Wenn schleichend die Erinnerung schwindet

Alzheimer kommt meist mit dem Alter, zwar schleichend – aber doch mit immensen Auswirkungen für die Betroffenen und deren Umfeld. Die wichtigsten Fragen rund um die Krankheit beantworten die beiden Allianz Experten Michaela Grimm, Volkswirtin bei Allianz Group Economic Research und Corporate Development und der Leiter der Gesellschaftsärzte bei der Allianz Dr. Max Link.

 

Warum ist der Welt-Alzheimertag so wichtig?

Link: Die Alzheimer-Krankheit ist die wichtigste Demenz-Erkrankung und sicherlich eine der großen medizinischen, aber auch sozioökonomischen Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft. Mit den Zahlen ist erhebliches menschliches Leid verbunden. Unsere Gesellschaft muss sich dieser Herausforderung stellen.

Der diesjährige Welt-Alzheimer-Tag steht unter dem Motto "Demenz: Zusammenleben". Mit diesem Tag sollen die Menschen auf die Situation der Demenzkranken und ihrer Angehörigen aufmerksam gemacht werden.

 

Wie kann sich die Gesellschaft auf die Krankheit einstellen?

Grimm: Aufgrund der demografischen Entwicklung ist es wichtig, ein breites Verständnis in der Bevölkerung für die Krankheit und auch den Umgang mit daran erkrankten Mitmenschen zu schaffen. Denn zu den Auswirkungen der Krankheit gehört zum Beispiel auch ein schleichender Verlust des räumlichen und zeitlichen Orientierungsvermögens. Darüber hinaus gilt es, Lösungen zu finden, um den davon Betroffenen möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu gehört auch, pflegende Angehörige und Helfer zu unterstützten. Denkbar ist hier zum Beispiel ein Ausbau des Angebots an Tagespflegeeinrichtungen.

Dr. Max Link, Leiter der Gesellschaftsärzte bei der Allianz
Dr. Max Link, Leiter der Gesellschaftsärzte bei der Allianz

Gibt es Hoffnung, dass Alzheimer eines Tages heilbar ist? Gibt es aktuelle Fortschritte in der Forschung?

Link: Leider ist bisher der entscheidende Durchbruch zur kausalen Therapie dieser Erkrankung noch nicht gelungen. Es gibt aber durchaus Hoffnung, dass wir in den nächsten Jahren deutliche Fortschritte erreichen werden. Aufgrund der Forschung der letzten Jahre können wir die Grundlagen dieser Erkrankung wesentlich besser verstehen. Wir wissen jetzt, dass Alzheimer im Zusammenhang mit der Ablagerung von abnormen Eiweißbruchstücken zu sehen ist. Diese Eiweißbruchstücke entstehen beim Abbau von größeren Eiweißkomplexen, die der Nervenreizübertragung in den Gehirnzellen dienen. Kommt es dabei zu nur minimalen Abweichungen, können Eiweißbruchstücke entstehen, die sich in den Nervenzellen ablagern, kaum noch abgebaut werden, sich weiter verklumpen und schließlich zum Absterben der Nervenzellen führen. Der kausaltherapeutische Ansatz in der Forschung zielt deshalb darauf, entweder bereits die Bildung dieser abnorm veränderten Eiweißbruchstücke zu verhindern oder den Abbau zu ermöglichen. In Tierversuchen mit transgenen Mäusen konnten dabei schon Erfolge erzielt werden. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob man diese Erfolge auch auf den Menschen übertragen kann.

 

Ist es möglich die Krankheit nach der Diagnose zu verlangsamen?

Link: Eindeutig ja. Man kennt heutzutage sowohl gute medikamentöse als auch nicht medikamentöse Behandlungsansätze. Dabei ist es wichtig, mit diesen Behandlungen bereits möglichst bald in sehr frühen Krankheitsstadien zu beginnen. Medikamentös versucht man den Mangel an Nervenbotenstoffen im Gehirn, der durch das Absterben der Nervenzellen bedingt ist, auszugleichen. Dies gelingt zu Beginn der Erkrankung in vielen Fällen recht gut, im weiteren Verlauf der Erkrankung nimmt die Wirkung aber dann i.d.R. ab. Äußerst wichtig ist aber auch die nichtmedikamentöse Behandlung, um die Selbständigkeit der Kranken solange wie möglich aufrechtzuerhalten. Positiv kann sich hier ein kognitives Training, eine Realitätsorientierung, eine Verhaltens- und Erinnerungstherapie auswirken.

 

Warum ist die Krankheit scheinbar erst in den letzten Jahren in unser Bewusstsein gerückt?

Grimm: In manchen Kulturkreisen wurden bzw. werden Verhaltensänderungen älterer Menschen nicht mit einer Krankheit assoziiert, sondern es wurde als "normal" angesehen, dass alte Menschen etwas wunderlich und vergesslich werden. Darüber hinaus fehlen häufig auch die Diagnosemöglichkeiten. Ehrlicherweise muss man aber zugeben, dass auch in den Industrieländern viele Demenzfälle erst sehr spät diagnostiziert werden. In den USA dürften 50 % aller Fälle gar nicht diagnostiziert werden. Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Forschung auch auf der Entwicklung neuer Diagnoseverfahren. Demenz ist eine Alterskrankheit. Je höher die Lebenserwartung und damit die Zahl älterer Menschen in einer Volkswirtschaft ist, desto mehr Demenzkranke wird es dort geben. 

Dr. Michaela Grimm, Volkswirtin bei Allianz Group Economic Research und Corporate Development
Dr. Michaela Grimm, Volkswirtin bei Allianz Group Economic Research und Corporate Development
  • Wenn ein Patient oder auch seine Angehörigen mit der Diagnose Alzheimer konfrontiert werden, ist dies immer ein Schock. Dieser Schock und auch die damit verbundene Angst ist verständlich. Man muss den Menschen Hilfe und Unterstützung anbieten.

  • Eine erste Anlaufstelle kann hier sicherlich der Hausarzt sein. Er kennt in der Regel den Erkrankten und auch seine Familie bereits seit vielen Jahren. Der Hausarzt kann den Menschen die erste Angst nehmen, er kann ihnen die Erkrankung erklären und kann sie zu besonders spezialisierten Ärzten weiterleiten.

  • Spezialisierte Ärzte dürften in der Regel Psychiater, Neurologen und Nervenärzte sein. Diese Ärzte werden dann nicht nur die medikamentöse Behandlung einleiten, sondern auch die weitere nichtmedikamentöse Therapie vermitteln.

  • Jeden Erkrankten und auch seinen Angehörigen empfehle ich auch, Kontakt zur Deutschen Alzheimergesellschaft aufzunehmen. Dies ist eine Selbsthilfeeinrichtung für Demenzkranke, mit sehr großer Erfahrung auf diesem Gebiet. Der Erkrankte und seine Angehörigen erhalten hier Unterstützung, wie z.B. Adressen von regionalen Therapieeinrichtungen, aber auch Hinweise auf mögliche soziale Unterstützung, wie z.B. auf Leistungen aus der Pflegeversicherung.

  • Neben den medizinisch therapeutischen Leistungen sind für Demenzkranke und ihre Angehörigen auch diese finanziellen Unterstützungen besonders wichtig, um eine Betreuung des Erkrankten im gewohnten häuslichen Umfeld möglichst lange gewährleisten zu können. Zusätzlich wertvolle Hilfe können hier auch private Pflegeversicherungen leisten.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen

Claudia Mohr-Calliet
Allianz SE
Tel. +49.89.3800-18797
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