Geduldsspiel im Fels

Fortsetzung vom 08.04.2013

Zählt man alle Verbindungs- und Zugangsstollen sowie Schächte hinzu, misst das gesamte Tunnelsystem im Gotthard über 152 Kilometer. Mehr als 13 Millionen Kubikmeter an Ausbruchmaterial fielen bei den Bauarbeiten an – ein Volumen fünfmal so groß wie die Cheopspyramide in Ägypten.

 

Ein Großteil des Abraums wird auf den Baustellen zur Betonherstellung verwendet und kehrt als Auskleidungsmaterial wieder in den Berg zurück. Mit etlichen Millionen Tonnen wurden im Urner See einige künstliche Inseln für Erholung und Naturschutz aufgeschüttet.
 

Der Gotthard-Basistunnel ist das Kernstück der Neuen Eisenbahn-Alpen-Transversale (NEAT), zu der auch der sich im Süden anschließende Ceneri-Tunnel (15 Kilometer) und der bereits 2007 fertig gestellte Lötschberg-Tunnel (35 Kilometer) gehören. Sie sollen dafür sorgen, dass sich ein Großteil des Güterverkehrs in Zukunft auf der Schiene abspielt. Die Zahl der Lkw-Transporte durch die Schweiz hat über die Jahre so zugenommen, dass der Gotthard-Straßentunnel und auch die 1882 eröffnete Gotthardbahn an ihre Grenzen stoßen. Fahren heute auf der Bergstrecke 140 bis 180 Güterzüge pro Tag, kann die neue Alpentransversale bis zu 260 Züge verkraften, die zudem länger und schwerer sein können. Die Transportkapazität auf der Schiene wird sich von heute 20 Millionen Tonnen auf über 40 Millionen Tonnen pro Jahr mehr als verdoppeln.

Ein Viertel der Strecke wurde durch den Fels gesprengt, den Rest erledigten Tunnelbohrmaschinen.

Ein Viertel der Strecke wurde durch den Fels gesprengt, den Rest erledigten Tunnelbohrmaschinen. Die Ungetüme sind bis zu 400 Meter lang und bringen gut 3000 Tonnen auf die Waage. Die mit Rollenmeißeln ausgestatteten Bohrköpfe haben einen Durchmesser von über neun Metern

Foto: AlpTransit Gotthard AG

Während die alte Gotthardbahn eine Steigung von maximal 26 Promille aufzuweisen hat, beträgt sie im Gotthard-Basistunnel nur zwölf. Mit einem Scheitelpunkt von 550 Metern (Bergstrecke 1150 Meter) verläuft die neue Route zudem deutlich flacher. Güterzüge können auf der Strecke mit bis zu 160 Kilometer pro Stunde verkehren, Personenzüge mit 250 Kilometer pro Stunde. Die Fahrtzeit von Zürich nach Mailand verkürzt sich um eine Stunde auf zwei Stunden und 40 Minuten. Damit wird die Bahn zu einer echten Alternative zu Auto und Flugzeug. Ende 2016 soll der Tunnel übergeben werden.

 

Bei Baubeginn war man noch davon ausgegangen, dass die ersten Hochgeschwindigkeitszüge schon 2012 durch die Röhre jagen werden. Doch der Gotthard spielte nicht mit. »Berge lassen sich halt nicht röntgen«, bringt es Beat Guggisberg auf den Punkt. »Trotz aller Sondierungsbohrungen des Baugrunds besteht immer das Risiko, dass man plötzlich irgendwo auf Störzonen trifft.« Und die können den Vortrieb zu einem Geduldsspiel machen.

 

So wie am Zwischenangriff Faido. Bergschläge lösten dort zwischen 2005 und 2007 mehrere Mikrobeben mit einer Stärke von bis zu 2,4 auf der Richterskala aus, einige Male presste der Berg das Tunnelprofil zusammen, an manchen Stellen stürzte die Decke ein. Für eine Strecke von 200 Metern brauchten die Mannschaften damals zwei Jahre. »Das hat den Zeitplan natürlich über den Haufen geworfen«, erinnert sich Guggisberg. Schäden am Tunnelgewölbe und an der Tunnelbohrmaschine von über zehn Millionen Schweizer Franken wurden von der Allianz Suisse und der Schweizerischen National-Versicherung übernommen, die je zur Hälfte an dem Versicherungsprogramm für den Gotthard-Basistunnel beteiligt sind.

Das Sicherheitskonzept
Das Sicherheitskonzept:Das Tunnelsystem besteht aus zwei getrennten Einspurröhren, bei einem Unfall oder Brand dient die Gegenröhre als Schutzraum. Alle 325 Meter befinden sich so genannte Querschläge, die die beiden parallelen Röhren miteinander verbinden. Sie dienen im Notfall als Fluchtwege. In Faido und Sedrun wurden zudem Nothaltestellen eingerichtet. Von dort gelangen die Passagiere über sechs Querschläge in den Parallelstollen, der unter Überdruck steht und somit rauchfrei bleibt. Der Gegenverkehr wird automatisch gestoppt. Ein Evakuierungszug holt die Passagiere ab und fährt sie ins Freie.
Technische Meisterleistung

Technische Meisterleistung

Lange Zeit galt der Alpenkamm als das größte Verkehrshindernis in Europa. Um 1870 dauerte eine Fahrt in der Kutsche von Basel nach Mailand immerhin noch zwei volle Tage. Das änderte sich erst 1882 mit der Eröffnung des ersten Eisenbahntunnels durch den Gotthard, damals der längste Bahntunnel der Welt. Louis Favre hatte für den Bau acht Jahre veranschlagt. Die Fertigstellung nach zehn Jahren hat der Baumeister dann nicht mehr erlebt: 1879 brach er im Tunnel tot zusammen. Der 15 Kilometer lange Tunnel – eine Röhre mit zwei Fahrbahnen – war eine ingenieurtechnische Meisterleistung.

Mit ähnlichen Schwierigkeiten, wenngleich unter weit härteren Bedingungen, hatten im 19. Jahrhundert bereits die Arbeiter beim Bau des ersten Gotthard-Eisenbahntunnels zwischen Göschenen und Airolo zu kämpfen. Auf der 15 Kilometer langen Strecke – damals der längste Eisenbahntunnel der Welt – kamen während der zehnjährigen Bauzeit 177 Mineure ums Leben. Mehr als zehn Tote pro Tunnelkilometer. Beim Bau des Gotthard-Basistunnels starben bislang 9 Bauarbeiter. Wobei das größte Risiko für Leib und Leben nicht etwa von Deckeneinstürzen oder Wassereinbrüchen ausgeht. »Das Gefährlichste beim heutigen Tunnelbau sind Maschinen und Transportfahrzeuge«, sagt Guggisberg.

Inzwischen läuft der Einbau von Fahrbahn, Schienen, Stromversorgung sowie Telekommunikations- und Sicherungsanlagen auf Hochtouren. In drei Jahren sollen die Arbeiten beendet sein. Mit der Fertigstellung des Ceneri-Basistunnels im Jahr 2019 wird die Lücke im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz dann endgültig geschlossen. Wenn in Zukunft auch noch die letzten Freistrecken in einem Berg verschwunden sind – Planungen dazu gibt es bereits –, kommt man irgendwann wahrscheinlich völlig ohne Blickkontakt durch die Schweiz. Schade eigentlich.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

 

Katerina Piro
Allianz SE
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