„Wir sprechen über Menschen, nicht über Mengenrüste“

 

Oliver Bäte ist dabei, den Allianz-Konzern mit „Düsengeschwindigkeit“ umzubauen. Warum ist das notwendig?

Wenn sich die Welt um einen herum ändert, muss man sich mindestens mit der gleichen Geschwindigkeit ändern, um nicht an Boden zu verlieren. Es geht schließlich um die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens. Eine langfristige Perspektive ist im Interesse aller Beteiligten, also Kunden, Mitarbeitern, Vertriebspartnern und Aktionären. Wir wollen erforderliche Veränderungen aus einer Position der Stärke angehen und nicht mit Verspätung und aus einer Not heraus. Und wir wollen mitgestalten und nicht von der Veränderung getrieben sein.

Thomas Naumann, Chief Strategist, Allianz SE

Auch althergebrachte Hierarchien sind nicht mehr gefragt. Wie stellt sich die Allianz in der Führung neu auf?

Auf uns wirken eine ganze Reihe von Trends ein, die nach meiner Einschätzung nicht vorübergehend sind, sondern strukturell. Das verändert natürlich auch die Anforderungen an unsere Mitarbeiter. Wichtiger wird beispielweise das Wissen um Technologie, um die Bedeutung von Produktivität, und Kreativität. Entscheidend wird sein, wie wir Erkenntnisse und Ideen aller Mitarbeiter, unabhängig von ihrer Funktion und Stellung in der Hierarchie, ohne Zeitverzug einbeziehen. Zum Beispiel haben Mitarbeiter im Kundenkontakt sehr viel Wissen und gute Lösungen beizutragen.

Der tiefgreifende Wandel der Holding schreitet schnell voran. Zu schnell für das Management?

Das glaube ich nicht. Die ganz überwiegende Mehrheit von Mitarbeitern und Führungskräften ist mit aller Überzeugung dabei und arbeitet engagiert bei Konzeption und Umsetzung unserer Erneuerungsagenda mit.

Was sind die Eckpunkte dieses Wandels?

Unsere Erneuerungsagenda hat fünf sich wechselseitig unterstützende Hebel. Die wichtigsten möchte ich nennen: Konsequente Kundenorientierung, durchgehende Digitalisierung und die damit verbundene Veränderung der Unternehmenskultur. Konsequente Kundenorientierung ist am allerwichtigsten; sie ist das Ziel. Durchgehende Digitalisierung ermöglicht uns, da hinzukommen. Technologie ist kein Selbstzweck, entscheidend ist immer, dass der Kunde ein besseres Serviceerlebnis bekommt. Die Allianz will der führende Dienstleister sein, der das Leben und die Vermögenswerte seiner Kunden absichert, ihnen Sorgen abnimmt und zu ihrem finanziellen Erfolg beiträgt.


Nun ist die Katze aus dem Sack. Digitalisierung und Automatisierung kosten Arbeitsplätze. Bis 2020 will die Allianz in Deutschland deshalb rund 700 Arbeitsplätze abbauen. Ist das der Anfang von weiterem Personalabbau?

Abgesehen von den erwähnten Maßnahmen der Allianz Deutschland, die meine Kollegen ja schon erklärt haben, möchte ich daran erinnern, dass Produktivitätsfortschritte seit jeher wichtig sind, um sich im Wettbewerb zu behaupten. Die Allianz käme ihrer Verantwortung nicht nach, wenn sie sich als Marktführer einfach zurücklehnen und abwarten würde.

Der technische Fortschritt wird in den nächsten Jahren das Arbeitsbild auch bei uns erheblich verändern. Das heißt beispielsweise, dass wir in einigen Bereichen wachsen werden, uns in anderen hingegen verkleinern müssen. Um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, müssen sich alle Allianz Gesellschaften stets an sich verändernde Marktverhältnisse und Kundenbedürfnisse anpassen.

Durch Digitalisierung/Automatisierung entstehen aber auch neue Arbeitsplätze. Werden diese ausreichen, den Stellenabbau zu kompensieren?

Das weiß ich nicht. Ich finde es aber nicht so relevant, ob sich die beiden Entwicklungen in einem Unternehmen zahlenmäßig ausgleichen, denn wir sprechen hier über Menschen, nicht über Mengengerüste. Wichtig ist, dass sich alle – Mitarbeiter und Führungskräfte – im Rahmen ihrer Möglichkeiten fit für die Zukunft machen. Wir müssen uns mit neuen Technologien vertraut machen, neue Kenntnisse und Fertigkeiten erlenen und offen für Neues sein. Hierbei handelt es sich um eine Aufgabe, die wir nicht auf einzelne oder den Staat abwälzen, sondern unseren Beitrag leisten.

Brauchen wir in absehbarer Zeit überhaupt noch Vertriebe oder wird künftig alles nur noch digital abgewickelt?

Nein, die stationären Vertriebe werden nicht verschwinden, auch wenn die Digitalisierung weiter voranschreitet. Wir stärken unser bewährtes Vertriebsnetz, indem wir es mit den neuen, digitalen Möglichkeiten verknüpfen. Dadurch haben wir einen enormen Wettbewerbsvorteil und schaffen neue Wachstumschancen für unsere Agenturen und die Allianz. Wir verknüpfen mit der „digitalen Agentur“ Online-Services mit der persönlichen Betreuung durch den Vertreter.

Ohnehin werden größere Unternehmens-Zukäufe durch die Allianz erwartet. Was ist da Ihre Zielrichtung?

Ja, wir wollen wachsen und schauen uns als Teil unserer Arbeit natürlich auch mögliche Zukäufe an. Wir sagen schon seit längerem, dass Zukäufe vor allem in der Schaden- und Unfallversicherung und der Vermögensverwaltung interessant sein können. Dort haben wir in den vergangenen Jahren auch schon erfolgreich zugekauft, etwa kleine Vermögensverwalter in Großbritannien und den USA. Wir sind aber diszipliniert und greifen nur dort zu, wo wir nachhaltigen Wert schaffen können. Angesichts der hohen Preise ist das nicht immer möglich, dann lassen wir Gelegenheiten lieber aus.

Der Börsenkurs steigt, die Geschäftszahlen stimmen. Sie haben 86 Millionen Kunden. Sie strotzen vor Finanzkraft. Wie kann es der Allianz gelingen, weiteres ausreichendes Wachstum und auf welchen Geschäftsfeldern zu generieren?

Vor allen Dingen steigt bei uns auch die Kundenzufriedenheit. Wir sind nun in 55 Prozent unserer Geschäfte hinsichtlich der Empfehlungsbereitschaft besser als der Markt oder gar führend. Das sind fünf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Auch die Mitarbeiterzufriedenheit ist gestiegen. Das belegt, dass man gleichzeitig Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterzufriedenheit und Ergebnisse steigern kann, das bezweifelt ja manch einer. Darin liegt in vielen unserer etablierten Märkte ein erhebliches Wachstumspotenzial.

Weiteres Wachstum entsteht, wenn man seine Kunden mit hochwertigen Dienstleistungen zu konkurrenzfähigen Preisen bedient. Wir erweitern beispielsweise unser Produktangebot um neue Altersvorsorgelösungen und die Absicherung gegen Cyberrisiken.

Auf welche Märkte weltweit fokussiert sich die Allianz schwerpunktmäßig?

Entwickelte Märkte, in denen wir Größenvorteile erzielen können, sind für uns genauso interessant wie die sogenannten Wachstumsmärkte, bei denen wir auf den Erfahrungen an anderer Stelle oder auf technologischen Innovationen aufbauen können. Der Fokus liegt auf kapitaleffizientem cash-flow-generierendem Geschäft. Knapp die Hälfte unseres operativen Ergebnisses 2016 stammt aus der Schaden- und Unfallversicherung, mehr als ein Drittel aus der Lebens- und Krankenversicherung und ein Fünftel aus der Vermögensverwaltung.

Sie investieren in Windparks und Solarparks. Ist das ein ertragreiches Investment und wie stark soll das ausgebaut werden?

Selbstverständlich müssen sich auch Investitionen in erneuerbare Energien rechnen. Aufgrund der rückläufigen Energiepreise und Inflationserwartungen haben sich die Renditeerwartungen von Wind- und Solarparks in den letzten Jahren reduziert. Mit vier bis sechs Prozent - je nach Land und Währung - sind die Renditen aber immer noch attraktiv. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die spezifischen Risiken dieser Investments wenig oder nicht korreliert sind mit anderen Kapitalmarktrisiken.

Zusätzlich freut uns natürlich, dass wir mit diesen Investments unserer sozialen Verantwortung gerecht werden und die weltweiten Klimaziele unterstützen. Sofern die Preise für Wind- und Solarfarmen attraktiv bleiben, werden wir diese Anlagen im Wert von heute rund vier Milliarden Euro weiter ausbauen.

Sie beteiligen sich über ein Konsortium an italienischen Autobahnen. Ist das ein Vorbild für Deutschland, und wofür würden Sie sich hier interessieren?

Wir sehen große Vorteile in sogenannten ÖPP-Modellen, d.h. Partnerschaften zwischen öffentlichen Institutionen und privaten Investoren. In vielen Ländern Europas haben wir auf dieser Basis bereits Autobahnen und andere öffentliche Infrastruktur finanziert. Ich persönlich bin immer wieder erstaunt darüber, dass private Investitionen in öffentliche Infrastruktur in Deutschland so kritisch gesehen werden.

Infrastrukturprojekte ist ein neues Zauberwort. Wie stark engagieren Sie sich bereits, und wo wollen Sie hin?

Wir haben über zehn Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte investiert, entweder als Eigen- oder als Fremdkapitalgeber. Allein 2016 haben wir unsere Anlagen in Infrastruktur um rund vier Milliarden EUR erhöht. Die Beispiele reichen vom Bau eines komplett neuen Abwasserkanals in London unter der Themse über Nahverkehrssysteme in Spanien bis zu Gasleitungen und Stromnetze in vier europäischen Ländern. Wir wollen diese Anlagen weiter spürbar ausbauen. Um wieviel ist schwerer zu sagen; dies kommt auf die verfügbaren Projekte und die Preise an.

Was hat der Milliardenrückkauf eigener Aktien für einen Sinn?

Ganz einfach: Wir geben Eigenkapital an unsere Aktionäre zurück, das wir nicht brauchen. Die zurückgekauften Aktien werden eingezogen.

Der weltweite Versicherungsmarkt wird immer stärker durch staatliche Restriktionen geprägt. Hat die Allianz darauf eine Antwort?

Wir sind es von jeher gewohnt, in stark regulierten Bereichen zu arbeiten. Regulierung schreckt uns also nicht, viel wichtiger ist, dass sie dem Kunden nützt. Das gelingt manchmal besser, manchmal schlechter.

Die Allianz ist sehr erfolgreich in der Türkei. Ein Modellprojekt für andere Länder und ggf. warum?

Ja, dort wurden mit Hilfe neuer Technologien sehr attraktive Produkte und Serviceleistungen entwickelt, die unsere Kunden sehr gut angenommen haben. Wir haben aber nicht nur die Türkei, sondern auch zahlreiche andere Gesellschaften in allen Geschäftssegmenten, die in dieser Hinsicht sehr erfolgreich sind. Hierzu zählt insbesondere unsere größte Gesellschaft, die Allianz Deutschland. Dass innerhalb des Konzerns von den erfolgreichen Einheiten gelernt wird, ist Teil des „ Blauen Gens“ und einer der wesentlichen Faktoren unseres Erfolgs.

Brexit, Trump, Naher Osten, Südostasien. Wie stark beeinflussen diese Unruheherde Ihr Geschäft?

Politische Unwägbarkeiten und makro- oder geldpolitische Unsicherheiten belasten die wirtschaftliche Entwicklung. Hierunter leidet insbesondere das Wachstum und die Investitionstätigkeit. Zudem werden Schwankungen an den Kapitalmärkten verstärkt – oder aufgrund billigen Geldes etwa auch abgeschwächt. In diesem Umfeld ist es wichtig, über ein gut diversifiziertes Portfolio von Geschäften zu verfügen – und finanzielle Stärke sowie Widerstandskraft. All das hat die Allianz.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen

 

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