Geschichte der Allianz - Momente der Entscheidung, Momente, die zählen
„Die Herren der Gesellschaft wollen mir wohl und erkennen auch uneingeschränkt die großen Verdienste an, die ich mir erworben habe. Jedoch die Umstände sind vielleicht mächtiger als der Wille meiner Vorgesetzten.“ Die Vorahnung, ja die Angst, die aus diesen Worten in einem Brief von Martin Lachmann, dem Inhaber einer Versicherungsagentur der Allianz in Berlin, an seinen Schwiegersohn im schwedischen Exil im Oktober 1938 spricht, war leider nur allzu begründet. Die Entschlossenheit seiner Freunde und Unterstützer bei der Allianz reichte letztlich nicht aus, um ihm den Weg ins Exil zu ebnen. Martin Lachmann wurde schließlich im November 1941 nach Minsk deportiert und ermordet.
Die Biografie von Martin Lachmann zeigt auf drastische Weise, wie die allgemeine Geschichte und die Geschichte von Menschen, die in Unternehmen handeln, das Leben von Einzelnen oder Gruppen von Menschen beeinflussen können. Unternehmen sind keine anonymen Gebilde, die nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten agieren. Vielmehr prägen sie durch das Denken, Urteilen und Handeln der Menschen, die in ihnen arbeiten, die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Kultur, die Politik und den Alltag von uns allen, kurz: sie prägen Gegenwart und damit die Geschichte. Wie Unternehmen entscheiden und handeln, beeinflusst das Zusammenleben in der Gesellschaft: Im positiven Fall können sie sozialen Zusammenhalt stärken, im negativen Fall können sie die Polarisierung vertiefen und Menschen gegeneinander aufhetzen.
Ernst Grumbt hatte das verstanden. Kurz vor seinem Ausscheiden aus der Allianz im November 1918 veröffentlichte der Manager einen Zeitungsartikel mit der Überschrift „Einigkeit und Solidarität“. Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen, Deutschland gehörte zu den Verlierern, Revolution lag in der Luft; die Hauptverantwortlichen für die Kriegskatastrophe waren entweder untergetaucht oder spannen Verschwörungstheorien, um dem politischen Gegner die Schuld für die eigenen Fehler in die Schuhe zu schieben, oder rüsteten sich bereits zum Kampf gegen die Kräfte der Demokratie. Grumbt stand unter dem unmittelbaren Eindruck der revolutionären Ereignisse. Er hatte zwar Angst angesichts der Ungewissheit der Zukunft, doch er brachte den Willen auf, für einen Neuanfang und den Triumph der Demokratie einzutreten. Eine ungewöhnliche Sichtweise für einen Manager, der geprägt war vom autoritären Geist des untergegangenen Kaiserreichs und der paternalistischen Kultur, die die Allianz in ihrer Gründungsphase prägte. Nun war es aus seiner Sicht an der Zeit, zu handeln und in eine neue Ära aufzubrechen: „In unserer Zerknirschung und Niedergeschlagenheit sollten wir nicht auf Wunder warten, um (die Nation) vor dem Zusammenbruch des Reiches zu retten; damit könnten wir wertvolle Zeit verlieren.“
Und genau das hat die Allianz getan. Sie hat sich nicht spontan in einen glühenden Verfechter der Demokratie verwandelt, aber sie hat sich verändert und sich den neuen politischen Bedingungen und gesellschaftlichen Interessen angepasst. Sie entwickelte ihr Geschäft so weiter, dass sie dann, dem Wesen der Demokratie entsprechend, Versicherungen für alle Gruppen und Einkommensklassen der Gesellschaft anbot und sich gleichzeitig technisch und organisatorisch neu erfand. Dieses Zeitalter der Demokratie wurde zu einem der spannendsten, dynamischsten und erfolgreichsten Abschnitte der Geschichte des Unternehmens.
Erst ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Shoah, angesichts einer Sammelklage und des Drucks der Weltöffentlichkeit, begann die Allianz, die dabei war, sich zu einem globalen Unternehmen zu entwickeln, ihrer Geschichte wirklich ernst zu nehmen: sie wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen, aus ihr zu lernen, materielle Entschädigung zu leisten und Verantwortung zu übernehmen.
Die Allianz hat erfahren, welchen Wert historische Transparenz hat und dass dies dem Unternehmen guttut; sie hat die Bedeutung von Werten als Leitlinien für soziales und im weiteren Sinne nachhaltiges unternehmerisches Handeln verstanden. Dies immer wieder neu zu überdenken, um die richtigen Werte zu ringen und sie im Tagesgeschäft umzusetzen, ist und bleibt eine Herausforderung und Verpflichtung für ein Unternehmen, das aus seiner Geschichte lernt und Verantwortung übernimmt.
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** Stand: 30. September 2024