"Wir müssen das Leben im Alter so gestalten, dass es unseren Kräften entspricht."

Brigitte Miksa: Eigentlich schon. Als Spezies sind wir offenbar erfolgreich! Es gibt außerdem immer mehr Menschen, die unter guten Bedingungen aufwachsen und sich auf ein langes Leben freuen können. Und das bei ganz guter Gesundheit, guten Bildungschancen und ordentlichem Einkommen.

Andererseits haben wir aber Probleme mit Überbevölkerung und in Afrika und manchen asiatischen Ländern geht es vielen Menschen ökonomisch immer noch sehr schlecht.

Einerseits also Herausforderungen mit Überbevölkerung, andererseits klagen wir darüber, dass uns der Nachwuchs fehlt und die Gesellschaft überaltert. Ist das in Zeiten der Globalisierung nicht ein Widerspruch?

Miksa: Ist es. Und wir diskutieren dann gern über Zuwanderung, die ja eine Möglichkeit des Ausgleichs verspricht. Nur ist das gar nicht so einfach – gerade in Europa. Die Zuwanderungswilligen sind nämlich nicht zwangläufig die, die wir uns für uns vorstellen, um unsere Probleme wirtschaftlicher Produktivität und mangelnden Geburtennachwuchs zu beheben. Wir stellen uns immer vor, dass die gut ausgebildeten Fachkräfte und Akademiker aus aller Welt zu uns kommen wollen. Wir sind für sie aber gar nicht die erste Wahl!

Wir streben eine gezielte Einwanderung an, aber schaffen es nicht einmal innerhalb von Europa, das Angebot von Arbeit und Ausbildung einerseits und den Bedarf an Arbeitskräften andererseits zu managen. Denken Sie an die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Italien während in Deutschland Auszubildende gesucht werden. In der Beziehung sind wir immer noch eine Ansammlung vieler kleiner Staaten.

Was wäre die Lösung?

Miksa: Länderübergreifende Arbeitsagenturen wären eine gute Idee – in manchen Grenzgebieten gibt es so etwas im Kleinen. Auf jeden Fall müssen wir die Bereitschaft für eine kulturelle Veränderung Europas fördern. In Sachen Mischkultur sind wir noch nicht sehr weit. Wir müssen aber gleichzeitig auch Anreize schaffen, dass Frauen wieder Kinder bekommen möchten – dass sie das Gefühl haben, dass das nicht eine riesige Herausforderung und ein Risiko ist.

Dass wir immer älter werden, ist für uns persönlich eine schöne Sache. Wo liegt eigentlich das Problem?

Miksa: Nur ein Beispiel: 2050 müssen in Deutschland die 54% der Bevölkerung, die beschäftigt sind (15-65 Jahre alt), die 36% Abhängigen – also Kinder und Ältere – unterhalten 1 . Das ist eine große wirtschaftliche Herausforderung! In anderen Ländern sieht es ganz ähnlich aus.

Eine Allensbach-Studie 2 zeigt, dass in Deutschland 52% der Bevölkerung eine negative Entwicklung erwarten und Angst vor Altersarmut haben (55%) 3 : Die meisten Menschen haben jedoch keine Vorstellung davon, welche Auswirkung die Vergreisung auf alle Bereiche ihres Lebens und unserer Gesellschaft haben wird. Wenn wir Lösungen finden wollen, brauchen wir nicht nur Drohszenarien, sondern eine plastische Vorstellung von der Zukunft. Wie wird das aussehen, wenn die Hälfte der Autofahrer über 80 ist? Oder wenn immer mehr Menschen auf Dreirädern unterwegs sind? Haben wir Platz dafür? Und gibt es genug barrierefreien Wohnraum? Sollten hier vielleicht die Bauvorschriften angepasst werden?

Es geht also nicht nur darum, wer das alles bezahlt?

Miksa: Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt, denn häufig reichen die Ersparnisse einfach nicht lange genug. Alt werden ist da zum Risiko geworden. Aber es geht um viel mehr. So ein langes Leben will auch aktiv gestaltet werden. Das unterschätzen wir. Die Herausforderung besteht darin, das Leben im Alter so zu gestalten, dass es unseren Kräften entspricht.

Wann gehen Sie in Rente?

Miksa: Am 1. Januar 2025 – sagt der Bescheid, den mir die Deutsche Rentenversicherung jährlich zusendet. Aber vielleicht will ich das ja gar nicht?

Sie wollen nicht in Rente gehen? Was wäre denn Ihr Wunschmodell?

Miksa: Im Idealfall stelle ich mir vor, dass ich so ab 60 in eine Tätigkeit übergehen kann, die mir mehr freie Zeit gönnt und flexibler ist. Sei es über Blockarbeitszeit, reduzierte Wochenarbeitszeit oder Jahresarbeitszeitkonto – das wäre meine Lieblingsvorstellung, am besten auf 60-Prozent-Basis. So könnte ich Projekte übernehmen, meine Erfahrung einbringen, aber außerdem mehr Erholungszeit und Freizeit genießen. Da bleibt der Spaß an der Arbeit erhalten.

Das klingt gut. Warum machen das nicht alle so?

Miksa: Bisher ist so ein "Ausschleichen" in die Rente vom System noch nicht vorgesehen. Der Punkt wird aber kommen, wo der Druck so groß wird, dass man sich nicht mehr nur auf die jungen Talente konzentrieren kann. Dann braucht man Beschäftigungsmodelle für ältere Arbeitnehmer, aber auch für die Frauen und Männer, die Erziehungszeiten wahrnehmen möchten oder die ihre Eltern pflegen müssen.

Heute weiß ich nicht mal, ob ich noch eine Karriere vor mir habe oder schon hinter mir? Bin ich noch ein "Talent" oder bin ich schon ein "Oldie"? Fühlen tue ich mich noch nicht wie ein Oldie... 

Was müsste 2012 passieren damit es aus Ihrer Sicht ein gutes Jahr wird?

Miksa: Ich wünsche mir in der politischen Diskussion einen stärkeren Schutz für die private Altersvorsorge. Die Finanztransaktionssteuer etwa, die zurzeit diskutiert wird, betrifft alle Investoren – und damit auch private Ersparnisse fürs Alter. Das wird bei derartigen Maßnahmen leicht vergessen.

Wir brauchen eine Übersicht, die gesetzliche und private Vorsorge zusammenfasst, so dass wir zumindest ungefähr wissen, was wir im Alter haben werden. Wenn wir die Rentenlücke berechnen, geschieht das so Pi mal Daumen. Wir müssen nicht nur wissen, wie das Alterseinkommen finanziert wird, sondern auch wie viel ausreichend wäre.

Besonders wichtig ist, dass wir uns möglichst umfangreich mit den Herausforderungen der demografischen Entwicklung auseinandersetzen, in der Öffentlichkeit – über möglichste viele Medien –, so dass die Vorstellung davon plastischer wird, die Verunsicherung abnimmt und zunehmend Lösungen statt Probleme diskutiert werden.

Brigitte Miksa: "Die meisten Menschen haben keine Vorstellung davon, welche Auswirkung die Vergreisung auf ihr Leben und unsere Gesellschaft haben wird"

Brigitte Miksa ist Leiterin International Pensions bei Allianz Asset Management AG. Ihr Bereich ist verantwortlich für Research und Publikationen zum Thema globale Pensions- und Altersvorsorgemärkte sowie für die Unterstützung der Geschäftsstrategie der Allianz in ihren Kernmärkten. Sie ist außerdem Herausgeberin des preisgekrönten Magazins für Investitionen und Altersvorsorge "PROJECT M".
 

1 UN Bevölkerungstatistik (2011)

2 Alter und Älterwerden - aus der Sicht von Journalisten und der Bevölkerung. Eine vergleichende Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Robert Bosch Stiftung. (2008)

3 Allensbacher Archiv, IFD-Umfragen, zuletzt 10084

 
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Michael Matern

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