Versicherungsausblick 2020:

Ein verlorenes Jahr

Als die Uhren am 31. Dezember 2019 Mitternacht schlugen, gab es die üblichen Feierlichkeiten, die die Ankunft eines neuen Jahres begleiten: Das Jahr 2020 hatte begonnen, voller Hoffnung und Vorfreude. Sechs Monate später herrscht Katerstimmung. 

Obwohl die Versicherungsbranche das Jahr 2020 auf einer soliden Grundlage begonnen hat - 2019 war das Prämienwachstum das stärkste seit vier Jahren – ist der Ausblick für 2020 düster.

Der jüngste Allianz Global Insurance Report prognostiziert, dass die Prämieneinnahmen als Folge der Pandemie und der gedämpften wirtschaftlichen Aktivität weltweit um -3,8 Prozent und in Westeuropa sogar um -4,7 Prozent schrumpfen werden. 

Die Aussichten für 2021 sind hingegen deutlich besser. Die Ökonomen der Allianz erwarten für das kommende Jahr eine Rückkehr des Wachstums auf das Niveau des Jahres 2019 mit rund +4,4 Prozent, angetrieben durch die Entwicklungen in Asien. 

Wie in fast allen Lebensbereichen wird die Pandemie auch die Versicherungswirtschaft signifikant verändern; sie wird die Digitalisierung in der Branche vorantreiben, Nachhaltigkeit zu einem Schlüsselfaktor machen und die Verlagerung der Marktanteile vom Westen hin nach Asien beschleunigen. 

Ein Verlorenes Jahr

2020 stellt eine Zäsur dar: Ganz oben auf der Liste der Gründe hierfür steht Covid-19. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus brachten das Leben, wie wir es kennen, zum Stillstand. Das Virus forderte Leben und zerstörte die Lebensgrundlagen einiger - und tut es immer noch. Bevor das Corona-Virus unsere Pläne durchkreuzte, war die Versicherungsbranche auf einem guten Weg. 

Die Prämieneinnahmen stiegen 2019 gegenüber dem Vorjahr um +4,4 Prozent 3,906 Billionen Euro, angetrieben durch die Erholung in China und den USA. Die Lebensversicherung (ohne Krankenversicherung) hatte mit einem Wachstum von +4,4 Prozent gegenüber +2,8 Prozent im Jahr 2018 ein besseres Jahr als die Sachversicherung, wo das Wachstum von +5,4 Prozent auf +4,3 Prozent sank. 

Die zunehmende Bedeutung Asiens in der Versicherungswelt zeigte sich erneut im vergangenen Jahr, als sich das Prämienwachstum in der Region (ohne Japan) auf +6,8 Prozent verdoppelte. Auch Nordamerika und Westeuropa, die beiden anderen großen Märkte, hatten 2019 ein recht gutes Jahr mit einem Wachstum von +4,2 Prozent und +4,3 Prozent. In Westeuropa erzielten die "Großen Vier" – also Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien - fast drei Viertel der in der Region verbuchten Prämien von rund 1,063 Billionen Euro. 

2020 sind keine solche positiven Entwicklungen zu erwarten.

Die weltweiten Beitragseinnahmen sanken bisher um -3,8 Prozent. Das Volumen der Lebensversicherungsprämien dürfte um -4,4 Prozent sinken, während die Prämien für Sachversicherungen um -2,9 Prozent zurückgehen könnten. 

Sollten sich diese Prognosen bewahrheiten, wären die negativen Auswirkungen dreimal so stark wie nach der globalen Finanzkrise von 2008, als die Prämien global um -1 Prozent schrumpften. "Das Jahr 2020 haben wir an das Virus verloren, daran besteht kein Zweifel", sagt der Chefökonom der Allianz, Ludovic Subran

Dennoch gibt es Licht am Ende des Tunnels. Sobald sich die Welt im Jahr 2021 erholt, dürfte sich das globale Prämienwachstum im nächsten Jahrzehnt bei +4,4 Prozent einpendeln. 

Eine Verlagerung hat eingesetzt

Die Geschichte des Versicherungswesens ist ein Flickenteppich aus diversen Einflüssen aus der ganzen Welt. 

Bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. nutzten chinesische Händler Methoden des Risikotransfers und der Risikoverteilung, als sie ihre Waren durch turbulente Gewässer über die sieben Weltmeere brachten. 

Asien kehrt symbolisch zu diesem Erbe zurück und entwickelt sich zum Dreh- und Angelpunkt der Versicherungswirtschaft. "Asien war die Region, die zuerst von Covid-19 getroffen wurde; es wird auch die Region sein, die sich zuerst erholt", sagt die Allianz Ökonomin Michaela Grimm. "Ein höheres Risikobewusstsein und ein Nachholbedarf bei sozialer Sicherheit werden in den kommenden Jahren das Wachstum vorantreiben, mit China an der Spitze.

Traditionell haben die USA und Westeuropa die Branche dominiert, mit einem Marktanteil von 38 und 36 Prozent zu Beginn der globalen Finanzkrise. 

Seitdem hat sich das Geschehen jedoch ostwärts verlagert. 

Im Jahr 2019 beliefen sich die Gesamtprämieneinnahmen in Asien (ohne Japan) auf 947 Milliarden Euro, die Hälfte davon entfiel auf China. Es gibt noch viel Potenzial, das es auszuschöpfen gilt. Die schnelle Wirtschaftsentwicklung und eine wachsende Mittelschicht, gepaart mit einer relativ geringen Versicherungsdichte, machen China zu einem lukrativen Markt. Zu seiner Attraktivität trägt auch die Tatsache bei, dass der chinesische Markt bei der Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) und Datenanalyse eine führende Rolle einnimmt.

"Für die nächsten Jahre erwarten wir im Reich der Mitte zweistellige Zuwächse bei den Prämien", sagt Michaela Grimm. "Bis zum Jahr 2030 wird Chinas Prämienpool um satte 777 Mrd. Euro wachsen - das entspricht der Marktgröße von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien zusammengenommen. China und Asien werden aus der heutigen Krise noch stärker als bisher hervorgehen."

Doch auch in Asien wird dieses Jahr kein Spaziergang werden. Die Prämien werden voraussichtlich um -0,7 Prozent sinken, die der Lebensversicherung um -1,8 Prozent. Die Sachversicherung wird leicht um +1,9 Prozent wachsen. 

Langfristig dürfte das durchschnittliche Prämienwachstum in Asien bis 2030 bei +8,1 Prozent liegen. Im Vergleich dazu wird für Westeuropa ein Wachstum von +2,2 Prozent prognostiziert und für Nordamerika von +3,5 Prozent. 

"Nach dem herausfordernden Jahrzehnt, das auf die globale Finanzkrise folgte, hat sich die europäische Versicherungsindustrie während der Covid-19-Krise als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen", sagt die Allianz Ökonomin Patricia Pelayo Romero. "Die weiteren Aussichten sind jedoch weniger ermutigend. Wie auch in anderen Bereichen fällt Europa weiter hinter die USA und insbesondere hinter Asien zurück.” 

Asien (ohne Japan) wird sich bis 2030 mit einem Anteil von 35 Prozent gegenüber derzeit 24 Prozent zum größten Versicherungsmarkt weltweit entwickeln. Für Nordamerika und Westeuropa wird prognostiziert, dass der Anteil von 34 und 27 Prozent auf 30 und 21 Prozent schrumpft. 

ESG als Schlüsselfaktor

Experten wissen, dass die Versicherungsbranche nur überleben kann, wenn ihre Zukunft digital und nachhaltig ist. Kunden und Investoren gleichermaßen fordern von den Unternehmen starke ESG-Strategien, eine Entwicklung, die noch an Bedeutung gewinnen wird.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit Hand in Hand gehen. Es gilt nicht nur, langfristige Risiken zu prüfen und Investitionsrenditen und Underwriting-Entscheidungen zu verbessern, ESG fungiert auch als Katalysator. Unternehmen setzen verstärkt ESG-Strategien um, was die Nachfrage nach entsprechenden Produkten und Dienstleistungen ankurbeln dürfte. 

Hier hat Europa einen klaren Vorteil, betont Ludovic Subran. "Während die asiatischen Akteure in der Technologie führend sind, sind es die europäischen in puncto ESG", sagt er. 

ESG betrifft nicht nur die Aktiva eines Versicherers, sondern zunehmend auch die Passiva der Bilanz, so die Ansicht der Ökonomen. Eingebunden in die Risikobewertung wird ESG zu einem wichtigen Entscheidungskriterium für Kunden, Lieferanten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Aufsichtsbehörden, Analysten und andere Interessengruppen. 

Künftig könnte bei Zeichnungsentscheidungen das Verhalten von Firmenkunden stärker berücksichtigt werden: Wie wird mit der Umwelt umgegangen (Stichworte Ressourcenerschöpfung, Klimawandel, Abfallbeseitigung und Umweltverschmutzung)? Wie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Innen und lokalen Gemeinschaften? Wie verhält es sich mit der Unternehmenspolitik und –führung einschließlich Steuern, Korruptionsbekämpfung, Strukturen und Vergütungsmodellen. Underwriter werden die Kunden zudem auf ESG-bezogene Risiken aufmerksam machen und ihnen helfen müssen, angemessene Lösungen zu finden. 

Die Anstrengungen könnten sich aber durchaus lohnen: ESG wird neue Marktchancen eröffnen.

Einen detaillierteren Einblick, wie unsere Experten die Entwicklungen und die Chancen für die Versicherungsbranche sehen, erhalten Sie in unserem neuesten Allianz Global Insurance Report

Die Allianz Gruppe zählt zu den weltweit führenden Versicherern und Asset Managern und betreut rund 125 Millionen* Privat- und Unternehmenskunden in knapp 70 Ländern. Versicherungskunden der Allianz nutzen ein breites Angebot von der Sach-, Lebens- und Krankenversicherung über Assistance-Dienstleistungen und Kreditversicherung bis hin zur Industrieversicherung. Die Allianz ist einer der weltweit größten Investoren und betreut im Auftrag ihrer Versicherungskunden ein Investmentportfolio von etwa 737 Milliarden Euro**. Zudem verwalten unsere Asset Manager PIMCO und Allianz Global Investors etwa 1,7 Billionen Euro** für Dritte. Mit unserer systematischen Integration von ökologischen und sozialen Kriterien in unsere Geschäftsprozesse und Investitionsentscheidungen sind wir unter den führenden Versicherern im Dow Jones Sustainability Index. 2023 erwirtschafteten über 157.000 Mitarbeiter für den Konzern einen Umsatz von 161,7 Milliarden Euro und erzielten ein operatives Ergebnis von 14,7 Milliarden Euro.
* Einschließlich nicht konsolidierter Einheiten mit Allianz Kunden.
** Stand: 31. Dezember 2023

Pressekontakte

Dr. Lorenz Weimann
Allianz SE
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

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