"Es muss ein fundamentaler Wandel der Denkweisen erfolgen"

Sussan Babaie: Ich wurde 1954 im Iran geboren. Meine Familie lebte in Abadan am nördlichen Ende des Persischen Golfes, jenseits der Wasserstraße Schatt el-Arab, welche die iranisch-irakische Grenze markiert. Mein Vater arbeitete in der Öl-Industrie. In meiner frühen Kindheit wuchs ich in einem Umfeld auf, in dem sich das Persische und das Arabische häufig mischten. Als ich zwölf Jahre alt war, zog meine Familie nach Teheran. Dort besuchte ich auch die Akademie der schönen Künste an der Teheraner Universität. Ich war noch an der Akademie, als Ende 1978 Straßendemonstrationen eine umfassende Revolution einläuteten, die dazu führte, dass der Schah im Januar 1979 das Land verließ und die Islamische Republik entstand. Ich muss eines der letzten Studentenvisen bekommen haben, welche die amerikanische Botschaft in Teheran erteilte, bevor sie im November 1979 gestürmt wurde. Ich ging, um meine Hochschulausbildung fortzusetzen, aber es war mein damals in den Vereinigten Staaten ein College besuchender Bruder, der inmitten der Aufstände Kunstgeschichte zu meinem Fach erklärte! Zur Erlangung eines Magisterabschlusses studierte ich in Washington, DC, italienische Renaissance und amerikanische Kunstgeschichte. Anschließend promovierte ich an der New York University, wo ich mich auf islamische Kunstgeschichte konzentrierte.

Sussan Babaie

Sussan Babaie: Das war schon eine besondere Erfahrung – als iranische Frau in New York zu leben! Schließlich heiratete ich dort und bekam mein Kind. Mein Mann und ich zogen häufig um. Wir wohnten in Boston, in Michigan, in Los Angeles und dann in Kairo. Uns gefällt die Vorstellung herumzuziehen. Und jetzt bleiben wir ein Jahr lang in München, und wir sind begeistert davon!

Benny Morris: Ich wurde 1948 in Israel geboren. Mein Vater war Diplomat, und so wuchs ich teilweise in Israel, teilweise in den Vereinigten Staaten auf. Ich habe mich immer für Geschichte interessiert. Meinen BA-Abschluss in Europäischer Geschichte machte ich in Jerusalem. Danach promovierte ich in Cambridge in Moderner Europäischer Geschichte. Anschließend arbeitete ich dreizehn Jahre lang als Journalist in Jerusalem. Seit 1997 bin ich Professor für Nahoststudien an der Ben-Gurion-Universität.

Benny Morris

Benny Morris: Ich hoffe, dass die Studenten aus meiner Lehrtätigkeit Nutzen ziehen werden. Meine Gastprofessur wird ein Semester lang dauern – bis Februar 2011. Der Schwerpunkt wird für die Studenten auf dem israelisch-arabischen Konflikt liegen.

Benny Morris: Meiner Vermutung nach nein. Nicht mehr in der Zeit, in der ich lebe. Die Israelis sind zum Frieden bereit. Die Araber betrachten den Staat Israel als Blasphemie. Ihrer Meinung nach sollte der Nahe Osten islamisch sein.

Sussan Babaie: Ich glaube, dass die neuere Geschichte des Nahen Ostens, vor allem nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches [ca. 1300 – 1923, Anm. d. Red.], und die willkürliche Zerteilung der Region in Länder durch europäische Kolonialmächte sehr viel zu den gegenwärtigen Instabilitäten beigetragen haben. Dies ist natürlich nur eines unter vielen anderen Problemen, an denen die Region krankt. Es muss ein fundamentaler Wandel der Denkweisen erfolgen. Ich bin da optimistischer. Ich hoffe – auch um meines Sohnes willen –, dass noch zu meinen Lebzeiten eine Änderung eintritt.

Sussan Babaie: Viele Menschen wissen nicht genug über den Islam und seine unterschiedlichen kulturellen Praktiken. Der Schlüssel liegt in einer besseren Bildung, die uns hilft, die Komplexität der islamischen Kulturen zu verstehen. Ich glaube auch, dass beide Seiten – die Menschen in der islamischen Welt und die in Europa und in Amerika – zahlreiche negative Stereotypen und Fehlinformationen über einander hegen.

Sussan Babaie: Ja, ich muss über den Islam unterrichten. Man kann keine islamische Kunstgeschichte ohne kulturellen Hintergrund lehren. Ich will nichts beschönigen. Aber beim Islam handelt es sich nicht um ein einziges Phänomen. Seine Geschichte in all den großen Regionen, in denen der Islam die vorherrschende Religion darstellt, ist nicht unveränderlich und einheitlich. Er ist sehr komplex.

Sussan Babaie: Nein. Ich lehre islamische Kunstgeschichte. Ich wüsste nicht, warum ich auf den arabisch-israelischen Konflikt eingehen sollte, wenn ich mich mit der Vergangenheit befasse. 

Benny Morris:  Kunst kann die Menschen auch spalten. – Denken Sie nur an die zeitgenössische Kunst, etwa an "Guernica" von Picasso.

Sussan Babaie: Ein positives Beispiel dafür, dass Kunst Menschen verbindet, ist die neue Ausstellung islamischer Kunst in München: "Die Zukunft der Tradition – die Tradition der Zukunft" im Haus der Kunst. Ferner die Vortragsreihe "Changing Views" in München. Ich werde in meine Vorlesungen auf die Ausstellung eingehen.

Sussan Babaie: Ich möchte der Allianz wirklich dafür danken, dass sie uns die Möglichkeit bietet, hier Studenten zu unterrichten. Das sind wichtige Wege, um Menschen dazu zu bringen, einander zu verstehen. Es mag den Eindruck erwecken, als würden wir lediglich ein paar Menschen erreichen (vielleicht hundert Studenten), aber diese Studenten tragen ihr Wissen in ihre Familien und in ihre Freundeskreise. Daher reicht dies erheblich weiter, und es ist zu hoffen, dass es dazu beiträgt, einige der Spannungen zu entschärfen, die aus der Furcht vor unbekannten anderen Kulturen entstehen.

 
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen, der Ihnen hier zur Verfügung gestellt wird.
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