Was wir von Boxern über die Wirtschaft lernen können

Ein Konjunkturausblick für 2016 und 2017 von Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz und Mohamed A. El-Erian, Chief Economic Advisor.



Allianz.com: Mit was für einem Wachstum rechnen Sie in 2016 und 2017? Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Wirtschaftsmotoren?
 
Heise:
Ich rechne eigentlich mit einem akzeptablen weltweiten Wachstum, das natürlich nicht dem des vergangenen Jahres entsprechen wird. Das Wachstum wird stärker ausfallen in den Industrieländern und schwächer an den von Öl- und Rohstoffexporten abhängigen Märkten. Hauptmotor ist künftig der Verfall der Ölpreise. Wenn sich deren Preisniveau weiterhin zwischen 30 und 50 Dollar pro Barrel bewegt, treibt das den Konsum in den meisten Ländern an. Allerdings ist der Ölpreis ziemlich schwer vorauszusagen.
 
El-Erian: Die Weltwirtschaft wird ganz gut laufen. Aber es wird kein Durchstarten geben, und sie wird weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Und das trotz beträchtlicher zurückgestellter Mittel und interessanter Innovationen. Der Hauptschuldige ist die halbherzige Reaktion der Politik. Wir dürfen nicht mehr so sehr den Zentralbanken vertrauen, sondern müssen einen umfassenderen politischen Ansatz suchen. Diese strategische Verlagerung wird somit eine der zentralen Fragen sein. Außerdem werden wir uns mit größerer finanzieller Volatilität konfrontiert sehen. Die entscheidende Frage ist an dieser Stelle, ob diese sich auf die Finanzmärkte beschränkt, oder ob sie auch auf die Wirtschaftstätigkeit übergreifen wird.
 
Es scheint, dass viel von den Zentralbanken abhängt. Sind sie seit der Finanzkrise in 2008 überfordert?
 
El-Erian:
Wir können drei Phasen seit dem Ausbruch der Finanzkrise in 2008 unterscheiden: Alles begann mit der Reaktion entsprechend dem Motto "doing whatever it takes" (in etwa: alles tun, was notwendig ist) auf die Krise. Auf diese Weise wurden eine weltweite Depression und der Zusammenbruch der Eurozone abgewendet. Die US-Notenbank (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) traten 2010 beziehungsweise 2014 in die zweite Phase ein, als sie nicht nur die Verantwortung für die Geldpolitik, sondern auch für die Wirtschaft insgesamt übernahmen. Ihre Maßnahmen trugen dazu bei, ein gewisses Wachstum zu erzielen, nicht jedoch neue Produktionskapazitäten freizusetzen. Die dritte Phase wird dann durch den Druck gekennzeichnet sein, auf unkonventionelle Strategien zurückzugreifen. Ich würde die Zentralbanken in der ersten Phase mit einem A+ und in der zweiten mit einem B+ bewerten. Es ist noch zu früh, um die dritte Phase zu beurteilen.
 
Heise: Wie El-Erian bereits gesagt hat, haben wir uns zu sehr auf die Zentralbanken verlassen. Wir können keine höhere Produktivität oder Wachstum erwarten, wenn wir der Geldpolitik nur einfach eine höhere Dosis derselben Medizin verordnen.

Mohamed A. El-Erian: Wir dürfen nicht mehr so sehr den Zentralbanken vertrauen, sondern müssen einen umfassenderen politischen Ansatz suchen.
Chancengleichheit ist nach dem Urteil der Top-Ökonomen der Allianz der Schlüssel zur Bekämpfung von Ungleichheit
Von links: Mohamed A. El-Erian, Chief Economic Advisor der Allianz und Michael Heise, Chefökonom der Allianz

Die Fed hat allmählich damit begonnen, die Zinssätze zu erhöhen. Wann wird sich Europa anschließen? Was sind die Folgen der unterschiedlichen Vorgehensweisen von Fed bzw. EZB?
 
Heise:
Bevor die EZB die Zinssätze erhöht, muss sie anfangen, ihr Programm der quantitativen Lockerung zurückzufahren. Da wir momentan erwarten, dass dieses Programm bis in das Jahr 2017 fortgesetzt wird, gehen wir vor dem zweiten Halbjahr des kommenden Jahres nicht von einem Ende der Nullzins-Politik aus. Und 2017 ist bereits eine äußerst sportliche Prognose, das können Sie mir glauben.
 
El-Erian: Aus Sicht der amerikanischen Notenbank wurde für 2016 viel über vier Zins-Schritte gesprochen. Ich rechne damit, dass es sich im Höchstfall tatsächlich nur um zwei handelt. Möglicherweise auch weniger. Und der Zinszyklus weist weiterhin eine flache Kurve auf und bleibt deutlich unter dem historischen Mittelwert von vier Prozent.
 
Die erste Flaute der chinesischen Wirtschaft erlebten wir 2015. Sie hat sich 2016 sogar noch verschärft. Haben wir es jetzt mit einem besonders volatilen Jahr zu tun?
 
El-Erian:
China hat derzeit mit einer unvermeidlichen Abschwächung der Wirtschaft zu kämpfen. Da es sich aus der Situation der mittleren Einkommen entfernt, muss es seine Wachstumsmotoren so ausbauen, dass sie sich stärker auf heimische Kräfte stützen. Hinzu kommt die stagnierende Weltwirtschaft verbunden mit früheren und aktuellen Zielabweichungen. So wollte China den Aktienbesitz fördern und den Anteil seiner Bürger an den Marktreformen erhöhen. Aber ähnlich wie bei dem Immobilienmarkt in den USA vor 10 Jahren schoss dies über das Ziel hinaus. China muss sich mit dieser Blase am Aktienmarkt auseinandersetzen.
 
Wird Indien das neue China? Werden die Schwellenländer auch künftig eine wichtige Triebfeder des globalen Wachstums sein?
 
Heise:
Nicht was die Größe angeht. Die chinesische Wirtschaft ist ungefähr fünf Mal so groß wie die Indiens, ihr Bruttoinlandsprodukt beträgt 10.000 Milliarden Euro gegenüber 2.000 Milliarden Euro in Indien. Oder anders ausgedrückt, Indien befindet sich dort, wo China vor ca. 10 Jahren war. Es wird schnell wachsen, aber China größenmäßig nicht erreichen.

Michael Heise: Indien befindet sich dort, wo China vor ca. 10 Jahren war. Es wird schnell wachsen, aber China größenmäßig nicht erreichen.

Wie sieht es mit den USA und Europa aus?
 
Heise
: Drei Faktoren sind in Europa recht positiv: Der Euro ist günstig, der Ölpreis niedrig; und in den vergangenen Jahren wurden einige wichtige Reformen umgesetzt, Italien und Frankreich eingeschlossen. Aufgrund dieser Reformen sind wir jetzt nicht mehr so stark von den Ölpreisen und einem niedrigen Eurokurs abhängig. Das Wachstum trägt sich etwas mehr selbst. Und der derzeitige Zustrom von Flüchtlingen in Europa, insbesondere in Deutschland, erhöht die Staatsausgaben und kurbelt das Wachstum des privaten Konsums an: auf über zwei Prozent. Migration ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung, trägt aber momentan zur Wirtschaftsbelebung bei.
 
El-Erian: Ein langfristiger und strukturbedingter Gegenwind müssen in den USA und speziell in Europa noch überwunden werden.
 
Herr El-Erian, in Ihrem neuen Buch "The Only Game in Town" (deutscher Titel: "Aufstieg und Fall der Zentralbanken") verwenden Sie Metaphern aus einem Boxkampf. Könnte man Muhammad Ali und seinen Überraschungserfolg über den bis dahin ungeschlagenen Weltschwergewichtsmeister George Foreman als eine Metapher zur Beschreibung der Weltwirtschaft verwenden?
 
El-Erian:
Als Ali beim legendären “Rumble in the Jungle” gegen Foreman antrat, wusste er, dass seine aktuelle Strategie nicht funktionieren würde. Anstatt zu versuchen, “wie ein Schmetterling zu tänzeln und wie eine Biene im entscheidenden Moment zuzustechen“ (move like a butterfly, sting like a bee), hat Ali die Seile Foremans Schläge abfangen lassen und so seinen Kopf aus Foremans Reichweite gehalten. Durch die Änderung seiner Taktik überraschte Ali seinen Gegner und gewann den Kampf. Was heißt das für uns? Wenn man in der neuen globalen Wirtschaft erfolgreich sein will, muss man drei Bedingungen erfüllen: Widerstandskraft, Optionen und Beweglichkeit. Nehmen Sie sich Ali zum Vorbild und überdenken Sie Ihre Strategie von Zeit zu Zeit.

 
Text/Interview: Andreas Klein

Michael Heise: Migration ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung, trägt aber momentan zur Wirtschaftsbelebung bei.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

 

Petra Brandes
Allianz SE
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Lorenz Weimann
Allianz SE
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