Der Preis des langen Lebens

Hohe Lebenserwartungen und alternde Gesellschaften sind in vielen Ländern entweder heute Realität oder werden es bald sein. Der Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung in Deutschland, der aktuell bei rund 26 Prozent liegt, wird bis zur Hälfte dieses Jahrhunderts auf rund 40 Prozent ansteigen. Hinter dieser positiven Entwicklung verbergen sich gewaltige gesellschaftliche, medizinische und soziale Fortschritte. Doch die Langlebigkeit hat auch ihren Preis. Im Jahre 2060 werden voraussichtlich die altersabhängigen staatlichen Ausgaben für Rente, Pflege und Gesundheit knapp 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in der Eurozone ausmachen. Deutschland liegt mit 28,4 Prozent nahe am EU-Durchschnittsniveau.

Allein die Kostensteigerung, die auf die Europäer durch die Explosion bei den altersabhängigen staatlichen Ausgaben zukommt, verschlingt – zur Einordnung der Dimension und auf heutige Verhältnisse übertragen – die aktuell erzielte Wirtschaftsleistung der Niederlande, so die Prognose der neuen Allianz Demographic Pulse Untersuchung. "Die weltweite Alterung ist ein struktureller Trend mit potenziell dramatischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen, sowohl für die Staatshaushalte und damit auch für jeden einzelnen", sagt Alexander Börsch, Senior Economist International Pensions bei der Allianz.

Die Finanzkrise hat die staatliche Verschuldung ins Zentrum der wirtschaftspolitischen Diskussion und des öffentlichen Bewusstseins gerückt. Konjunkturprogramme, Kapitalspritzen und sinkende Steuereinnahmen haben die öffentlichen Finanzen und Haushalte in vielen Ländern der Welt stark belastet. Dennoch werden diese Belastungen aller Wahrscheinlichkeit nach ein einmaliger Schock sein. Das kann man von der rapiden Alterung unserer Gesellschaft nicht behaupten. Diese neue globale Herausforderung ist im Unterschied zur Finanzkrise vorhersehbar, ihre Auswirkungen sind langfristig und entfalten sich langsam, weswegen sie schnell in Vergessenheit geraten oder es gar nicht erst in die öffentliche Debatte schaffen.

Die Alterung macht nicht an Länder- oder Ressortgrenzen halt. Rente, Gesundheit und Pflege sind die offenkundigsten und am direktesten betroffenen Felder. In Deutschland werden für den Bereich der Pflegekosten aufgrund der rapiden Alterung die höchsten prozentualen Steigerungswerte prognostiziert. Insgesamt werden die altersabhängigen Kosten in Deutschland bis zum Jahre 2060 um rund 4,8 Prozentpunkte vom BIP ansteigen. Aber die Herausforderungen, die aus der Alterung resultieren, werden in der europäischen Union, in den USA oder in Asien höchst unterschiedlich sein, je nach Ausgestaltung der jeweiligen Sozialsysteme. Während den USA eine vergleichsweise günstige demografische Entwicklung bevorsteht und die staatliche Rente als Basisversorgung konzipiert ist bzw. eine große private Eigenvorsorge notwendig ist, treibt das Gesundheitswesen die staatlichen Sozialausgaben in die Höhe.

Grafik: Fit für die Zukunft? Lasten der Altersvorsorgesysteme im Vergleich

So beschreibt der Allianz Demographic Pulse, dass die Gesundheitsausgaben in den USA seit 1970 um 5 Prozent pro Jahr gestiegen sind und sollte die Steigerung in der derzeitigen Form anhalten, würden sie sich auf 18 Prozent des BIP im Jahre 2050 belaufen. Auf der anderen Seite der Erdkugel haben die aufstrebenden asiatischen Wirtschaftsmächte wie Südkorea, Taiwan, Singapur und China momentan noch eine relativ junge Bevölkerung. Dies wird sich insbesondere in China in den nächsten Jahren dramatisch ändern. Die Geburtenrate in China sank im Vergleich zu 1960 von 5,5 auf 1,8 Kinder pro Frau, während die Lebenserwartung um erstaunliche 28 Jahre anstieg. Sowohl das Renten- wie auch das Gesundheitssystem befindet sich in der Auf- beziehungsweise Umbauphase. So gibt es in China zwei Rentensysteme mit dem zum Beispiel nur knapp über die Hälfte der städtischen und 12 Prozent der ländlichen Beschäftigten abgedeckt werden. Bereits heute ist absehbar, dass diese Reformen zu den größten sozial, wirtschafts- und fiskalpolitischen Herausforderungen gehören, die China bevorstehen.

Die neue Untersuchung beschäftigt sich auch im Detail mit der Lebenserwartung der Menschen. Die zunehmende Lebenserwartung hat in Verbindung mit dem sinkendem Renteneintrittsalter bis zum Ende der 1990er Jahre zu einer enormen Zunahme der Zeit geführt, die der Einzelne in Rente verbringt. In den Industrieländern genießen Männer heute  im Durchschnitt etwa 20 Jahre ihren Ruhestand. Am längsten profitieren die Pensionäre in Frankreich mit einer durchschnittlichen Zeit von 24 Jahren, während Rentner in der Schweiz statistisch 16,8 Jahre Rentenverweildauer haben. Deutsche Ruheständler liegen mit einer Ruhestandsphase von 19,8 Jahren im Mittelfeld.

Eines wird durch die neue Untersuchung deutlich: Die Alterung der Gesellschaften wird die Staatsfinanzen in hohem Maße überall auf der Welt belasten. Die Kernfrage ist, wie können die Ausgaben kontrollierbar gemacht werden. Die Einrichtung von nachhaltigen und finanzierbaren Systemen im Bereich der Rente, Pflege und Gesundheit sind unerlässlich. Dafür ist auch ein Blick über die lokalen Ländergrenzen hilfreich. Zum Beispiel nach Schweden, das – laut dem "Allianz Pension Sustainability Index", einem Indikator, der die Nachhaltigkeit der globalen Altersvorsorgesysteme misst - neben Australien das nachhaltigste Rentensystem besitzt. Schweden ist ein Paradebeispiel für die Diversifizierung des Renteneinkommens auf verschiedene Säulen. Eine Kapitaldeckung in der Altersvorsorge und ein ausgebauter Wohlfahrtsstaat sind in Schweden kein Widerspruch, sondern ergänzen sich gegenseitig. "Nachhaltige Sozialsysteme und Wirtschaftswachstum sind die zwei hauptsächlichen Werkzeuge, um die Auswirkungen der Alterung auf die staatlichen Finanzen zu kontrollieren. Wenn die Weichen rechtzeitig und richtig gestellt werden, kann der Staat seine gestaltende Rolle bewahren und die Aufmerksamkeit von den Herausforderungen auf die Chancen alternder Gesellschaften verlagern. Nachhaltige Systeme und private Vorsorge sind die Grundvoraussetzungen für einen finanziell abgesicherten Ruhestand für jetzige und zukünftige Generationen", fasst Börsch zusammen.

 
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