Den amerikanischen Traum wieder zum Leben erwecken

Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE, plädiert für eine konzertierte Aktion zur Wiederherstellung des gesellschaftlichen Konsenses. Investitionen sollten sowohl das demokratische Fundament der Vereinigten Staaten stärken als auch strukturelle Wettbewerbsprobleme der Wirtschaft überwinden.

 

Die Welt ist den USA im 20. Jahrhundert zuallererst deshalb gefolgt, weil Amerika die führende Demokratie der Welt war, und nicht so sehr aufgrund seiner Wirtschafts- und Militärmacht. Nur eine Rückbesinnung auf diese demokratische Stärke wird Amerikas Erfolg auch in der Zukunft sichern.

 

Das Kernelement dieser demokratischen Führung war immer der "amerikanische Traum". Also die Möglichkeit für alle Bürger und Einwanderer, sich sprichwörtlich vom Tellerwäscher zum Millionär hochzuarbeiten. Damit verbinden sich ur-demokratische Elemente einer unternehmerischen und fairen Gesellschaft: Chancengleichheit beim sozialen Aufstieg, freie Märkte und Unternehmergeist, persönliche Freiheit und Sicherheit. Die Attraktivität des "American Way of Life" zeigt sich auch in der hohen Zuwanderung aus aller Welt: Allein in den zweieinhalb Jahrzehnten seit Öffnung der Mauer - mit der eine neue Globalisierungswelle begann - sind rund 25 Millionen Menschen legal in die USA eingewandert. Und auch wer nicht zum Millionär wurde, konnte bei entsprechendem persönlichen Einsatz ein erfülltes, sozial und ökonomisch attraktives Leben führen, bei dem es jeder Generation besser ging als der vorherigen.

 

Damit ist es allerdings seit einigen Jahren vorbei: Das Realeinkommen der Haushalte liegt im Mittelwert selbst mit dem kräftigen Anstieg im vergangenen Jahr immer noch deutlich unter dem Spitzenwert von 1999. Die schrumpfende Mittelschicht und ärmere Gesellschaftsschichten verloren dabei überproportional. Insgesamt konnten in den vergangenen 30 Jahren nur Familien mit hohem Einkommen signifikante Zuwächse beim Realeinkommen verbuchen. Heute leben 15 Prozent der Amerikaner in Armut. Das ist mehr als fast in jedem anderen Industriestaat. Bildungschancen werden unsozial verteilt. Nach einer OECD-Studie von 2015 werden im Jahr 2030 von den weltweiten Ingenieur- und Naturwissenschaftlern 37 Prozent Chinesen sein, aber nur gut 4 Prozent Amerikaner. Es sind einfach viel zu viele Kinder, die Amerikas öffentliche Schulen mit Bildungslücken verlassen.

 

Umgekehrt ist eine Top-Universitätsausbildung, bei der Amerika für jede Wissensgesellschaft den Goldstandard abgibt, immer stärker ein Privileg der Eliten. Und auch in der Firmenwelt steigt die Ungleichheit: Große Unternehmen hielten sich seit der Bank- und Wirtschaftskrise relativ gut, kleine müssen hart kämpfen. Dabei entstehen monopolnahe Gebilde, zum Beispiel im Kreditsektor.

 

Strukturelle, nicht zyklische Probleme greifen die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft an und verstärken das Wohlstandsgefälle. Die Rentenlücke wächst. Hochwertige Gesundheitsversorgung können sich trotz Reformen nur Reiche leisten. Auch wenn acht Jahre nach der Krise nunmehr das durchschnittliche jährliche Wachstum zwei Prozent beträgt, die Arbeitslosigkeit sich auf fünf Prozent halbiert hat und zuletzt die Reallöhne wieder anstiegen.

 

Ein sichtbares Zeichen des Stillstands ist die Infrastruktur, die manchmal an ein Drittweltland erinnert. Besonders alarmierend ist die nahezu stagnierende Arbeitsproduktivität. Das hat jüngst sogar Präsident Barack Obama im britischen "Economist" herausgestellt. Der durchschnittliche Zuwachswert von 2,5 Prozent zwischen 1949 und 2005 ist in den letzten drei Quartalen auf 0,5 Prozent abgesunken. Ein so niedriges Produktivitätswachstum gab es zuletzt 1979. Die Menschen spüren, dass diese Entwicklung ihren Wohlstand gefährdet. Spätestens seit der durch die Wall Street verursachten Welt-Finanzkrise und dem gescheiterten Krieg im mittleren Osten wackelt der Anspruch der USA, die führende Demokratie der Welt zu sein.

 

Trotzdem werden die strukturellen Probleme für viele noch überdeckt durch die Stärke der großen privaten US-Unternehmen und die militärische Dominanz des Landes. Europa ist ohne die USA kaum verteidigungsfähig. Und von den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt werden die ersten neun Plätze von Amerikanern besetzt.

 

Unbestrittene Stärken dürfen aber nicht weiter eine selbstkritische Fehleranalyse und die Ableitung von Reformen behindern. Sonst wird die Polarisierung und Paralyse an vielen Stellen der Gesellschaft nicht überwunden: "Kalter Krieg" im Kongress, Verrohung der Sitten bei der Präsidentschaftswahl und bürgerkriegsähnliche Zustände in Großstädten mit hohen Minderheitsanteilen.

 

Deshalb: Nach dem Wahltag sollte die US-Politik in einer konzertierten Aktion Landesinteresse über Partikularinteresse stellen. Mit dem US-typischen Optimismus und Pragmatismus müssen die für breite Schichten des Landes begrenzten Möglichkeiten wieder geöffnet werden. Es braucht deutlich mehr Investitionen, Innovationen und letztlich breiter gestreute Wohlfahrtsgewinne. Gefragt ist eine Wachstumspolitik, die nicht große Gesellschaftsschichten ausschließt, sondern vor allem den amerikanischen Mittelstand wiedererstarken lässt. Zum Pflichtenheft der neuen Regierung gehören zudem: Chancengleichheit in der Bildung und für gesellschaftlichen Aufstieg, Modernisierung der öffentlichen und sozialen Infrastruktur, Förderung persönlicher Freiheit und Sicherheit. Ohne Wiederherstellung des gesellschaftlichen Konsenses wäre zu befürchten, dass die Risse in der US Gesellschaft sich weiter vergrößern. Allen Internetmillionären zum Trotz.

 

Kurz: Ich wünsche mir, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich sozial- und wirtschaftspolitisch wieder vereinigen - und zwar hinter ihrer größten Idee: dem amerikanischen Traum. Damit es wieder das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird.

 

Wir als Freunde und Partner sollten alles tun, um Amerika bei der Rückbesinnung auf seine demokratische Stärke und den dafür geeigneten Reformen zu unterstützen. Das wäre auch gut für Deutschland und Europa.

 

 

Dieser Artikel ist die editierte Version einer Kolumne, die im Handelsblatt am 25. Oktober 2016, und in der Handelsblatt Global Edition am 26. Oktober erschienen ist. Die Meinungen im Artikel entsprechen denen des Autors.

Oliver Bäte, Vorsitzender des Vorstands der Allianz SE: Das Kernelement der demokratischen Führung Amerikas war immer der "amerikanische Traum".
Oliver Bäte, Vorsitzender des Vorstands der Allianz SE: Das Kernelement der demokratischen Führung Amerikas war immer der "amerikanische Traum".

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

 

Christian Kroos
Allianz SE
Tel. +49.89.3800-5043
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