Wirtschaftliche Auswirkungen eines Brexit sind beherrschbar, bleibt der politische Schaden

Beim EU-Gipfel in der letzten Woche erzielte der britische Premierminister David Cameron eine Einigung mit seinen EU-Partnern über die neuen Bedingungen für den Verbleib Großbritanniens in der EU. Dieser Konsens ebnete den Weg für das angekündigte Referendum, das nun am 23. Juni dieses Jahres stattfinden wird.

 

Was passiert, wenn sich das Vereinigte Königreich für einen Austritt aus der EU entscheidet?
 

Zuerst müsste Großbritannien gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags offiziell den Austritt aus der EU beantragen. Es hätte dann zwei Jahre Zeit, um ein neues Verhältnis auszuhandeln, ehe seine EU-Mitgliedschaft ausläuft. Diese Verhandlungen dürften weder einfach noch reibungslos ablaufen, sondern in den Gesprächen wird man zwischen Kompromiss- und Konfrontationsbereitschaft schwanken.
 

Die EU kann es nicht zulassen, dass sich London die Rosinen aus dem EU-Kuchen herauspickt und unangenehme Verpflichtungen einer Mitgliedschaft von sich weist. Einen solchen Präzendenzfall würden sich auch schnell andere EU-Länder zunutze machen. wobei Polen mögicherweise eine Befreiung von den Klimazielen der EU, Irland von den Sozial- und Steuerklauseln und Frankreich vom freien Dienstleistungsverkehr für sich beanspruchen würden.
 

Wie würde sich ein Austritt aus der EU auf die britische Volkswirtschaft auswirken?
 

Wir rechnen mit einem Einbruch an den Finanzmärkten, da das Brexit-Risiko zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht voll eingepreist sein dürfte. Die erhöhte Unsicherheit würde die Risikoprämien und Kreditkosten im öffentlichen und privaten Sektor in die Höhe treiben. Die wahrscheinlich einsetzende Kapitalflucht dürfte das Pfund merkbar abwerten und damit zu einem Anstieg der Importpreise führen. Die einsetzende Verringerung des privaten Konsums und die zu erwartenden verminderten nationalen und internationalen Investitionen könnten die Wirtschaft Großbritanniens wieder zurück in die Rezession treiben. Dann sähe sich die Bank of England einem Dilemma gegenüber. Die abstürzende Währung und der damit verbundene Inflationsdruck würden höhere Zinssätze erforderlich machen.
 

Während der kurzfristige Schmerz nach einem Referendumsschock unausweichlich erscheint, würde die darauffolgende Neuaushandlung der künftigen Beziehung zur EU in Großbritannien eine Phase extremer wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit einläuten.
 

Und wie sind die Auswirkungen auf den Handel?
 

Vieles hängt natürlich von den Details der neuen Beziehung zwischen Großbritannien und der EU ab. Die wichtigste Frage ist die des Zugangs zum 11 Billionen Euro (ohne Großbritannien) schweren EU-Binnenmarkt. Ungefähr die Hälfte der britischen Warenexporte gehen momentan in die EU. Nach einem Brexit reichen die Möglichkeiten von der Fortsetzung der Vollmitgliedschaft Großbritanniens im Binnenmarkt bis hin zum Handel mit der EU unter WTO-Regeln.
 

Wenn Großbritannien vollständigen Zugang zum Binnenmarkt behalten möchte, wird es drei Bedingungen akzeptieren müssen: Fortführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU, vollständige Übernahme aller Binnenmarktregulierungen und gewisse Zahlungen in den EU-Haushalt. Dem wird das Land höchstwahrscheinlich nicht zustimmen. Wahrscheinlicher ist hingegen ein maßgeschneidertes Freihandelsabkommen mit der EU. Im Rahmen eines solchen Abkommens würde Großbritannien im Gegenzug für mehr Autonomie bei politischen Entscheidungen in anderen Bereichen einen beschränkteren Zugang zum Binnenmarkt akzeptieren. Für Großbritannien wäre somit der Export zum Kontinent hin erschwert. Auch für Direktanleger aus dem Ausland würde Großbritannien an Attraktivität verlieren, insbesondere für die Länder, die momentan ihren Sitz nach Großbritannien verlagern, um von dort aus den breiteren europäischen Markt zu bedienen.
 

Was würde ein Brexit für das restliche Europa bedeuten?
 

Großbritannien ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU. Tritt es aus der EU aus, schrumpft die EU-Wirtschaft um ein Sechstel. Die Hauptauswirkungen des Brexit hätte zwar Großbritannien selbst zu tragen, aber auch im Rest der EU würden sich negative Folgen bemerkbar machen. Die Länder mit engen Verbindungen im Bereich Finanzen, Handel und Investitionen zu Großbritannien dürften am stärksten betroffen sein, insbesondere Irland, die Niederlande und Deutschland.
 

Exporteure nach Großbritannien würden unter der Abwertung des Pfunds und der gesunkenen Nachfrage leiden. Ferner käme es zu Störungen der Lieferketten, insbesondere im Automobilbereich. Wegen der Unruhen an den Finanzmärkten und den sich eintrübenden Wirtschaftsprognosen, könnte die EZB das Ende ihrer extrem lockeren Geldpolitik noch hinauszögern.
 

Was wären die politischen Folgen?
 

Der Brexit dürfte das bereits durch die Euro- und Flüchtlingskrise stark angeschlagene internationale Ansehen der EU weiter beschädigen. Langwierige und kontroverse Brexit-Verhandlungen würden die politische Energie der EU aufzehren - und das zu einer Zeit, in der die politisch Verantwortlichen bereits all ihr politisches Kapital benötigen, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen, einem selbstbewussten Russland die Stirn zu bieten und die verbleibenden Schwächen des Euro auszumerzen.
 

Zudem brächte ein Brexit auch das interne Kräfteverhältnis in der EU durcheinander. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU würde der EU-Entscheidungsapparat eines seiner liberalsten, weltoffensten und strategisch denkenden Mitglieder verlieren. Damit würden Deutschland und die nordischen Länder im Kräftemessen mit den reformskeptischeren und protektionistischeren Mittelmeerländern einen wichtigen Partner verlieren.
 

Einige Kommentatoren vertreten die Ansicht, dass die EU-Integration ohne die ablehnende Haltung der Briten reibungsloser vorangetrieben werden könnte. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass ein Brexit die Zentrifugalkräfte in der EU verstärken würde und euroskeptische Parteien in den anderen EU-Ländern Auftrieb erhalten. Rufe nach Referenden und Sondervereinbarungen wären von der Tschechischen Republik bis hin zu den Niederlanden zu hören.

Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz.
Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

 

Dr. Lorenz Weimann
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