"Die alte Wachstumsstory hat ausgedient"

Herr Diekmann, befinden wir uns vier Jahre nach der großen Finanzkrise oder ein paar Monate vor dem nächsten großen Rums, dem Auseinanderbrechen der Eurozone?

Michael Diekmann: Wir sind jetzt in ein ruhigeres Fahrwasser gekommen. Mit den klaren Aussagen der Europäischen Zentralbank und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stehen die Mechanismen, um die Krise abzudämpfen. Insgesamt bin ich heute zuversichtlicher.

 

Aber damit ist die Krise nicht vorbei.

Nein, das behebt die eigentlichen Ursachen der Krise nicht. Man kauft Zeit und verschafft sich die Sicherheit, dass interveniert werden kann, wenn interveniert werden muss.

 

Was ist aus Ihrer Sicht der Kern des Problems? Die Banken? Die Staaten? Oder beide?

Der Kern des Problems ist die Staatsschuldenkrise. Rechnet man die implizite Verschuldung noch hinzu, also die nicht ausgewiesenen Finanzverpflichtungen der Sozialkassen und des Staates, dann ist die Überschuldung gewaltig. Die zentrale Frage der kommenden zehn Jahre lautet: Wie baut man diese Verschuldung ab?

 

Wie könnte die Lösung aussehen?

Es gibt Berechnungen, denen zufolge wir in Deutschland dazu ein Wachstum von vier Prozent und eine Inflation von vier Prozent brauchen. Allerdings sieht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen momentan nicht so aus, dass vier Prozent im Bereich des Machbaren sind.

 

Bei der Inflation ist das Szenario von vier Prozent schon eher vorstellbar.

Inflation ist eher mittelfristig ein Thema. Entscheidend ist und bleibt daher die Frage: Wie senke ich das Defizit und erhöhe die Wettbewerbsfähigkeit, ohne gleichzeitig den sozialen Frieden zu gefährden?

 

Da steht auch Deutschland langfristig nicht so rosig da, wie viele derzeit meinen. Sie haben die implizite Verschuldung angesprochen. Wie schätzen Sie die wahre Lage der Verschuldung – Stichwort Sozialausgaben infolge des demografischen Wandels – in Deutschland ein?

Es gibt immer weniger Einzahler in die gesetzliche Rentenversicherung. Dieses Thema ist angegangen worden durch die implizite Kürzung der Rente über die Verlängerung der Arbeitszeiten — begleitet durch die Riester-Rente. Die Prognosen damals sind allerdings von einem deutlich anderen Vermögensaufbau ausgegangen, als das heute im Niedrigzinsumfeld möglich ist.

Michael Diekmann: "Im Grunde sind wir aber schon heute in der Haftung, wir sind auch schon in der Fiskalunion."

Das bedeutet?

Die private Volksrentenergänzung wirkt nicht so, wie man sich das damals ausgerechnet hat. Da wird es noch mal deutliche Anpassungen geben müssen.

 

In welcher Form?

Am einfachsten ist immer eine Verlängerung der Arbeitszeit.

 

Also kommt die Rente mit 70?

70 würde ich nicht sagen. Aber das Thema ist allen bewusst. Wir haben heute eine „goldene“ Rentner-Generation, der es insgesamt sehr viel besser geht, als das manchmal kolportiert wird. Die Generation, die demnächst in Rente geht, ist noch relativ gut abgesichert. Für alle anderen ist die Niedrigzinsphase ein echtes Problem.

 

Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Diskussion um die Vorschläge von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen für eine Zuschussrente?

Es kommt immer wieder die Forderung nach steuerfinanzierten Lösungen auf. Das beruht auf der Erwartung, dass wir die ganzen strukturellen Themen wie etwa die Alterung unserer Gesellschaft über Produktivitätssteigerungen in den Griff bekommen. Dafür müssen wir aber entweder mehr arbeiten oder wir erhöhen die Automatisierung. Beides ist nicht gewünscht. Noch intensiver arbeiten? Dann sind wir wieder in der Burn-out-Diskussion. Und bei Automatisierung fürchtet die Politik den Wegfall von Arbeitsplätzen. Ich warne davor zu glauben, dass wir die Probleme durch Produktivitätssteigerung in den Griff bekommen. Wie wir mit einer alternden Gesellschaft umgehen, ist aber eine ganz zentrale Frage. Für uns ist das Thema so wichtig, dass wir Anfang 2013 gemeinsam mit der Bundesregierung das zweite „Berliner Demographie Forum“ veranstalten werden.

 

Bislang hat der Staat ja das, was durch Produktivitätsfortschritte nicht erreicht wurde, dazugekauft. Seit den 80er-Jahren, seitdem wir nicht mehr so stark wachsen.

Genau, das ist der Reflex. Immer wenn etwas finanziert werden soll, heißt es: Das machen wir steuerfinanziert. Das baut auf der Fantasie auf, dass das Wachstum immer weitergeht. Aber wir haben viel von dem Wachstum über Hebelung, über sogenanntes Leverage, erreicht. Davon wollen wir wegkommen. Alle wollen das mit Leverage verbundene Risiko aus dem System rausnehmen. Große Wirtschaftssprünge in der Form von früher können daher nicht mehr stattfinden. Wir müssen deshalb die Ansprüche an den Staat zurückführen. Das heißt nichts anderes als die hohen Staatsquoten zu senken.

 

Die Grenzen des Wachstums?

Die Grenzen des Wachstums. Ich saß im Februar mit dem Chef von Greenpeace auf einem Podium zum Thema Ressourcenverbrauch. Er brachte ein sehr anschauliches Bild: Wenn wir so weitermachen wie bisher, verbrauchen wir vier Planeten gleichzeitig. Auch hier sind deutliche Grenzen gesetzt. Die Wachstumsstory ist nicht mehr so glaubhaft.

 

Die Probleme spiegeln sich in der Altersvorsorge. Haben Sie einmal berechnet, wie groß der Effekt der Niedrigzinsen auf die Lücke bei der Altersvorsorge ist?

Das haben wir durchgerechnet. Im Durchschnitt müssten Sparer Monat für Monat etwa ein Drittel mehr zur Seite legen. Die genaue Zahl hängt aber von vielen Faktoren ab. Eine entscheidende Frage ist aber: Welche Anlagemöglichkeiten stehen überhaupt zur Verfügung, um diese Lücke zu füllen. Wer mutig ist, kann ja in hochverzinsliche Papiere investieren. Nur bringt das eben immer ein Risiko mit sich.

 

Das Umfeld ist ja höchst volatil.

Die Finanzmärkte haben weiter die Sorge: Wie können wir uns der Schulden entledigen? Was passiert, wenn wir die Kombination verträgliche Inflation plus Wachstum nicht hinkriegen? Solange keine glaubhaften Pläne auf dem Tisch liegen, wie das passieren soll, gibt es die latente Furcht, dass es nach dem gleichen Schema geht wie in Griechenland.

 

Gibt es eine Lösung?

Die vermeintlich einfachste Lösung wäre: Alle einigen sich auf einen Schuldenschnitt von 50 Prozent.

 

Für alle?

Im Grunde haben viele Länder ein ähnliches Problem wie Griechenland. Solange die Frage nicht beantwortet ist, wie wir die Schulden abbauen, bleibt das ein Damoklesschwert, das psychologisch über den Märkten schwebt.

 

Aber ein solcher Schuldenschnitt würde das gesamte Finanzsystem – ob Versicherer oder Banken – umwerfen.

Ja, deswegen ist er wenig realistisch. Deswegen wäre er für die Staaten auch nur ein vermeintlich leichter Ausweg. Die Erfahrungen, die Länder gemacht haben, die diesen Weg gegangen sind, sind fatal. Argentinien hat sich bis heute nicht davon erholt. Ein erneuter Schuldenschnitt ist das absolute Horrorszenario. Ich glaube nicht, dass ein Land wie Italien so eine Lösung wählen würde. Aber dann muss es auch die richtigen Schritte vollziehen, etwa bei den Strukturen am Arbeitsmarkt.

 

Ökonomen nennen immer häufiger ein neues Sorgenkind: Frankreich. Teilen Sie die Skepsis gegenüber der Entwicklung in unserem Nachbarland?

Die Regierung hat sich verpflichtet, das Budgetdefizit auf drei Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft zu begrenzen. Die dafür nötige Geldsumme soll zu zwei Dritteln über Steuererhöhungen und zu einem Drittel über Ausgabenkürzungen aufgebracht werden. Diese Berechnungen beruhen aber auf einem Szenario, in dem für das kommende Jahr moderates Wachstum unterstellt wird.

 

Sie glauben nicht an die Realisierung dieser Pläne?

Die wesentliche Frage in Frankreich ist, wie man die Industrie wieder wettbewerbsfähig bekommt. Da ist vor allem die Arbeitsmarktpolitik gefragt und hier muss ein Konsens gefunden werden. Ich habe noch nicht verstanden, wie das genau erreicht werden soll.

 

Der Wahlkampf in Frankreich wurde ja eher in die andere Richtung geführt. Mehr Staat, mehr Bequemlichkeit und die Reichen sollen zahlen.

Frankreich hat eine bessere Langfristperspektive als wir, das darf man nicht verschweigen. In Deutschland ist die demografische Situation deutlich schwieriger. Die Franzosen sind im Schnitt etwa fünf Jahre jünger. Aber das nützt wenig, wenn die Bevölkerung jünger aber schlechter in das Erwerbsleben integriert ist. Das Bevölkerungswachstum kommt vor allem daher, dass sie 20 Prozent Immigranten haben — die aber wesentlich schlechter integriert sind als in Deutschland. Bei uns in Deutschland ist die Integration der Ausländer besser, der Ausbildungsstand der Immigranten erster und zweiter Generation viel höher. Die Franzosen müssen deutlichere Anstrengungen in Richtung Integration machen. Da steckt ein Riesenpotenzial drin, aber dazu ist ein gesellschaftlicher Konsens nötig. Und auch dann ist das eher eine mittelfristige Perspektive und beantwortet nicht die entscheidende Frage, wo das Wachstum in den nächsten Jahren herkommt.

 

Sind wir am Ende noch 17 Euro-Länder?

Meine Auffassung ist: wir sind am Ende sogar mehr als 17 Länder.

 

Und da sind auch noch die 17 von heute dabei?

Ja.

 

Aber eine Griechenland-Pleite könnten Sie als Allianz verkraften?

Wir haben dieses Thema mit aller Schärfe abgeschrieben. Wir haben nur noch unter 100 Millionen Euro in griechischen Staatsanleihen.

 

Da sind 30 Milliarden Euro in italienischen Staatsanleihen, die Sie halten, eine andere Nummer.

30 Milliarden sind eine andere Nummer, wir haben aber auch eine andere Ausgangssituation. Übrigens: Ein Worst-Case-Szenario, und ich glaube nicht daran, sähe so aus, dass Italien aus dem Euro austritt und die Lira wieder einführt. Das wäre für uns verkraftbar, weil wir auf der Aktiv- und Passivseite den gleichen Effekt haben. Das einzige Horrorszenario ist: Es bleiben alle im Euro und machen einen kräftigen Schuldenschnitt. Dann ist die Aktivseite um vielleicht 50 Prozent verkürzt, aber die Verbindlichkeiten sind gleich geblieben.

 

Sind vor diesem Hintergrund europäische Staatsanleihen in den nächsten Jahren dann doch eine interessante Anlage?

Wenn Sie der Regulierung folgen, ist das das präferierte Investment, weil risikolos. Nach unseren internen Modellen ist das anders, insbesondere nach dem Schuldenschnitt in Griechenland. Daher ziehen sich alle aus europäischen Staatsanleihen zurück und gehen in Schwellenländer, in Firmenanleihen, in Infrastruktur, in Immobilien. Wir versuchen in der Neuanlage, Staatsanleihen zu vermeiden. In deutsche Bundesanleihen kann ich gar nicht investieren, die Rendite liegt unter der Inflationsrate. In anderen Ländern habe ich die Risikofrage.

 

Ist das, was in Griechenland passiert, nicht extrem selten?

Der Haircut bedeutet eine fundamentale Veränderung der Risikoeinschätzung. Einige warnende Stimmen gab es damals: Der Preis, den man für die Unsicherheit zahlt, dass man keine risikofreie Anlage mehr hat, wird sehr, sehr hoch sein.

 

Aber bei Ihren Milliardenanlagen finden Sie da genügend Alternativen zu Staatsanleihen?

Es ist schwer, den Schwenk zu machen. Aber es ist eine Warnung an die Regierungen. Man hat beim Haircut in Griechenland nicht überschaut, was es bedeutet, wenn sich Großinvestoren langsam in andere Anlageklassen bewegen.

 

Wie soll sich die EZB denn überhaupt wieder zurückziehen, wenn sich Großinvestoren aus diesem Markt komplett verabschieden?

Wir haben ja als Allianz letztes Jahr den Weg aufgezeigt. Wir haben eine Versicherungslösung für Staatsanleihen durch den ESM vorgeschlagen. Es geht um eine Absicherung des ersten Verlustanteils. Wenn die Politik den Weg des Haircuts künftig nicht mehr gehen will, kann sie den Privatinvestoren ja die Sicherheit geben und sagen: Die ersten 30 Prozent gehen auf unsere Rechnung. Das wäre ein deutlicher Anreiz. Irgendwann werden wir diesen Weg gehen müssen. Die Notenbanken werden irgendwann überfordert sein.

 

Warum hat sich der Vorschlag nicht durchgesetzt?

Das hat etwas mit den notwendigen Auflagen zu tun, die den Stolz der Länder verletzen. Aber die Versicherungsbestandteile haben ja Eingang in den ESFS und den ESM gefunden.

 

Zurück zur Allianz: Wo genau investieren Sie Ihr Geld denn jetzt? In Unternehmensanleihen?

Das ist eine Anlageklasse, die wir schon immer im Bestand haben. Aber wenn alle in eine Richtung laufen, dann haben wir schnell wieder eine Blase. Wir sind keine Spekulanten. Wir müssen unsere Versicherungsverbindlichkeiten so abdecken, dass nichts passiert. Wir diversifizieren deshalb stark. Wir gehen in die Emerging Markets, die USA sind wieder attraktiv und wir investieren in Infrastruktur.

 

Beispielsweise in Stromnetze.

Die Bundesnetzagentur reguliert die Preise, das ist ein abgesichertes Modell. Für die Erzeuger ist es nicht so attraktiv, weil die Rendite unter ihren Kapitalkosten liegt. Für uns ist es für die Anlagegelder aber sehr attraktiv.

 

Werden Sie, wenn Sie mehr Kredite vergeben, nicht immer mehr zur Schattenbank?

Auch Kredite haben wir schon immer vergeben, aber wir werden jetzt nicht die Banken ersetzen in der Kreditvergabe. Wir arbeiten mit Kunden, die wir sehr gut kennen. Unsere Herausforderung ist es, als Erster die Chance in einer Anlage zu sehen. Und die Kompetenz haben wir, wie wir ja mit dem Kauf von Pimco gezeigt haben. Das ist eher ein Problem für diejenigen, die auf der Anlageseite nicht so gut aufgestellt sind. Die bekommen auf der Anlageseite nur das, was die professionell aufgestellten Investoren nicht nehmen.

 

Das wird existenziell sein für manche?

Es wird zumindest schwieriger.

 

Also werden kleinere Versicherer aus dem Markt ausscheiden?

Wir reden mit Wettbewerbern durchaus darüber, ob wir ihre Vermögensverwaltung für sie übernehmen. Auch bei der IT können sich viele die großen Investitionen, die notwendig sind, nicht mehr leisten. Auch durch die Regulierung kommen auf die kleinen Unternehmen Kosten zu. Es wird für kleinere Anbieter, die nicht spezialisiert sind, schwieriger, unter den gegenwärtigen Verhältnissen mitzuhalten.

 

Was ist derzeit Ihre größte Aufgabe als Vorstandschef?

Das Thema Investments und Sicherheit. Wenn sich zum Beispiel viele Investments von Europa in die USA verschieben, tauschen sie ein Marktrisiko gegen ein Wechselkursrisiko.

 

Das Länderrisiko USA muss man ja auch bewerten.

Da haben wir eine eindeutige Meinung: Die USA haben eine erstaunliche Dynamik, wenn es um das Thema Veränderungen geht.

 

Welche Anlageformen favorisieren Sie in den USA?

Wir sind sowohl auf der Firmenanleihen-Seite aktiv, machen aber auch sehr interessante Infrastrukturprojekte. Wenn Sie in Chicago Ihre Kreditkarte in die Parkuhr stecken, sind wir dabei.

 

Würden Sie größere Firmenpakete kaufen? Wenn Niedersachsen etwa seinen VW-Anteil verkauft?

Nein. Das hatten wir ja schon einmal. Damals hatten wir aber andere Bilanzierungsregeln. Wenn ein langfristiger Anleger jedes Quartal den Marktpreis bilanzieren muss, bringt das eine enorme Volatilität rein. Früher hatte man den Kaufpreis bilanziert und alles andere waren stille Reserven, das passt viel besser zum Geschäftsmodell.

 

Sie halten einen Schuldenschnitt für unwahrscheinlich, die Wachstumserwartungen für übertrieben. Was ist denn dann die beste Lösung? Höhere Inflation?

Das ist nicht mein Szenario. Ich glaube, dass es Riesenpotenziale gibt. Bei uns zum Beispiel die Energiewende, das kann ein Exportschlager werden. Auch mit dem Thema Recycling sollten wir uns mal richtig auseinander setzen. Man darf auch nicht vergessen, am langen Ende in Bildung zu investieren. Wir haben in Europa die Möglichkeiten, das hinzukriegen, wenn wir Strukturprobleme angehen und uns nicht zu sehr in Scheinthemen verzetteln. Wenn wir mit der gleichen Intensität, mit der wir über die Frauenquote reden, uns über die langfristige Wettbewerbsfähigkeit unterhalten würden, hätten wir viele Kapazitäten zur Problemlösung.

 

Auch mehr Frauen in der Wirtschaft ist ein volkswirtschaftliches Mobilisierungsthema. Da ist Potenzial, das geborgen werden muss.

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich bin nicht gegen Diversity-Themen. Aber wir haben das Thema alle verstanden. Ich kenne niemanden in Deutschland, der ernsthafte Probleme mit dem Thema hätte. Das Einzige, was unnötige Kräfte bündelt, ist diese permanente Thematisierung mit unzähligen Vorschlägen und die Ressourcen, die wir dafür aufwenden müssen, zu erklären, warum eine gesetzliche Regelung schlecht ist. Ich glaube, dass eine Selbstverpflichtung eine viel größere Wirkung hätte als eine starre gesetzliche Regelung.

 

Müssen Staat und Bürger vor allem eines: nach Ludwig Erhard Maß halten?

Das werden wir in jedem Fall auch brauchen. Im Moment ist das politisch gesehen aber das falsche Rezept. Denn wir brauchen kurzfristig Konsum und Anregung des Binnenmarktes als Ausgleich für das, was beim Export möglicherweise weg bricht. Man muss eine Balance finden. Die privaten Haushalte in Deutschland machen das genau richtig: Sie hatten schon immer eine hohe Sparquote.

 

Aber wer derzeit Geld für die Altersvorsorge zurücklegt, zahlt über die niedrigen Zinsen den Preis dafür, dass sich die Staaten heute günstig finanzieren können.

Ja, aber niedrige Zinsen helfen auch der Konjunktur. Deswegen ist das Thema nicht so eindimensional zu sehen. Jetzt Panik zu haben, hilft auch nicht. Die Taktik, wie wir mit der Eurokrise umgegangen sind — diese Salamitaktik — war gar nicht so schlecht. Die Politik der kleinen Schritte war richtig, aber die Langfristthemen müssen auch angegangen werden.

 

Es gibt aber Warner wie Bundesbank-Chef Jens Weidmann, seinen Vorgänger Axel Weber und Ex-EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark. Düstere Stimmen, die vor den Liquiditätsmassen, dem Aufkauf von Staatsanleihen, warnen.

Ich glaube, es ist gut, dass es die mahnenden Stimmen gibt. Man würde sonst sehr schnell euphorisch. Aber sie sagen nicht, wie es sonst gehen sollte. Auch wer meint, es sei besser, die Banken mal kollabieren zu lassen oder die Länder über das Kliff springen zu lassen, hat keine wirklich gute Lösung.

 

Sie meinen also nicht, dass zum Rekalibrieren des Systems auch gehört, dass einige Banken den Wettbewerb verlassen müssen?

Doch, absolut. Es ist unbefriedigend, dass die, die solide wirtschaften, die Früchte nicht ernten können, weil die Wettbewerber staatlich gestützt werden. Aber ich kann verstehen, dass man in so einer fragilen Situation das Risiko nicht eingehen will. Man ist immer noch traumatisiert vom Fall Lehman. Das Finanzsystem in einer Krisensituation zu destabilisieren, wäre unverantwortlich.

 

Stark würde jetzt sagen, das System wird durch das stabilisiert, was Ihr tut. So kommt kein Vertrauen zurück. Vertrauen käme zurück, wenn es eine Anpassungsrezession gäbe. Eine gesteuerte Finanzkrise durch das Herausgehen von Instituten, wie wir es in Deutschland mit der WestLB gemacht haben.

Aber was war das für ein schmerzhafter Prozess, der vier Jahre gedauert hat. Die WestLB war auch nicht so im Herzen der Privatkunden, das war ein anderes Geschäft. Dass man in dieser Phase Privatkunden von Banken oder Versicherungen nicht verunsichert, dafür habe ich Verständnis. Das darf aber keine Dauerlösung sein. Das Bestreben der Politik geht ja dahin, Situationen zu schaffen, in denen es keine Erpressbarkeit und damit Wettbewerbsverzerrung gibt.

 

Aber wenn man sich Spanien anschaut und die Situation der Banken dort, hat man den Eindruck, dass sich nicht viel geändert hat. Alle werden sie gerettet.

Also, wir haben unendlich viel gemacht. Was bei den Banken an Kapital aufgebaut worden ist, was an Komplexität herausgenommen worden ist, was regulatorisch passiert ist, das darf man nicht unterschätzen. Der große Wurf ist aber nicht gelungen. Es war das Ziel, die Institute insgesamt kleiner zu machen. Wenn man sich die Entwicklung auf der amerikanischen Seite anschaut, sind die Institute eher größer und damit systemrelevanter geworden. Inzwischen will ja eher jeder auf die Liste der systemrelevanten Institute, weil das eine Art Staatsgarantie ist. Da hat man das Gegenteil erreicht von dem, was man erreichen wollte.

 

Daher kommt ja auch die Debatte über das Trennbankensystem. Nikolaus von Bomhard, Vorstandschef der MunichRe, hat sich dafür ausgesprochen.

Wir sind nicht ganz unerfahren mit der Trennung von Bankteilen, weil wir das alles schon einmal mit der Dresdner Bank versucht haben.

 

Da sind Sie ja ganz froh, dass die Trennung rechtzeitig gelungen ist, oder?

Unter dem Dach der Commerzbank lässt sich das leichter lösen.

 

Eine diplomatische Antwort.

Jedenfalls ist es wahnsinnig schwierig, so eine Trennung zu vollziehen. Eine Investmentbank lebt vom Rating. Das ist gekoppelt an Kapital und Refinanzierung. Wenn die Investmentbank auf sich gestellt ist, dann wird das sehr, sehr teuer, weil die Kapitalanforderungen überproportional steigen.

 

Ist das nicht auch ein positiver Effekt, wenn sich manche Geschäfte nicht mehr rechnen, weil man sie nicht durch Kundeneinlagen abfedern kann?

Das ist nicht so leicht. Sie haben laufende Kosten für sehr langlaufende Geschäfte.

 

Also sind Sie kein Freund des Trennbankenmodells, weil Sie sagen, das zerstört die Investmentbank?

Ja, und es bringt eine Destabilisierung auch für den Rest der Bank. Im Privatkundengeschäft wird im jetzigen Umfeld kaum noch Geld verdient. Da wäre es sehr schwierig, das notwendige Kapital aufzubauen, wenn keine Erträge aus dem Investmentbanking kommen. Wenn ich heute auf dem weißen Blatt Papier ein Design entwerfen würde, würde ich es anders aufbauen. Aber im laufenden Organismus sieht das anders aus.

 

Das heißt, Herr von Bomhard liegt Ihrer Meinung nach falsch.

Er hat theoretisch Recht. Aber wenn es praktisch ginge, hätten wir das bei der einen oder anderen Bank schon gesehen.

 

Insofern würden Sie der SPD auch nicht raten, damit Wahlkampf zu machen.

Ich bin ein bisschen erschrocken darüber, dass die Politik die Verärgerung in der Bevölkerung immer wieder nutzt, um damit zu punkten.

 

Was müsste die Politik stattdessen tun?

Sie müsste sich Gedanken darüber machen, was für Institute wir brauchen, um das notwendige Wachstum zu finanzieren. Ich erinnere mich sehr gut, wie wir bei den großen Industrieunternehmen unsere Dienste als Hausbank angeboten haben und immer die Antwort gehört haben: „Vielen Dank, aber wir haben einen amerikanischen Anbieter, der hat eine Kapitalmarktexpertise, die Ihr nicht habt.“ Ich finde diese ganze Debatte auch ein bisschen dem Zeitgeist geschuldet.

 

In welcher Hinsicht?

Wir haben in Deutschland genau eine international kapitalmarktrelevante Bank, und das ist die Deutsche Bank. Bevor wir uns jetzt alle auf diese Bank stürzen, sollten wir uns vergewissern, welche Funktionen diese Bank eigentlich für die deutsche Klientel hat und ob wir uns darauf verlassen wollen und können, dass das in Zukunft andere Banken übernehmen.

 

Also brauchen wir eine starke deutsche Bank mit Investmentbanking.

Ich glaube, es ist fatal, dass wir nur eine einzige haben.

 

Unternehmer wie Jürgen Heraeus oder Linde-Chef Wolfgang Reitzle sagen: Bei uns läuft es, aber wir müssen Milliarden für Fehler unserer Dienstleister, die Banken, ausgeben.

Ich glaube nicht, dass wir in erster Linie über einen Fehler der Banken reden. Es war ein Fehler des billigen Geldes. Ausgelöst hat es die Hypothekenkrise in den USA. Ich habe selbst in den USA gearbeitet, als den Leuten die Hypothekenkredite hinterhergeworfen wurden. Da gab es auch Übertreibungen auf Bankenseite, aber es war ein Zusammenwirken von vielen Faktoren. Es gab ein Interesse, die Wirtschaft durch billiges Geld zu stützen. Das sehen wir jetzt wieder, dass wir die Krise mit künstlich verbilligtem Geld bekämpfen.

 

Glauben Sie, dass wir die Banken in Europa sicherer machen, indem wir die Einlagensicherung deutscher Banken kurzschließen mit der in anderen Ländern?

Erst müsste eine gemeinsame Aufsicht existieren, dann müssen die wirtschaftlichen Verhältnisse angeglichen werden und erst dann kann über gemeinsame Sicherungssysteme sinnvoll diskutiert werden. Im Grunde sind wir aber schon heute in der Haftung, wir sind auch schon in der Fiskalunion. Wir haben Garantien ausgereicht und haben ein hohes Eigeninteresse daran, dass diese Garantien nicht gezogen werden. Wir sind jetzt in einer Solidargemeinschaft.

 

Aber das ist ja nicht alternativlos. Wenn die Deutschen das nicht mehr wollen, wird es das gemeinsame Europa nicht geben.

Nur in der Theorie, in der Praxis sind wir schon mitten drin. Das ist wie in einem Tunnel. Es gibt keine Notausgänge. Man könnte das als Konstruktionsfehler sehen, aber so ist es nun mal.

 

Zum Schluss die Frage, wie lange Sie denn Allianz-Chef bleiben wollen. Das Thema kocht ja immer wieder hoch.

Mein Vertrag läuft bis Ende 2014. Wie üblich wird sich der Aufsichtsrat ein halbes Jahr vorher mit dem Thema auseinander setzen. Mehr gibt es dazu heute nicht zu sagen.

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