Vier Euro-Argumente, auf die Sie nicht hereinfallen sollten

Dr. Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE, macht einen Streifzug durch unsere Talkshow-Debatten. 

Zuerst erschienen am 06. April 2013 in „Die Welt“

 

Die Geschehnisse in Zypern haben erneut die Komplexität der Banken- und Staatsschuldenkrise aufgezeigt. In der öffentlichen Meinung der Bevölkerung des Inselstaats, aber auch anderer Länder wie Griechenland, waren mit der EU oder der Bundesrepublik Deutschland schnell die Schuldigen ausgemacht worden. Aber auch in der medialen Debatte in Ländern wie Deutschland sind unzulässige didaktische Vereinfachungen an der Tagesordnung. Oft werden Tatsachen auf den Kopf gestellt und irreführende Thesen in endloser Schleife von Talkshow zu Talkshow wiederholt. Gehaltvolle Diskussionen werden damit unterbunden. Einige Kostproben dieser verdrehten „Killerargumente“:

Dass die Rettungsschirme der EU gar nicht zum Schutz der Bürger, sondern allein zum Schutz der Banken und der Finanzhaie aufgespannt worden sind, scheint allgemein akzeptiert zu sein, selbst bei manchen bürgerlichen Politikern. Richtig? Nein, falsch! Soweit Gelder der Rettungsschirme für die Stabilisierung von Banken verwendet werden, ist das im ureigensten Interesse des Bürgers und geschieht seinetwegen. Der gewaltige Protest der Menschen in Zypern ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Allgemeinheit von Bankenpleiten betroffen ist. Die begrenzte und an Bedingungen geknüpfte Verwendung von EU-Geldern für die Bankenstabilisierung ist daher sinnvoll. Die Schuldfrage, wer für die Probleme eigentlich verantwortlich ist, erhitzt zu Recht die Gemüter, führt aber mitten in einer Vertrauenskrise nicht zu einer Lösung des Problems. Was passieren kann, wenn man kategorisch die Rettung von Banken ausschließt, zeigt der Fall der Investmentbank Lehman, der die schärfste Rezession weltweit seit den dreißiger Jahren auslöste, in deren Verlauf Millionen Menschen ihre Arbeit verloren und Einkommen und Vermögen drastisch zurückgingen. Die europäischen Rettungsschirme haben ein zweites Lehman verhindert und damit auch den Bürger geschützt. Außerdem ist zu sehen, dass der Einsatz von Rettungsschirmen zur Verhinderung von Staatspleiten nicht nur die Finanzinstitute schützt, sondern eben auch die Vermögen von Kleinsparern. Direkt dürften die privaten Sparer im Euroraum Staatsanleihen von 800 Mrd. Euro halten, noch größere Summen kommen durch Investmentfonds, Pensionseinrichtungen und Lebensversicherungen hinzu. Der kleine Sparer hat also etliche Karten im Spiel. 

Die Rettungsschirme der EU sind nicht allein für die Banken aufgespannt worden. Sie schützen alle Bürger.
Die Rettungsschirme der EU sind nicht allein für die Banken aufgespannt worden. Sie schützen alle Bürger.

So wie in manchen Krisenländern die deutsche Politik gerne für die Probleme verantwortlich gemacht wird, wird in unseren Talkshowdebatten regelmäßig behauptet, dass der deutsche Arbeitnehmer die Zeche für die Schuldenexzesse im Süden zahlt. Dabei wird nicht erwähnt, dass bislang keine Transfers von Steuergeldern zwischen den Euroländern geflossen sind, sondern lediglich Haftungsrisiken eingegangen wurden. Selbst in der Umschuldung Griechenlands hat der öffentliche Sektor – also der Steuerzahler – nicht verzichten müssen. Das ist auch richtig so. Auch die Arbeitsmarktzahlen geben es nicht her, den deutschen Arbeitnehmer zum Verlierer zu stempeln. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland ist derzeit um 1,3 Millionen höher als Ende 2009, dem Beginn der Schuldenkrise. Oder haben deutsche Arbeitnehmer heute eine höhere Abgabenquote zu tragen als damals? Auch hier eine Fehlanzeige. Die Botschaft mit dem „Zeche zahlen“ kann also nur auf die Zukunft gerichtet sein. Angesichts der unbestreitbaren Anpassungserfolge in den südeuropäischen Ländern ist dies kaum mehr als ein Kassandraruf.

Der deutsche Arbeitnehmer zahlt die Zeche für die Schuldenexzesse im Süden nicht. Bislang sind keine Transfers von Steuergeldern zwischen den Euroländern geflossen.
Der deutsche Arbeitnehmer zahlt die Zeche für die Schuldenexzesse im Süden nicht. Bislang sind keine Transfers von Steuergeldern zwischen den Euroländern geflossen.

Um die These dennoch zu belegen, findet sich In nahezu jeder öffentlichen Diskussionsrunde jemand mit dem lapidaren Hinweis, dass die Schulden der Problemländer sowieso irgendwann gestrichen werden müssen – also besser gleich. Gerade wer die Belastungen des „kleinen Mannes“ beklagt, sollte sich mit solchen Forderungen zurückhalten. Ein Schuldenschnitt für größere Länder wäre eine Vermögensvernichtung sondergleichen und würde die ganze Eurozone in eine lang anhaltende Rezession ziehen. Die bessere Alternative ist es, die Regierungen zum Sparen anzuhalten und gleichzeitig wirtschaftspolitische Reformen einzufordern, die wieder Wachstum erzeugen. Aber auch dies wird vielfach mit dem Verweis auf eine unvermeidbare Abwärtsspirale durch die sogenannte Austeritätspolitik weggewischt, Natürlich reicht Sparen alleine nicht, es muss begleitet sein von Strukturreformen. Viele Länder haben in der Vergangenheit bewiesen, dass dies zum Erfolg führt und viele europäische Länder folgen derzeit genau diesem Rezept. Sie haben damit bereits ihre Exporte gesteigert und außenwirtschaftlichen Defizite weitgehend beseitigt, ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert und ihre Fiskaldefizite trotz rezessiver Entwicklung erheblich reduziert. Damit haben sie die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum gelegt, das in diesem, spätestens im nächsten Jahr auch zurückkehren wird.

Wie wäre es mit einem Schuldenschnitt? Für größere Länder wäre das eine Vermögensvernichtung sondergleichen und würde die ganze Eurozone in eine lang anhaltende Rezession ziehen.
Wie wäre es mit einem Schuldenschnitt? Für größere Länder wäre das eine Vermögensvernichtung sondergleichen und würde die ganze Eurozone in eine lang anhaltende Rezession ziehen. 

Wenn die Aussichtslosigkeit der Situation verdeutlicht werden soll, wird zuweilen zu drastischen Bildern gegriffen: Der Euro sei wie ein aneinander gekoppelter Zug. Wenn ein Wagen schneller fährt als ein anderer, muss alles auseinander fliegen, weil keine flexiblen Stoßdämpfer (sprich: Wechselkurse) vorhanden sind. Klingt überzeugend? Ist aber falsch. Sehr unterschiedliche Wirtschaftsregionen können durchaus mit einer Währung fahren – siehe die Vereinigten Staaten von Amerika. Worauf es ankommt, ist eine angemessene politische Reaktion, Lohnflexibilität, Mobilität von Arbeitskräften und Kapital sowie eine gute regionale Standortpolitik.

 

Mit allzu einfachen Wahrheiten ist also Vorsicht geboten. Es gibt genügend Probleme, die einer sachlichen Diskussion bedürfen. Welche Reformen bringen Wachstum, wie stark sollte das Sparen forciert werden, wie kann die Architektur des Euroraumes verbessert werden und wie verhindert man Trittbrettfahrerverhalten in Zukunft? Leider kommen solche Fragen in unseren Talkshows allzu selten vor.

Der Euro ist kein Zug, dessen Waggons alle mit der selben Geschwindigkeit fahren müssen, damit er nicht auseinander bricht.
Der Euro ist kein Zug, dessen Waggons alle mit der selben Geschwindigkeit fahren müssen, damit er nicht auseinander bricht.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

 

Lorenz Weimann
Allianz SE
Tel. +49.89.3800-16891
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