El-Erian: Zehn Folgen des griechischen "Nein"

Indem sie den Empfehlungen ihrer Regierung gefolgt sind und beim Referendum am Sonntag mit "Nein" stimmten, haben die griechischen Bürger eine eindeutige Botschaft ausgesendet. Fast nach dem Vorbild der im Film "Network" skizzierten fiktiven Amerikaner, die ihre Fenster aufrissen und riefen: "Ich bin stinkesauer, ich lass' mir das nicht mehr länger gefallen", verlangen die Helenen, dass der Rest Europas ihre Not anerkennt.

 

In diesem Stadium scheinen jedoch nur eine Handvoll europäischer Regierungschefs bereit zu sein, ihnen zuzuhören. Und noch weniger sind sie offensichtlich willens, Griechenland die Form der Erleichterung zu verschaffen, die das Land so nötig braucht. Diese Konsequenzen werden in erster Linie in Griechenland zu spüren sein, aber auch in Europa und darüber hinaus.

Im Folgenden nun zehn mögliche Auswirkungen der Abstimmung, die sich in den nächsten Tagen abzeichnen könnten:

  1. Der Sieg des "Nein"-Lagers – mit über 60 Prozent der Stimmen nach den ersten Ergebnissen – wird anfänglich einen allgemeinen Abverkauf von Aktien weltweit herbeiführen, verbunden mit Preisdruck bei den griechischen Staatsanleihen, anderen Volkswirtschaften am Rand der Eurozone und den Märkten der Schwellenländer. Deutsche und US-Staatsanleihen werden von einer Flucht hin zu den Qualitätspapieren profitieren.
  2. Europäische Politiker, welche die Entscheidung überrascht hat, werden eiligst versuchen, wieder das Ruder in die Hand zu nehmen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande trafen sich am 6. Juli in Paris, um eine entsprechende Reaktion auszuarbeiten. In einer Idealwelt würden diese Staatsoberhäupter sich zügig und effektiv mit der griechischen Regierung an einen Tisch setzen, um den Konflikt und die Verbitterung, die dem Referendum vorangingen, hinter sich zu lassen. Dies wird vermutlich schwierig, angesichts all des Misstrauens und bösen Blutes sowie der verletzenden Anschuldigungen, die das Verhältnis vergiftet haben.
  3. Trotz der Größe der Herausforderungen bleibt den griechischen und übrigen europäischen Staatsoberhäuptern nicht viel Zeit, zusammen eine Lösung zu finden. Die ernste Situation in Hellas wird sich erst einmal noch drastisch verschlechtern, bevor Besserung in Sicht ist. Ohne eine Notfallhilfe seitens der Europäischen Zentralbank – eine Entscheidung, deren Erfolgsaussicht gering ist – dürfte es die griechische Regierung schwer haben, die Geldautomaten wieder zu füllen, ganz zu schweigen von der erneuten Öffnung der Banken.
  4. Da das Horten weiter zunimmt, spitzt sich die Knappheit von Waren, einschließlich Treibstoff und Lebensmitteln, weiter zu. Kapital- und Zahlungsverkehrskontrollen werden verschärft. Die Wirtschaft des Landes wird einen weiteren besorgniserregenden Abstieg erleben mit noch größerer Arbeitslosigkeit und Armut. Außerdem wird der Staat alle Mühe haben, Renten und Gehälter für seine Staatsbediensteten auszuzahlen.
  5. Die Konsequenz ist, dass die Regierung sich immer mehr gezwungen sieht, Schuldscheine auszugeben, um das Gefühl einer funktionierenden Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Sollte sie das tun, übernimmt der Schuldschein die Rolle einer Parallelwährung, die auf nationaler Ebene mit einem Abschlag gegenüber der Einheitswährung notiert wird.
  6. Außerhalb Griechenlands wird man sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man die negativen Nebeneffekte möglichst begrenzt. Die EZB wird vermutlich mit neuen Maßnahmen aufwarten, um eine Ansteckung auf regionaler Ebene einzudämmen, und zwar einschließlich des aktuellen Programms großangelegter Aufkäufe von Wertpapieren. Dies führt zu einer Schwächung des Eurokurses. Zusätzlich werden sich die Regierungsvertreter gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds – dem gegenüber sich Griechenland bereits im Zahlungsrückstand befindet – auf mehrere Zahlungsausfälle Griechenlands in Folge vorbereiten.
  7. Alle beteiligten Parteien werden wohl zum Plan B greifen müssen. Allerdings wird diese Übergangszeit wahrscheinlich etwas schlimmer für die Griechen selbst als für das restliche Europa ausfallen.
  8. Europa verfügt sowohl über Instrumente als auch Institutionen, die Ansteckung zu begrenzen und den Zusammenhalt der Eurozone zu wahren, um so letztendlich so schnell wie möglich die Wahrscheinlichkeit des weiteren menschlichen Leids, Schmerzes und der Unsicherheit auszuschalten. Dafür muss jedoch die EZB in Kombination mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Europäischen Investitionsbank Maßnahmen ergreifen, die den Zweck verfolgen, die Bankenunion zu vollenden und Fortschritte bei der steuerlichen Integration zu erzielen.
  9. Es ist jedoch recht zweifelhaft, dass Griechenland in der Lage sein wird, seinen Status als vollständiges Mitglied der Eurozone wieder herzustellen. Ohne ein äußerst talentiertes Krisenmanagement besteht nämlich die große Gefahr eines gescheiterten Staats. Statt lediglich Unterstützung zu leisten, muss Europa dafür sorgen, dass der Austritt Griechenlands aus der 19 Mitglieder zählenden Eurozone nicht auch dazu führt, dass das Land sich von der umfassenderen Europäischen Union distanziert. Dazu könnte eine Sondermitgliedschaft beispielsweise im Rahmen einer Assoziierungsvereinbarung gehören.
  10. Schließlich ist mit einer Explosion von Schuldzuweisungen zu rechnen. Dieses kontraproduktive Verhalten kann letztendlich nur dazu führen, dass Europa die notwendigen Lektionen aus diesem traurigen Ausgang, erst mit Verzögerung lernt: So wurde eine Reihe gebrochener Reformversprechen zahlreicher griechischer Regierungen durch politische Halsstarrigkeit, schlechte Analyse und uneinheitliche Nachverfolgung in Europa darauf noch verschlimmert. Das alles trägt dazu bei, dass Griechenland als ein funktionierendes Familienmitglied verloren geht.


Von Mohamed A.El-Erian, im Original erschienen auf Bloomberg view am 06.07.2015. Abdruck mit Einverständnis. Die Meinungen im Artikel entsprechen denen des Autors.
Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser der Allianz
Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser der Allianz

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