„Wir müssen uns fragen,
was ein gutes Leben ist“ 

Günther Thallinger ist Vorstandsmitglied der Allianz und verantwortlich für Investment Management und Nachhaltigkeit. Im Interview erklärt er, wie sich das Unternehmen gegen den Klimawandel einsetzt. 
Die Allianz wurde vor 133 Jahren gegründet, um Risiken für Kundinnen und Kunden, Mitarbeitende und die Gesellschaft zu managen und so ihre Widerstandsfähigkeit und ihr wirtschaftliches Wohlergehen zu ermöglichen. Das Geschäftsmodell der Allianz beruht seit jeher auf langfristigen Zeithorizonten. Damit ist Nachhaltigkeit von grundlegender Bedeutung für unser Geschäft und unseren Erfolg.
Ja, und zwar nicht nur, wenn es um den Kampf gegen den Klimawandel geht, sondern auch im Hinblick auf Gerechtigkeitsfragen oder die Rolle der Wirtschaft in Staat und Gesellschaft. Viele Menschen sagen, dass Unternehmen noch nicht das leisten, was sie leisten sollten. Das ist einerseits ein Problem. Aber es ist auch eine große Chance für die Unternehmen, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen, die Transformation anführen und sich für eine nachhaltige, kohlenstoffarme Zukunft einsetzen.
Zuerst sollten wir uns darauf verständigen, was Nachhaltigkeit ist. Es geht darum, in einer Gesellschaft allen Menschen ein soziales Minimum zu sichern, ohne dass ökologische Grenzen überschritten werden. Das Problem: Heute erreichen wir nicht für jeden ein soziales Minimum, obwohl wir viel ökologische Grenzen weit überschreiten. So weit, dass wir einen Klimawandel erleben, dass wir biologische Vielfalt gefährden oder auch in einigen Städten eine Luft haben, die krank macht. Für ein Unternehmen ist es alles andere als trivial, sich hier zu positionieren. Es ist eine große Herausforderung, die richtigen Prioritäten zu setzen. Selbst ein Unternehmen wie wir – mit rund 160.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehr als 70 Ländern – kann nicht alle Themen gleichzeitig angehen.

Durch unser globales Versicherungs- und Vermögensverwaltungsgeschäft managen wir Risiken, die das Leben und die Geschäfte unserer Kundinnen und Kunden beeinträchtigen, und wir nutzen Chancen, die finanzielle Freiheit, wirtschaftliche Stabilität und ökologische Sicherheit fördern. Von Inflation über Klima bis hin zu Cyberrisiken helfen wir den Menschen, Unsicherheiten zu bewältigen und sich auf eine bessere Zukunft vorzubereiten.

Wir wollen aber dort, wo wir lokal tätig sind, noch einen Schritt weitergehen. Wir bauen gesellschaftliche Resilienz auf, indem wir uns dafür einsetzen, die gegenwärtigen und zukünftigen Lebensbedingungen, die Beschäftigungsfähigkeit und das Wohlergehen der Menschen vor Ort positiv zu beeinflussen. Wir bauen Resilienz durch Bildung auf. Unsere Programme und Partnerschaften zielen darauf ab, Menschen dabei zu unterstützen, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln, um Zugang zu menschenwürdiger Arbeit zu erhalten und sich in der heutigen, sich schnell verändernden Arbeitswelt zu behaupten.

In unserer Umweltstrategie hat Klimaschutz Priorität. Das ist das Sustainable Development Goal (SDG) 13: Maßnahmen zum Klimaschutz. Die SDGs wurden 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet. Sie sind ausgezeichnete Wegweiser. Wir können sie sehr gut nutzen, um unsere Prioritäten zu setzen.

Wir haben 2023 unseren Netto-Null-Plan vorgestellt. In diesem bekennen wir uns erneut und mit konkreten Schritten zu den Zielen, die Erderwärmung auf maximal eineinhalb Grad zu begrenzen und Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Unser Investmentportfolio soll bis 2050 durch Emissionsminderungen und -ausgleiche auf Netto-Null kommen, und wir haben uns hierfür Zwischenziele gesetzt. Die Treibhausgase aus Kapitalanlagen sollen um 50 Prozent sinken, die Emissionsintensität in der Schaden- und Unfallversicherung um 45 Prozent und die absoluten Emissionen in der Kfz-Versicherung in neun europäischen Schlüsselmärkten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Schweiz, Spanien – um 30 Prozent. Wir wollen das Eineinhalb-Grad-Ziel auch im Betrieb umsetzen, die operativen Emissionen pro Mitarbeiter sollen bis 2030 um 65 Prozent sinken.

Die heutigen Herausforderungen sind zu groß, als dass sie eine Organisation allein lösen könnte. Wir glauben, dass Partnerschaften zentral sind, um die nötigen Veränderungen zu bewirken. Diese können als Katalysator dienen und staatliche Politik- und Regulierungsreformen beschleunigen, indem sie für die Wirtschaft wichtige Themen aufzeigen und politischen Entscheidungsträgern umsetzbare Aktionspläne vorschlagen.

Deshalb haben wir bei der Gründung der von den Vereinten Nationen einberufenen Net-Zero Asset Owner Alliance (NZAOA) unterstützt. Die Mitglieder sind Anlagebesitzer und -besitzerinnen aus der ganzen Welt, die an Konzepten zur Dekarbonisierung von Investitionsportfolios arbeiten. In unserem letzten Tätigkeitsbericht konnten wir zeigen, dass die absoluten Emissionen in den Investitionsportfolios leicht gesunken sind. 

Ja, das ist ein großes Ziel. Es mag nicht erreichbar erscheinen. Aber lassen Sie uns hier in Schritten denken. Zuerst müssen wir die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Wir haben die technischen Mittel, wir haben die finanziellen Mittel, wir haben auch schon erste gute Erfolgsbeispiele – siehe die NZAOA. Es ist gut machbar, das erste große Ziel – eine Senkung um 50 Prozent bis 2030 – zu erreichen. Wir können auch feststellen, wenn viele Länder endlich die Bereitstellung von Energie aus erneuerbaren Quellen so schnell und umfassend ausbauen würden wie China, wären wir schon auf einem guten Pfad. Hin zu einem Energiemarkt, der uns viel mehr und billigere Energie zur Verfügung stellen kann. Um schneller beim Ausbau zu werden, könnten wir Subventionierung von fossilen Brennstoffen reduzieren und nur denjenigen zukommen lassen, die wirklich Unterstützung brauchen. Die eingesparten hohen Beträge ergäben eine sofort verfügbare Finanzierung von mehr Erneuerbaren. Entwicklung auf dem in Paris 2015 skizzierten Pfad ist möglich. Wir brauchen aber ein Umdenken und sicher ein Hinterfragen von Wertvorstellungen, ja, wir müssen uns auch fragen, was ein gutes Leben ist. So wie wir heute leben, ist nicht gut. Wir könnten aber viel besser leben.