Die Logik des „Wir gegen Die“ durchbrechen
Ein Gespenst geht um in Europa und der Welt: Das Gespenst des Populismus. Es ist nicht einmal ein neues Phänomen. Vielmehr lässt es sich bis an den Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen, und zeigt sich in unterschiedlichen Ausprägungen, in Lateinamerika ebenso wie in Europa und den USA. Populismus kommt in unterschiedlichen Spielarten vor. Während der linke Populismus, der typischerweise in Lateinamerika dominiert, den Wohlfahrtsstaat und Umverteilung sowie starke staatliche Eingriffe in die Wirtschaft propagiert, schürt der Populismus von rechts Fremdenangst, betont traditionelle Werte und tritt eher für Deregulierung und einen schwachen Staat ein.
Der Politikwissenschaftler Cas Mudde hat den schillernden Begriff des Populismus auf ein „Wir gegen Die“ zurückgeführt. „Wir – das wahre Volk“ gegen „Die – die Eliten.“ Damit wird deutlich, dass es sich im Kern um ein ökonomisch getriebenes Phänomen handelt: Es geht um Verteilungskonflikte. Dabei, so der Ökonom John Friedman, dominiert eine „Nullsummenmentalität“: Der Glaube, was der eine bekommt, wird dem anderen weggenommen. Die Chancen wirtschaftlichen Wachstums entlang dessen auch der eigene Wohlstand größer werden kann, werden nicht wahrgenommen. Das erklärt auch, warum sehr unterschiedliche Treiber den Populismus befeuern. Wie die Populismusforschung zeigt, gehören hier die Globalisierung genauso dazu, wie der technologische Wandel, die Migration, die globale Finanzkrise von 2008 oder auch die Dekarbonisierung, also der Kampf gegen den Klimawandel. Interessanterweise wird die Ungleichheit nur dann zu einem Katalysator, wenn das Verteilungsergebnis als ungerecht empfunden wird, da z.B. die soziale Mobilität fehlt.
Populismus polarisiert, weil er den Verteilungskampf antreibt. Die jüngsten Wahlen in den USA, Europa und Deutschland erinnern daran. Die Wahlumfragen schreiben das Bild fort.
Wie aber die Logik des „Wir gegen Die“ durchbrechen?
Um die Logik des „Wir gegen Die“ zu durchbrechen, muss der Verteilungskonflikt gelöst werden. Statt um größere Stücke eines gleich groß bleibenden – oder sogar schrumpfenden – Kuchens zu kämpfen, müssen die Stücke für alle größer werden.
Tragisch ist dabei, dass der Populismus genau das Gegenteil erreicht: Die Analyse von Funke, Schularick und Trebesch zeigt sehr deutlich, dass von Populisten geführte Regierungen überall auf der Welt seit 1900 bis heute Wachstumseinbußen hervorgebracht haben. Anders ausgedrückt: Sie nähren sich von Verteilungskonflikten, doch statt diese zu lösen, verschärfen sie sie. Und nicht nur das: Sie versagen bei allen entscheidenden Versprechen. Das Pro-Kopf-Wachstum, als wichtigster Wohlstandsindikator, fällt, Verschuldung und Inflation steigen. Auch führt der Verteilungskampf gegen „die Eliten“ nicht zu weniger Ungleichheit bei den Einkommen. Die Lohnquote bleibt auch längerfristig unter populistisch geführten Regierungen unverändert. Es droht ein populistischer Teufelskreis: Der sich verschärfende Verteilungskampf wird zum eigenen Machterhalt immer weiter angefeuert.
Und: Die merklichen Wohlstandsverluste setzen sich bis hinein ins eigene Portfolio fort. Wie unsere Berechnungen zeigen, ist die Aktienmarktentwicklung nach der Machtübernahme durch Populisten konsistent mit der Entwicklung des Pro-Kopf Wachstums. Damit performen die jeweiligen Aktienmärkte im Mittel schlechter als der globale Aktienmarkt. Was schlecht für Wachstum und Wohlstand ist, ist am Ende auch schlecht für die Kapitalanlage.
Wie nicht zuletzt Acemoglu, Restrepo und Robinson zeigen, besteht zwischen Demokratie und Wirtschaftswachstum nicht nur eine positive Korrelation, sondern ein kausaler Zusammenhang: Je höher der Grad an Demokratie, umso höher das Wirtschaftswachstum. Und der Quervergleich der Länder zeigt: Je demokratischer die Länder sind, desto marktwirtschaftlicher ist auch deren Wirtschaft. Der Kreis schließt sich. Ein erster Schritt zu mehr Wachstum und damit auch zu weniger Polarisierung, wäre deshalb eine Stärkung der Institutionen und damit der Demokratie. Das Vertrauen auf das Recht, inkl. des Eigentumsrechts und die Gewaltenteilung sind solche maßgeblichen Institutionen. Aber sicher auch der Wettbewerb, der Machtkonzentrationen – sei es bei Unternehmen, sei es beim Staat – verhindert.
Die „offene Gesellschaft“, wie sich die Demokratie im Duktus von Popper beschreiben lässt, braucht die „offene Wirtschaft“ (vgl. Abbildung), und das heißt auch: offen für den globalen Handel. Der „Wohlstand der Nationen“ (Adam Smith), wird durch den Wettbewerb der Nationen (David Ricardo) gefördert. Wir brauchen mehr und nicht weniger Globalisierung.
Um die (Fake-)Narrative zu durchbrechen, derer sich Populisten typischerweise bedienen, müssen auch die ökonomische und finanzielle Bildung gestärkt werden. Diese sind eine wichtige Voraussetzung für Teilhabe und (politische) Mündigkeit. Wer seine Finanzen nicht versteht, von dem kann kaum erwartet werden, dass er richtig investiert um damit Vermögensbildung und Unabhängigkeit zu stärken. Wer ökonomische Grundfragen nicht kritisch durchdenken kann, wird ein leichtes Opfer für (wirtschafts-)politischen Populismus. Damit aber wird ökonomische Bildung relevant für unsere Demokratie. Wie kann jemand ein politisches Urteil fällen, wenn er die ökonomischen Konsequenzen nicht versteht? Er wird ein leichtes Opfer populistischer Narrative. Ökonomische Bildung hilft Vermögen zu bilden, Ungleichheit zu senken und unsere Demokratie zu stärken.
Konsequenterweise gehört zur Populismus-Prophylaxe die Stärkung der Vermögensbildung. Wohlstand muss auch „Wohlstand für alle“ heißen. „Wenn substanzielle Teilgruppen der Gesellschaft das Gefühl haben, dass sie von der bestehenden Gesellschaftsordnung keine Vorteile erwarten können, [...] dann verlieren die bestehenden demokratischen Institutionen [...] Legitimität“ stellt der Ökonom Tim Krieger fest. Während das Eigentum konstitutiv für eine Marktwirtschaft ist, muss auch der Weg dorthin, die Vermögensbildung, gefördert werden. Privates Eigentum wirkt dem Gefühl des Autonomieverlusts entgegen. Was Vermögensbildungspolitik auf die Agenda rückt. Als Sofortmaßnahme könnte es auch sinnvoll sein, die gesetzliche Rente zumindest teilweise auf Kapitalbildung in privater Hand umzustellen. Wer selbst Vermögen (für das Alter) bildet, ist weniger abhängig von politischen Prozessen, die über die Höhe der Rente entscheiden.
Es gilt die Logik des „Wir gegen Die“ zu durchbrechen. Es geht nicht nur um die Stärkung unserer Demokratie, sondern auch unseres Wohlstands. Beides bedingt einander.
Über Dr. Hans-Jörg Naumer
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* Stand: 30. September 2025.