„Er konnte viel, aber nicht genug“

Die elfte Allianz-Gastprofessorin für jüdische und islamische Studien, Prof. Dr. Shulamit Volkov, zählt zu den bedeutendsten Historikerinnen auf dem Gebiet der deutsch-jüdischen Geschichte. In ihrer Antrittsvorlesung an der Ludwig-Maximilians-Universität München sprach sie über „Waghalsige Politik oder Schlafwandel? Mit Walther Rathenau durch den Ersten Weltkrieg“.

 

„Er konnte viel, aber nicht genug.“ Shulamit Volkov muss fast ein wenig lachen, als sie diese Worte wählt. Weil sie sich einfach anhören, aber trotzdem so treffend zusammenfassen, was die neue Allianz-Gastprofessorin in der letzten Stunde diskutiert hat. In ihrem Vortrag zeichnet sie das Portrait eines umstrittenen Politikers, eines großen Industriellen, vor allem aber das einer gespaltenen Persönlichkeit.

 

Walther Rathenau entstammt einer angesehenen jüdischen Familie, sein Vater Emil gründet 1883 die „Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektricität“ (später AEG). Obwohl die Familie zur gesellschaftlichen Elite gehört, ist sie oft antisemitischen Stimmungen ausgesetzt, worunter besonders Walther Rathenau sein Leben lang leidet. So wird er zitiert: „In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Male voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann.“

 

Ein „unnützer und grundloser Krieg“

 

Sein schwieriges Verhältnis zur eigenen Identität spiegelt sich auch in seiner zwiespältigen Einstellung zu Krieg und Patriotismus wieder. „Ihm selbst war nicht zuletzt durch sein Judentum eine große militärische Karriere verwehrt geblieben“, schlussfolgert Volkov. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 ist Rathenau noch überzeugt, dass sich dieser aus seiner Sicht „unnütze und grundlose Krieg“ vermeiden ließe. Er kritisiert den Enthusiasmus der Bevölkerung und bezeichnet die Regierung als „Schlafwandler“.

 

Ungeachtet dessen treiben seine großen Ambitionen, die durch die hohen Erwartungen seines Vaters noch verstärkt werden, auch seine politische Karriere voran. Noch im Jahr des Kriegsbeginns legt er der preußischen Regierung seine Pläne für die Einrichtung einer Kriegsrohstoffabteilung (KRA) vor. Die großen Erfolge, die das Ministerium dann unter seiner Führung erzielt, bringen Walther Rathenau jedoch in ein Dilemma, so Shulamit Volkov: „Seine Arbeit sicherte Deutschlands Überleben und führt damit zur Verlängerung eines Krieges, den er selbst nie wollte.“

 

„Rathenau war oft beleidigt“

 

Nach Kriegsende wird Rathenau 1922 schließlich Außenminister der Weimarer Republik. Eine starke Rolle Deutschlands ist ihm wichtig, sein Verhältnis zum Patriotismus jedoch schwierig. Er pflegte schon vor seiner Amtszeit eine gewisse Nähe zur politischen Elite und war gleichzeitig ihr größter Kritiker. Rathenau war eigensinnig und provokant: „Er war oft beleidigt“, merkt Volkov mit einem Augenzwinkern an.

 

Dieser Politikstil macht ihn zum Ziel zahlreicher Drohungen, sein Leben führt Rathenau aber normal weiter und verzichtet auf Polizeischutz. Im Sommer 1922 wird er Opfer eines tödlichen Anschlags der rechtsextremistisch-nationalistischen Organisation Consul.

 

Rathenaus impulsives, unvernünftiges, aber oft auch sehr verletzliches Wesen stand immer in starkem Kontrast zu seinem politischen Auftreten: hier agiert er zurückhaltend, kontrolliert und vorausschauend. Shulamit Volkov: „Rathenau hatte mehr Sicht, aber auch sein Einfluss war begrenzt, seine Vernunft nicht ausreichend“. Er konnte eben viel, aber nicht genug.

Prof. Dr. Shulamit Volkov wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie dem Förderpreis der Münchner Stiftung Historisches Kolleg.
Prof. Dr. Shulamit Volkov wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie dem Förderpreis der Münchner Stiftung Historisches Kolleg.

Die Allianz Gastprofessur für Islamische und Jüdische Studien an der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington ins Leben gerufen und erstmals im Sommer 2003 besetzt. Ziel dieser Stiftungsprofessur ist die Förderung des Dialogs zwischen den Kulturen und eine Stärkung des Verständnisses für die islamische und jüdische Kultur. Das entscheidende Motiv für die Aufnahme des Engagements war die Überzeugung, dass viele der aktuellen internationalen Konflikte durch mangelndes Verständnis für Kulturunterschiede verschärft werden. Die Gastprofessur wird als Forum für Gastprofessoren zur Verfügung gestellt, die Interesse am interkulturellen Dialog auch über die Grenzen der Universität hinaus zeigen. Generell lehrt abwechselnd jeweils ein Professor für jüdische und ein Professor für islamische Studien für jeweils ein Semester.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

 

Nicolai Tewes
Allianz SE
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