"Die See lässt sich immer etwas Neues einfallen"

Sven Gerhard: Generell zählen Schiffe zu den sichersten Fortbewegungsmitteln – nach Bus, Bahn und Flugzeug. Eine Fahrt auf einem Passagierschiff ist viel sicherer als Auto oder Fahrrad zu fahren. Große Havarien von Kreuzfahrtschiffen sind sehr selten. In der Zeit von 2000 bis 2010 sind nur 17 Schiffsverluste registriert – und zehn davon ereigneten sich außerhalb der Fahrt, als keine Passagiere an Bord waren.

Die Sicherheitsstandards auf Kreuzfahrtschiffen zählen zu den höchsten der Branche, schließlich reisen so mehr als 20 Millionen Menschen im Jahr. Auf einem großen Kreuzfahrtschiff sind normalerweise fünf Feuerwehrmannschaften an Bord.

Der Trend geht zu immer größeren Schiffen. Die neueste Generation der Kreuzfahrtschiffe kann mehr als 8.000 Passagiere und Besatzungsmitglieder an Bord nehmen. Geht die zunehmende Größe auf Kosten der Sicherheit?

Gerhard: Die Größe allein macht Schiffe nicht automatisch gefährlicher. Experten gehen sogar davon aus, dass sie stabiler werden. Die Branche macht sich natürlich sehr genau Gedanken darüber, wie man im Notfall Tausende von Menschen auf offener See evakuieren kann.

Welche Rettungssysteme brauche ich dafür, wie bereite ich meine Besatzung, aber auch die Passagiere entsprechend vor, so dass im Notfall alles nach Plan ablaufen kann? Im Idealfall ist das Kreuzfahrtschiff selbst das beste Rettungsboot. Es muss so konstruiert sein, dass es bei einem Brand oder technischen Defekt schwimmfähig bleibt und die Menschen solange an Bord bleiben können, bis ein geordneter Landgang möglich ist.

Sven Gerhard ist bei AGCS für Schiffsversicherungen weltweit verantwortlich

Klicken, um das Bild zu vergrößern: AGCS-Karte "Shipping losses"
Quelle: Dr. Jean-Paul Rodrigue, Dept. of Global Studies & Geography, Hofa University / Datenquelle: Lloyd's List Intelligence World Fleet Update

Gerhard: Jede Havarie löst in der Branche Diskussionen um die Sicherheit aus. Das war schon bei der Titanic so – und die Costa Concordia wird hier keine Ausnahme machen. Es folgen in der Regel verschärfte oder neue Vorschriften der Brancheninstitutionen. Aber die Schifffahrtsindustrie geht Sicherheitsrisiken auch selbst aktiv an. So entwickelte die Branche nach der Ölkatastrophe der Exxon Valdez den Doppelhüllentanker. 

Die Sicherheit in der Seefahrt hat seit dem Titanic-Untergang riesige Fortschritte gemacht. Aber der Faktor Mensch bleibt das Hauptproblem.

Gerhard: Richtig, in mehr als 75 Prozent der Unfälle ist menschliches Versagen als ein Faktor mit im Spiel. Das kann viele Gesichter haben: Übermüdung, Kommunikationsprobleme in den multinationalen Mannschaften, mangelnde Ausbildung oder nachlässiges Sicherheitsmanagement. Die Technik hat sich in den letzten 100 Jahren enorm weiterentwickelt, eine moderne Kommandobrücke ist ein High-Tech-Zentrum mit Satellitenkommunikation, GPS-Ortung und elektronischen Kartensystemen. Und es gibt heute faktisch Regelungen für alle wichtigen Sicherheitsthemen. Daher ist es nur konsequent, wenn sich alle Bemühungen um mehr Sicherheit an Bord auf den Faktor Mensch konzentrieren.

Was können die Reeder tun?

Gerhard: Wichtig ist, dass es auf jeden Schiff nicht nur Aktenordner mit Vorschriften gibt, sondern wirklich eine gelebte Sicherheitskultur. Training und Qualifizierung der Besatzung müssen ganz oben stehen, es braucht ein gemeinsames Sicherheitsverständnis vom Matrosen bis zum Kapitän. Einige Reeder und Crewing-Firmen leisten sich beeindruckende Trainingszentren, in denen kritische Situationen simuliert werden können. Nichts kann aber jahrelange Erfahrung ersetzen. Denn wie sagte mir einer unserer Kapitäne: Die See lässt sich immer wieder etwas Neues einfallen.

Wie bewerten Sie als Versicherer die Sicherheit an Bord?

Gerhard: Wir interessieren uns für das Sicherheitsmanagement und die Notfallpläne unserer Kunden und wollen mehr darüber erfahren. Ein wichtiger Indikator ist auch die sog. "crew retention": Heuert eine Besatzung wiederholt auf ein- und demselben Schiff an? Das zeigt, dass die Seeleute dort gerne arbeiten, dass das Management passt.

Generell suchen wir einen engen Dialog zu unseren Kunden aus der Schifffahrt. Je mehr Informationen wir haben, desto besser können wir Risiken bewerten. Und desto besser können wir auch unterstützen, Gefährdungen aktiv zu minimieren und so die Sicherheit an Bord weiter zu verbessern. Transparenz zahlt sich für den Kunden also aus.

  
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