Wir erinnern an Martin Lachmann – das Schicksal eines Allianzers in der NS-Zeit 

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Peter Haas erinnert sich nur sehr vage. Schließlich war er erst vier Jahre alt, als er seinen Großvater Martin Lachmann zuletzt sah. Er erinnert sich an dessen Großzügigkeit, seine Geschenke und an gemeinsame Theaterbesuche. Was danach passierte, weiß er nur aus Briefen seines Großvaters und dem Wenigen, das die Familie ihm später erzählte.

Am 22. Oktober 1941 schrieb Martin Lachmann noch einmal an seine Tochter Ruth und seinen Schwiegersohn Leopold Haas, die im Exil in Schweden leben. Es war sein letzter Brief. Am 14. November 1941 verließ der Zug, mit dem er und mehr als 1.000 weitere jüdische Verfolgte nach Minsk deportiert wurden, den Bahnhof Berlin-Grunewald. 

Wer war Martin Lachmann?

Martin Lachmann wurde im Jahr 1881 geboren und arbeitete seit 1907 im Außendient einer Versicherung. Im Ersten Weltkrieg diente er als Soldat in der deutschen Armee und heiratete Aenne Alsberg (1885-1942), die einer Unternehmerfamilie aus dem Rheinland entstammte. Im Jahr 1911 kam ihre gemeinsame Tochter Ruth zur Welt, die Mutter von Peter Haas.  

Bei der Allianz machte Martin Lachmann Karriere als Versicherungsvertreter und unterhielt mit der „Subdirektion Lachmann“ in Berlin-Charlottenburg eine florierende Agentur. Von der Gründung 1929 bis 1937 war er Mitglied des so genannten „Millionen-Clubs“ der erfolgreichsten Vertreter.

Anders als die meisten jüdischen Deutschen, konnte Martin Lachmann auch nach 1933 zunächst seine Stellung und sein Einkommen behalten.

Martin Lachmann (links) mit seinem Enkel Peter Haas.
Martin Lachmann (links) mit seinem Enkel Peter Haas in 1938.

Oben: Martin Lachmann (links) mit seinem Enkel Peter Haas. 

Unten: Martin Lachmann (links) mit seinem Enkel Peter Haas in 1938.

November 1938

Doch mit der Zeit wurde seine Lage immer unsicherer. Ab 1938 konnte er den Gedanken an eine Auswanderung aus Deutschland nicht länger unterdrücken. Allianz-Chef Hans Heß wurde eingeschaltet, um ihm den Weg zu einer Stellung in der Schweiz zu ebnen. Doch Lachmanns Skepsis wuchs. Knapp drei Wochen vor der Reichspogromnacht, am 20. Oktober 1938, schrieb er an seine Tochter Ruth und ihren Mann in Stockholm:

“Meine Zukunft ist nunmehr vollkommen ungeklärt. Ich denke ja, dass die Allianz mich nicht fallen lassen wird, denn das wäre wohl das Allerschlimmste.”

Seine Befürchtungen erwiesen sich schon bald als begründet: In einem persönlichen Gespräch erklärte ihm Hans Heß nur ein paar Tage darauf, dass die Allianz seinen Agenturvertrag zum Jahresende 1938 beenden müsse.

Er hoffte weiter, in der Schweiz arbeiten zu können, doch nur wenig später folgte der nächste Schock. Der Justitiar der Allianz Hans Goudefroy und Hans Heß erklärten ihrem langjährigen Mitarbeiter, dass er nur ein Drittel der vertraglich vereinbarten jährlichen Versorgung erhalten werde. Die politischen Umstände erlaubten es nicht, so ihre Begründung, einem jüdischen Pensionär Ruhestandsbezüge in dieser Höhe zu zahlen.

Martin Lachmann in 1914
Martin Lachmann. Foto undatiert.
Peter Haas, der Enkel von Martin Lachmann, in seinem Arbeitszimmer (2002)
Peter Haas, der Enkel von Martin Lachmann, in seinem Arbeitszimmer (2002)

Eingesperrt in Deutschland

Dann vertrieben die NS-Behörden Martin Lachmann aus seiner Berliner Wohnung. Er musste in ein so genanntes „Judenhaus“ einziehen und seine Ausgaben drastisch reduzieren, hoffte aber weiterhin auf ein Leben in der Schweiz. Die dortigen Behörden jedoch zögerten eine Entscheidung immer weiter hinaus. Deshalb ging er mit Unterstützung seiner Familie in Schweden dazu über, andere Möglichkeiten zur Auswanderung zu prüfen. Doch im Laufe der Zeit zerschlugen sich alle vermeintlichen Möglichkeiten.  

Im Oktober 1941 begann die Deportation der jüdischen Bevölkerung Berlins. Am 14. November verließ dann der Zug, mit dem Martin Lachmann und mehr als 1.000 weitere Verfolgte nach Minsk deportiert wurden, den Bahnhof Berlin-Grunewald. Martin Lachmann starb bereits auf der Fahrt. Er sah seinen geliebten Enkel nie wieder.

Was können wir aus der Geschichte Martin Lachmanns für heute lernen?

Im Jahr 1997 beauftragte die Allianz den US-amerikanischen Historiker Gerald D. Feldman,  die Geschichte des Unternehmens in der Zeit des Nationalsozialismus zu erforschen. Das passierte spät, wie Peter Haas sagt, aber immerhin war damit die Entscheidung gefallen. Die Allianz stellte sich ihrer Geschichte und suchte den Kontakt mit Zeitzeugen. Peter Haas war gleich sehr offen. Er berichtete, was er über seine Großeltern und die Allianz wusste und was er in jahrelanger Recherche über das Schicksal seiner Familie herausgefunden hatte. Auch einige wenige Fotos gehörten dazu. Die Geschichte seiner Familie, so erklärt er, war letztlich der Grund, warum die Auseinandersetzung mit Geschichte zu seinem Lebensthema wurde. 

In einem Interview, das bei den Dreharbeiten zu dem hier präsentierten Film im Juli 2021 entstand,  berichtet er darüber, wie seine Mutter, Martin Lachmanns Tochter Ruth, zeitlebens mit ihrem Schicksal als Emigrantin und der Ermordung ihres Vaters und eines Großteils ihrer Familie gerungen hatte. 

Zurückblickend beschreibt Peter Haas heute, wie sich seine Sicht im Laufe der Zeit wandelte: “Schließlich, nachdem ich mich immer ausführlicher mit der Geschichte auseinandergesetzt hatte, begann ich mehr von Deutschland zu verstehen. Nicht alle Deutschen waren Nazis.” Und hinsichtlich der Allianz, dem Unternehmen, dem sein Großvater die besten Jahre seines Lebens gewidmet hatte, fügt er an: “Von der Allianz, wie sie in der Zeit des Nationalsozialismus war, habe ich keine positive Vorstellung“, aber, „wie die Allianz sich mir gegenüber verhalten hat, wie sie mir Informationen zur Verfügung stellte und wie sie mich um Hilfe beim Umgang mit ihrer Geschichte gebeten hat, das vermittelt mir doch ein entschieden anderes Bild von der Allianz, wie sie heute ist.“

Gefragt, ob er glaube, dass die Allianz und die Gesellschaft allgemein aus dieser Geschichte lernen könne, urteilt Peter Haas: „Was wir daraus lernen können ist vor allem, dass der Nationalsozialismus sich nicht mehr wiederholen darf, nirgendwo. Es ist immer schwierig Populismus und Rassismus zu bekämpfen. Und ich habe auch kein besseres Rezept dafür als Wissen und Information.“

Die Allianz Gruppe zählt zu den weltweit führenden Versicherern und Asset Managern und betreut rund 125 Millionen* Privat- und Unternehmenskunden in knapp 70 Ländern. Versicherungskunden der Allianz nutzen ein breites Angebot von der Sach-, Lebens- und Krankenversicherung über Assistance-Dienstleistungen und Kreditversicherung bis hin zur Industrieversicherung. Die Allianz ist einer der weltweit größten Investoren und betreut im Auftrag ihrer Versicherungskunden ein Investmentportfolio von etwa 737 Milliarden Euro**. Zudem verwalten unsere Asset Manager PIMCO und Allianz Global Investors etwa 1,7 Billionen Euro** für Dritte. Mit unserer systematischen Integration von ökologischen und sozialen Kriterien in unsere Geschäftsprozesse und Investitionsentscheidungen sind wir unter den führenden Versicherern im Dow Jones Sustainability Index. 2023 erwirtschafteten über 157.000 Mitarbeiter für den Konzern einen Umsatz von 161,7 Milliarden Euro und erzielten ein operatives Ergebnis von 14,7 Milliarden Euro.
* Einschließlich nicht konsolidierter Einheiten mit Allianz Kunden.
** Stand: 31. Dezember 2023
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

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Martin Lachmann war dynamisch, erfolgreich, selbstbewusst und loyal bis zum Schluss. Und er war ein jüdischer Deutscher. Er lebte und arbeitete viele Jahre lang für die Allianz bis der Antisemitismus und seine Mitbürger im nationalsozialistischen Deutschland sein Werk und sein Leben zerstörten.

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