128 Millionen* Privat- und Unternehmenskunden in knapp 70 Ländern. Versicherungskunden der Allianz nutzen ein breites Angebot von der Sach-, Lebens- und Krankenversicherung über Assistance-Dienstleistungen und Kreditversicherung bis hin zur Industrieversicherung. Die Allianz ist einer der weltweit größten Investoren und betreut im Auftrag ihrer Versicherungskunden ein Investmentportfolio von etwa 776 Milliarden Euro**. Zudem verwalten unsere Asset Manager PIMCO und Allianz Global Investors etwa 1,9 Billionen Euro** für Dritte. Mit unserer systematischen Integration von ökologischen und sozialen Kriterien in unsere Geschäftsprozesse und Investitionsentscheidungen sind wir unter den führenden Versicherern im Dow Jones Sustainability Index. 2024 erwirtschafteten über 156.000 Mitarbeiter für den Konzern einen Umsatz von 179,8 Milliarden Euro und erzielten ein operatives Ergebnis von 16,0 Milliarden Euro.
* Einschließlich nicht konsolidierter Einheiten mit Allianz Kunden.
** Stand: 31. Dezember 2024
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:
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