"Ein Sonnensturm wie 1859 wäre heute der Super-Gau"

Solche starken Sonnenstürme sind sehr selten. Wenn sie aber auftreten, ist ihre Wirkung gewaltig: Sie könnten schlimmstenfalls ganze Regionen über Tage hinweg von der Stromversorgung abschneiden. Auch Satellitenbetreiber und Fluggesellschaften sind gefährdet. Allianz.com sprach mit Michael Bruch, Risikoingenieur beim Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty, wie bedrohlich die Sonnenphänomene sind.

Michael Bruch: Das ist noch sehr schwierig. Die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt oder die European Space Agency arbeiten an Frühwarnsystemen. Mit Sonnenobservatorien und den Methoden der Helioseismologie, die ähnlich wie die Erdbebenvorhersage funktionieren, lassen sich kleinere Strahlungsstürme zwei Tage vorhersagen, größere immerhin einen.

Und was passiert dann?

Bruch: Eine Eruption kündigt sich durch einen Röntgenblitz an, den man wenige Minuten später auf der Erde sehen kann. Polarlichter, die durch die Wechselwirkungen der hochenergetischen Plasmateilchen mit der Erdatmosphäre hervorgerufen werden, sind 24 bis 36 Stunden später sichtbar. Ein Sonnensturm dauert in der Regel zwei bis vier Tage an.

Wie wirkt ein Sonnensturm auf uns aus?

Bruch: Sonnenstürme können versorgungskritische Hochspannungstransformatoren massiv beschädigen. Sie erzeugen in deren Spulen Temperaturen bis zu 200 Grad Celcius, dadurch verdampfen die Kühlmittel und die Transformatoren verschmoren regelrecht. Für solche Transformatoren gibt es keine Ersatzeinrichtungen und ihre Reparatur kann Tage oder Wochen dauern. Besonders exponiert sind nördliche Breitengrade und hier vor allem die USA und Kanada. Dort begünstigen die geologische Bodenbeschaffenheit und sehr lange Hochspannungsleitungen extreme Kurzschlüsse.

Michael Bruch, Risikoingenieur bei Allianz Global Corporate & Specialty

Die Sonne kennt unterschiedliche Rhythmen: Ruhige und aktive Phase wechseln sich alle elf Jahre ab. Noch bis Ende 2013 finden wir uns in einer hochaktiven Phase, in der die Wahrscheinlichkeit von Sonnenstürmen rapide zunimmt. (Foto: NASA)

Bruch: Ein Sonnensturm in der kanadischen Provinz Quebec kappte 1989 die Stromversorgung für sechs Millionen Menschen für neun Stunden – und zwar bei minus 15 Grad Celcius. Der Blackout verursachte ein Chaos, weil Verkehrsleitsysteme, Flughäfen und die Fernwärmeversorgung ausfielen. Der Schaden belief sich auf mehrere hundert Millionen US-Dollar.

Das muss ein ziemlich starker Sturm gewesen sein...

Bruch: Das war kein Rekord. Der stärkste jemals registrierte Sonnensturm traf die nördliche Erdhalbkugel im Jahr 1859. Menschen von Rom bis Havanna bewunderten die Polarlichter, aus den Telegrafenleitungen schlugen Funken und Feuerflammen. Damals gab es noch kein großes Elektrizitätsnetz, kein Internet und keine digitalen Prozesse. Heute wäre ein solcher Sonnensturm der Super-Gau. Ein Land wie die USA bräuchte Jahre, um sich zu erholen.

Was wäre neben der Stromversorgung in Gefahr?

Bruch: Die energiereichen Teilchen der Sonnenstürme können Satelliten stark beschädigen. Sie können – zumindest bei älteren Generationen – durch die Außenhülle durchdringen und die Elektronik zerstören. Dies kann wiederum zu Störungen des GPS-Empfangs führen, von denen moderne Navigationssysteme im Flugverkehr oder in der Schifffahrt abhängig sind.

Dann gibt es die Flugzeuge selbst. Sie sind gerade in Polnähe einem erhöhen Strahlungsrisiko ausgesetzt. Das kann die Steuerungssysteme beeinträchtigen und die Gesundheit von Passagieren und gefährden. Daher hat Delta Airlines während eines Sonnensturms im Januar diesen Jahres auch Flüge von Amerika nach Asien weiter gen Süden umgeleitet.

Welche Schutzmaßnahmen sind gegen Sonnenstürme möglich?

Bruch: Neue Satellitengenerationen sind durch innovative Materialen, spezielles Design und redundante Elektroniksysteme gegen die hochaufgeladenen Solarpartikel geschützt.  Schwieriger wird es für Energieversorger und die Betreiber von Stromnetzen. Ihnen bleiben zum einen technische Schutzmaßnahmen gegen geomagnetisch induzierte Ströme oder Ersatz-Transformatoren – beides wäre mit immensen Investitionen verbunden und ist auch praktisch schwierig machbar.

Stromversorger haben also kaum einfache Optionen?

Bruch: Sinnvoller scheint es, geeignete Frühwarnsysteme zu entwickeln, um gefährdete Netzbereiche rechtzeitig abschalten oder die Netzkapazitäten anders auslasten zu können. Solche Ansätze stecken allerdings noch in den Kinderschuhen.

  
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Heidi Polke-Markmann

Allianz Global Corporate & Specialty
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