"Die Nanotechnologie ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken."

​Sie haben gerade in Mailand einen Vortrag über Nanotechnologie gehalten. Was war der Anlass?

Die Bassetti Foundation mit Sitz in Mailand hat sich zum Ziel gesetzt, Studien und Aktivitäten zu fördern, die innovatives und nachhaltiges Unternehmertum fördern. Nachhaltigkeit heißt in diesem Zusammenhang, umweltfreundlich, moralisch-ethisch und sozial verantwortlich bei der Entwicklung neuer Technologien zu handeln.

Ich wurde eingeladen, an der Bocconi Universität in Mailand eine Vorlesung zum Thema "Risiko und Verantwortung in der Innovation" am Beispiel der Nanotechnologie zu halten. Inwieweit die Versicherungswirtschaft die Risiken neuer Technologien bewerten und die Auswirkungen auf die Gesellschaft minimieren kann, wurde mit internationalen Wissenschaftlern aus dem Bereich Innovationsforschung und der Wirtschaftswissenschaften diskutiert.

 

Gibt es wirklich so etwas wie Verantwortung bei Innovationen, und kann die Versicherung die Prozesse unterstützen?

Jede Innovation ist mit Risiken behaftet. Nehmen Sie Nanopartikel in Sonnencremes, die in den meisten Sonnenschutzmitteln mittlerweile eingesetzt werden. Sie filtern hautschädliche UV Strahlen und ermöglichen dadurch einen hohen Sonnenschutzfaktor. Wie sich diese Partikel, nachdem sie abgewaschen wurden, in natürlichen Wasserkreisläufen und in Böden verhalten, ist jedoch weitgehend unbekannt. Auch das Risiko über den gesamten Produktlebenszyklus von der Herstellung über den Gebrauch bis zur Entsorgung der Produkte, die Nanopartikel enthalten, ist lediglich in Teilbereichen erforscht.

Die Versicherung kann ihre Kunden, die in diesem Bereich produzieren, dabei unterstützen, das Risikovorsorgeprinzip einzuhalten und die notwendigen Arbeitsschutzmaßnahmen umzusetzen. Entscheidend ist auch, dass Nutzen und Risiken von Nanopartikeln über den gesamten Produktlebenszyklus bewertet und offen kommuniziert werden. Auch hier kann die Versicherung einen wichtigen Beitrag leisten.

Michael Bruch von der Industriesversicherungstochter Allianz Global Corporate & Specialty bei seinem Vortrag letzten Herbst für die Fondazione Bassetti
Michael Bruch von der Industriesversicherungstochter Allianz Global Corporate & Specialty bei seinem Vortrag letzten Herbst für die Fondazione Bassetti

Nanopartikel in Sonnencremes, die in den meisten Sonnenschutzmitteln mittlerweile eingesetzt werden, filtern hautschädliche UV Strahlen und ermöglichen dadurch einen hohen Sonnenschutzfaktor. Wie sich diese Partikel, nachdem sie abgewaschen wurden, in natürlichen Wasserkreisläufen und in Böden verhalten, ist jedoch weitgehend unbekannt.

Wie kann ein Versicherer Risiken bei einer Technologie einschätzen, für die es kaum Erfahrungswerte gibt?

Prinzipiell werden Risiken in der Versicherungswirtschaft über die Häufigkeit von Schadensereignissen und deren finanziellen Auswirkungen eingeschätzt. Bei neuen Technologien fehlen jedoch historische Schadensdaten. Also muss man mit Annahmen für bestimmte Schadensszenarien rechnen.

Mögliche Schadensszenarien in der Nanotechnologie könnten beispielsweise sein: Arbeiter entwickeln chronische Krankheiten als Folge von Langzeitkontakten mit bestimmten Nanopartikeln; oder Produkte mit Nanopartikeln müssen zurückgerufen werden, weil sich im Nachhinein eine Gefährdung beim Gebrauch herausstellt. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass das passiert, aber das sind Erfahrungen, die wir schon mit einigen anderen neuen Technologien gemacht haben.

 

Und zu welchem Ergebnis kommen Sie dann?

Entscheidend ist hierbei das "technische" Risiko: In den Szenarien, die ich beschrieben habe, setzt sich das Risiko aus den Wirkungen der Nanopartikel und dem Ausmaß zusammen, mit dem der Arbeiter oder der Nutzer mit den Partikeln in Berührung kommt. Neben solchen messbaren harten Fakten spielen jedoch auch weiche Faktoren, wie das Wahrnehmungsrisiko bei neuen Technologien eine wichtige Rolle. Nanopartikel bei der Krebsbekämpfung haben eine sehr hohe Akzeptanz, wohingegen das Verhältnis aus Risiko und Nutzen von Nanosilber in Textilien zur Geruchsbekämpfung höher eingeschätzt wird.

Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die speziell für Nanopartikel und deren Anwendungen zukünftig gelten sollen, sind entscheidend für die Einschätzung des Gesamtrisikos. Diese Komponenten werden für die Entwicklung von möglichen Schadensszenarien und die Risikobewertung verwendet.

Die Nanotechnologie ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Sie ermöglicht hochleistungsfähige Elektronikkomponenten in Flachbildschirmen, Computern und Smartphones, sie wird in der Krebsbekämpfung eingesetzt, für neue Baumaterialien, die den Wärmebedarf von Gebäuden drastisch senken oder Erdbebenkräften besser widerstehen; und sie macht Autolacke schmutzabweisend und kratzbeständig.

Welche Risiken oder Entwicklungen sehen Sie in der Nanotechnolgie in der Zukunft?

Die Nanotechnologie ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Sie ermöglicht hochleistungsfähige Elektronikkomponenten in Flachbildschirmen, Computern und Smartphones, sie wird in der Krebsbekämpfung eingesetzt, für neue Baumaterialien, die den Wärmebedarf von Gebäuden drastisch senken oder Erdbebenkräften besser widerstehen; und sie macht Autolacke schmutzabweisend und kratzbeständig. Stellen Sie sich vor, Ihr Autolack hat einen Kratzer, der sich über Nacht selbst ausbessert, oder sie möchten per Knopfdruck die Farbe ihres Autos verändern – auch das wird in Zukunft mit Hilfe von Nanotechnologie möglich sein.

Speziell in der Energieerzeugung rechnen Forscher mit revolutionierenden Schritten, die der Elektromobilität mit Hilfe nanobasierter Batterien zum Durchbruch verhelfen könnten oder dünne Kunststofffolien in Solarzellen verwandelt, so dass Solarstrom effizienter und nahezu überall erzeugt werden kann.

 

Das klingt sehr vielversprechend! Und es geht so rasch...

Dieser schnellen Entwicklung hinkt die Risikoprüfung jedoch hinterher, und das ist das eigentliche Risiko. Wir wissen zwar, dass bestimmte Nanoröhren in ihrer Struktur Asbestfasern ähneln und einzelne Nanopartikel Wasserorganismen gefährden oder tief in Lungengewebe eindringen können, Welche Gefahr jedoch konkret für Umwelt und Gesundheit über den Lebenszyklus eines Produkts besteht, muss noch besser erforscht werden.

Nach heutigem Kenntnisstand wird die überwiegende Zahl nanotechnologischer Endprodukte kein Risiko für Umwelt und Verbraucher darstellen. Ziel muss es jedoch sein, insbesondere gesundheits- und umweltgefährdende freie Partikel, beim Herstellungsprozess und in Endanwendungen zu identifizieren, deren Auswirkungen auf Mensch und Natur zeitnah zu erforschen und daraus bestmögliche Schutzmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.

 

Wie tritt die Versicherung mit der Industrie in einen Dialog, um dem vorzubeugen?

Im Rahmen einer Risikoanalyse überprüfen unsere Ingenieure zum Beispiel die Arbeitsschutzmaßnahmen unserer Kunden und beraten bezüglich des Produktrisikos beim Endverbraucher. Zudem beobachten wir neuste Erkenntnisse aus der Risikoforschung, um rechtzeitig mit unseren Kunden über die Umsetzung entsprechender Risikomanagement-Maßnahmen sprechen zu können.

Wir beteiligen uns auch an Gesprächen zwischen Verbraucherschutzorganisationen, Herstellern, Nichtregierungsorganisationen und Regulierungsbehörden. Hier ist ein wesentliches Ziel, mehr Transparenz über Risiken und Nutzen in der gesamten Herstellungskette, von der Grundstoffproduktion, über die Weiterverarbeitung, bis hin zum Endprodukt zu schaffen. Nur dann ist es möglich, nanotechnologische Anwendungen nachhaltig und verantwortungsvoll weiterzuentwickeln.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen

Heidi Polke
AGCS Munich
Tel. +49.89.3800-14303
E-mail senden

Katerina Piro
Allianz SE
Tel. +49.89.3800-16048
E-mail senden