Die guten und die schlechten Seiten des niedrigeren Ölpreises

Die Wirkung des Ölpreiseinbruchs von 28 Prozent in diesem Jahr auf die Weltwirtschaft ist, insgesamt betrachtet, positiv. Jedoch gilt das nicht pauschal: Es gibt durchaus negative Aspekte, die man berücksichtigen sollte. Ansonsten könnten aus den Vorteilen am Ende Nachteile entstehen.

 

Für Verbraucher und Hersteller in Ländern, die auf Ölimporte angewiesen sind, ist der Preiseinbruch positiv. Die Wirkung entspricht der einer erheblichen Steuersenkung zu einem günstigen Zeitpunkt, insbesondere bei Verbrauchern in der westlichen Welt. Ein Teil dieses Vorteils landet wohl in der Staatskasse, aufgrund der Art und Weise, wie Öl in bestimmten Ländern, besonders in Europa, besteuert wird. Weltweit betrachtet bewirken die niedrigeren Ölpreise eine gestiegene Nachfrage und geringere Herstellungskosten in Ländern, die bislang unter langandauernden Wachstums- und Beschäftigungskrisen gelitten haben.

 

Dazu kommt ein positiver Verteilungseffekt innerhalb dieser Volkswirtschaften, auch wenn dies eher marginal als einschneidend sein dürfte. Da die Energieausgaben einen größeren Teil der Ausgaben von Familien mit geringerem Einkommen ausmachen, können niedrigere Ölpreise ein Gegengewicht zu den Kräften sein, die zu wachsender Ungleichheit bei Einkommen, Wohlstand und Chancen geführt haben.

 

Allerdings wäre es töricht, die Risiken niedrigerer Ölpreise zu ignorieren. Einerseits, weil sie zu sofortigen Kürzungen beim Investitionsbudget der Energiekonzerne führen, und zwar sowohl im traditionellen Sektor als auch bei den aussichtsreichen alternativen Technologien. Die Konsequenz ist, dass der Ausbau von längerfristigem Energiepotenzial untergraben wird, sowohl insgesamt und auch in umweltfreundlicheren Bereichen.

 

Außerdem könnten niedrigere Ölpreise, die normalerweise in ölimportierenden Ländern als "gute" Art der Inflationsbekämpfung gelten, die allgemeine Deflationstendenz in Europa verstärken – und sich in diesem Fall recht schädlich für die kurz- und längerfristige wirtschaftliche Gesundheit des Kontinents erweisen. Zwar glaube ich, dass die positiven Einkommenseffekte dieser Gefahr entgegenwirken. Dennoch wäre es falsch, diese möglichen negativen Folgen außer Acht zu lassen, vor allem jetzt, da Europa sich in unsicheren wirtschaftlichen Gefilden befindet.

 

Ein drittes Risiko betrifft bestimmte Segmente der Finanzmärkte. Fallende Ölpreise sind den Rohstoffmärkten insgesamt und den von den Energiekonzernen und den ölexportierenden Ländern ausgegebenen Anleihen abträglich. Angesichts der Bedeutung, den Investitionen in diese Wertpapiere in bestimmten Schwellenländern und für High-Yield-Indizes haben, würde dies möglicherweise einen allgemeinen Verkaufsdruck bei diesen Anlagenklassen mit sich bringen.

 

Abgesehen von diesen drei schlechten Seiten, gibt es auch noch einen weiteren, sehr hässlichen Aspekt: die mögliche Reaktion bestimmter ölfördernder Länder, die von den Preiseinbrüchen besonders stark betroffen sind. In Russland könnte sich dies als besonders schwerwiegend erweisen.  

 

Von Sanktionen, Währungsverfall und groß angelegter Kapitalflucht gebeutelt, hat Russland nun mit den Konsequenzen eines starken Einbruchs der Öleinnahmen zu kämpfen. So könnte es sein, dass die Unternehmen, die kurz vor dem Ruin stehen, just zu dem Zeitpunkt bei der Regierung um Unterstützung bitten , zu dem der Handlungsspielraum der staatlichen Stellen durch den Rückgang ihrer eigenen Einnahmen beschnitten ist. Dieser Effekt wird die Flautenstimmung, Inflation und finanzielle Instabilität in Russland noch verschärfen.

 

Wie sich dies auf die Weltwirtschaft auswirken wird, hängt weitgehend vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ab. Bisher war dieser in der Lage, sich hinter regionalen geopolitischen Abenteuern zu verschanzen – am offensichtlichsten in der Ukraine – um der Unzufriedenheit der Bevölkerung seines Landes über die heimische Wirtschaft zu begegnen bzw. von ihr abzulenken. Dies tat er trotz der darauffolgenden, vom Westen gegen sein Land verhängten Sanktionen.

 

Wird dieser zusätzliche Abschwung am Binnenmarkt Putin dazu veranlassen, seinen Kurs in der Ukraine zu ändern, um so eine Aufhebung der westlichen Sanktionen herbeizuführen und den allgemeinen Druck auf die Wirtschaft zu verringern? Oder werden die internen Spannungen ihn eher dazu drängen, seine regionalen Eskapaden auszuweiten?

 

Sollte Putin den zweiten Weg einschlagen, könnte der Westen unter Umständen seine Wirtschaftssanktionen ausweiten – Energie- und Finanzsektor eingeschlossen – und Russland seinerseits würde vermutlich mit Gegensanktionen bei den Öl- und Gaslieferungen an Europa reagieren. Das wiederum könnte Europa möglicherweise in die Rezession treiben – und somit wieder einen Großteil der positiven Effekte niedrigerer Ölpreise auf die Weltwirtschaft zunichtemachen.

 

 

Von Mohamed A.El-Erian, im Original erschienen auf Bloomberg view am 01.12.2014. Abdruck mit Einverständnis. Die Meinungen im Artikel entsprechen denen des Autors.

Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser der Allianz
Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser der Allianz

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Petra Brandes
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