Höchste Zeit für eine intelligentere Zusammenarbeit gegen steigende Hochwasserrisiken

Überschwemmungen - insbesondere solche, die durch starke Regenfälle verursacht werden - können überall auftreten und gehören damit zu den häufigsten Naturkatastrophen auf unserer Erde. Die Schäden, die durch diese extremen Wetterereignisse entstehen, sind bitter und belaufen sich auf mehrere Milliarden. 

Zwischen 1980 und 2019 beliefen sich die Überschwemmungsschäden auf 1.092 Milliarden Dollar, wovon nur 12 % versichert waren1. Wer das nicht selbst erlebt hat, kann sich das Ausmaß der Verwüstung nur schwer vorstellen - nicht nur während des Hochwassers, sondern auch in den Monaten, Wochen und manchmal Jahren danach. Dabei sind die Zerstörungen nach Überschwemmungen beispiellos:. Häuser, wertvoller Besitz, Existenzen und auch Menschenleben können hierdurch vernichtet werden.

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Die erschütternden Bilder sind bekannt: Fahrzeuge, die in den Fluten versinken, Felder, die sich in Seen verwandeln und zerstörten Überreste von Straßen und Brücken. Im Sommer 2021 schaute die Welt ungläubig zu, als extreme Regenfälle in ganz Europa zu katastrophalen Überschwemmungen führten. Überschwemmungen und andere extreme Wetterereignisse gab es schon früher, doch der Klimawandel verschlimmert die Situation deutlich.

Wenn die Menschheit die Erwärmung unseres Planeten im derzeitigen Tempo fortsetzt, werden zunehmende Niederschläge, trockenere Sommer und steigende Meeresspiegel wahrscheinlich das Risiko katastrophaler Überschwemmungen in vielen Gebieten erhöhen. Laut dem Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change 2021) wird das Versäumnis, die Menge des in die Erdatmosphäre ausgestoßenen Kohlendioxids zu reduzieren, zu Klimabedingungen führen, wie sie seit Tausenden, wenn nicht Hunderttausenden von Jahren nicht mehr vorgekommen sind. Es ist klar, dass wir einen Klimanotstand erleben, und Katherine Wenigmann, Expertin für Naturkatastrophenrisiken bei der Allianz Rückversicherung, glaubt, dass sich die Situation weiter verschärfen wird. "Ereignisse wie die Überschwemmungen im Juli 2021 werden aufgrund des Klimawandels wahrscheinlich häufiger auftreten. Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Wasserdampf speichern, was die Wahrscheinlichkeit von starken Regenfällen erhöht." Unter Berücksichtigung eines Szenarios mit hohen Emissionen (4,3°C globale Erwärmung) wird das Potenzial für starke Regenfälle aufgrund von langsam ziehenden Stürmen bis zum Jahr 2100 in ganz Europa voraussichtlich 14 Mal häufiger auftreten2.

"Die Hochwasserrisikolandschaft, die bisher durch historische und staatliche Hochwasserkarten und bis zu einem gewissen Grad durch lokales Wissen definiert war, wird durch unberechenbare und noch nie dagewesene Wettermuster in Frage gestellt", fügt Boris Gao, Senior Risk Consultant bei Allianz Global Corporate & Speciality, hinzu. "Was wir als 'normal' akzeptiert haben, wird durch den Klimawandel, die schnellen Urbanisierung und das Bevölkerungswachstum in Frage gestellt."

Warum konnten wir durch die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Wetterdienste, die Überschwemmungen manchmal schon Tage im Voraus vorhersagen können, die katastrophalen Situationen und Verluste der letzten Zeit nicht vermeiden?

Viele Gemeinden und Behörden missverstehen das lokale Risiko oder spielen es herunter. Daher sind sie nicht darauf vorbereitet, angemessen auf die Auswirkungen der Überschwemmungen zu reagieren. Erschwerend kommt hinzu, dass das Bewusstsein hierzu in vielen Gemeinden nach wie vor gering ist. Haus- und Geschäftsbesitzer versäumen es oft, eine angemessene Versicherung abzuschließen, so dass sie im Katastrophenfall niemanden haben, an den sie sich wenden können. Einem neuen Bericht zufolge, der von unserer Tochtergesellschaft LV= General Insurance in Auftrag gegeben wurde, sind die Menschen selbst dort, wo das Bewusstsein vorhanden ist, aufgrund der Lebenshaltungskostenkrise nicht bereit, in einen Versicherungsschutz zu investieren und ihre Häuser hochwassertauglich zu machen.

Noch schlimmer ist die Situation in sozialschwachen  Bevölkerungsgruppen. "Diese Gruppen brauchen oft sehr, sehr lange, um sich von den Übrschwemmungen zu erholen", sagt Daniel Kahl, Doktorand am University of California Flood Lab und Finalist des jüngsten Allianz Climate Risk Research Award. "Es ist wichtig, solche Ungleichheiten zu erkennen und neue Instrumente zu entwickeln, um sie zu beseitigen."

Dass all dies Auswirkungen auf die Art und Weise hat, wie Versicherer ihr Geschäft betreiben, ist offensichtlich. "Durch den Klimawandel betrachten wir die physischen Risiken für unsere Kunden anders", sagt Holger Tewes-Kampelmann, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE Reinsurance. "Unsere Aufgabe in der Versicherungsbranche ist es, sicherzustellen, dass wir eine gründliche und sorgfältige Risikobewertung durchführen, die Hand in Hand mit Maßnahmen zur Risikominderung geht, um unser Geschäftsmodell nachhaltig zu halten." 

Der zweite Platz beim Allianz Climate Risk Award 2022 ging an Daniel Kahl für seine Arbeit zur Kombination von Hochwassermodellen mit der Gefährdung der Bevölkerung. 
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Zwei Dinge sind klar:

  • Der Klimawandel schafft Risiken in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Zwar müssen die Versicherer weiterhin Deckungsoptionen auf der Grundlage genauer Risikobewertungen in und außerhalb von Überschwemmungsgebieten fördern und entwickeln, doch damit endet die Bestimmung der Versicherungsunternehmen nicht. 
  • Extreme Wetterereignisse lassen sich nicht verhindern, aber das Ausmaß ihrer Auswirkungen kann deutlich verringert werden. Entscheidend ist, dass man vorbereitet ist, um den Verlust von Menschenleben und Eigentum zu minimieren. 

Laut Prof. Dr. Michael Kunz, Sprecher für Katastrophenmanagement und Risikoreduktion am Karlsruher Institut für Meteorologie und Klimaforschung, geht es darum, die Resilienz zu erhöhen. "Ein wesentlicher Bestandteil der Resilienz ist die Risikokompetenz jedes Einzelnen, die im Katastrophenfall zu einem schnellen und angemessenen Handeln der Bevölkerung führt. Der Erwerb von Risikokompetenz beginnt in der Schule, sollte aber auch in den Dialog der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Interessengruppen einfließen - und natürlich in den Versicherungssektor", sagt Kunz3.

Eine langfristige Sichtweise, die Christopher Townsend, Mitglied des Vorstands der Allianz SE, teilt. "Es liegt in der Tat in unserer Verantwortung als Versicherungsunternehmen, die lokalen Risiken zu verstehen, damit wir sie nachhaltig versichern und die Gesellschaft und unsere Kunden beraten können, um die Widerstandsfähigkeit zu stärken. Deshalb erforschen und analysieren unsere Experten weltweit die Risikoprofile von Naturkatastrophen in allen Ländern, in denen wir tätig sind."

Letztendlich ist es eine Kombination aus Versicherung und Vorsorge, die die Gesellschaften langfristig schützen wird, insbesondere im Hinblick auf einen langen Kampf gegen den Klimawandel. Für Klaus-Peter Roehler, Mitglied des Vorstands der Allianz SE, ist klar, dass eine intelligente Zusammenarbeit unerlässlich ist. "Eine tragfähige Lösung erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, aber auch auf der Ebene des Einzelnen", sagt Roehler. "Sie muss Elemente wie individuelle Prävention, intensiven Hochwasserschutz, ein Umdenken in der Bau- und Flächennutzungsplanung, Warn- und Rettungssysteme sowie Versicherungslösungen für die breite Bevölkerung und deren Bezahlbarkeit beinhalten. Politische Unterstützung ist vor allem bei Starkregen- und Überschwemmungsrisiken unerlässlich. Hier spielen strenge Baubeschränkungen in Überschwemmungsgebieten eine zentrale Rolle, ebenso wie Hochwasserschutz und Flussgebietsmanagement".

Roehlers Anmerkungen zu den Baubeschränkungen sind für das Vereinigte Königreich besonders relevant.Gerade hier sind schon sehr viele Überschwemmungen aufgetreten., Allein in England verursachen diese  schätzungsweise 1,1 Milliarden Pfund Schaden pro Jahr, und LV= General Insurance zahlt im Durchschnitt 32.000 Pfund für jeden  Überschwemmungsschaden aus. Im Vereinigten Königreich wird die Überschwemmungsgefahr nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch den wachsenden Bedarf an Wohnraum verschärft. Mehr Bebauung bedeutet Bodenversiegelung, da Grünflächen mit Straßen und Gebäuden überbaut werden. Regen, der auf diese versiegelten Flächen fällt, fließt direkt in die bereits überlasteten Abwassersysteme und Flüsse, was die Überschwemmungsgefahr weiter erhöht, falls keine Abhilfemaßnahmen getroffen werden. In England sind solche Maßnahmen für Bauvorhaben mit weniger als neun Häusern nichtverpflichtend. Das Überschwemmungsrisiko durch Oberflächenwasser ist besonders schwer zu managen, wenn man sich vor Augen führt, dass jedes sechste Haus im Land bereits von Überschwemmungen bedroht ist, und unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit eines ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatzes.

Martin Milliner, Claims Director bei LV= General Insurance, sagt: "Unser aktueller Bericht zeigt beachtenswerte Probleme auf, die immer mehr Gemeinden gefährden, und es ist entscheidend, dass Bauträger, Versicherer und lokale Behörden zusammenarbeiten, um diese wichtige Herausforderung anzugehen."

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LV= hat in Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin Gaby Blackman und der Überschwemmungsexpertin Dr. Jess Neumann ein "Hochwassersicheres Haus der Zukunft" entworfen, um zu zeigen, welche  Auswirkungen  die Überschwemmungen in den nächsten 50 Jahren in Großbritannien haben werden. Der Entwurf zeigt, welche besonderen Eigenschaften die Häuser der Zukunft haben müssen, um sich gegen das Hochwasserrisiko zu schützen. "Es liegt auf der Hand, dass die Installation solch ausgeklügelter Hochwassersicherungen für die meisten Hausbesitzer praktisch und finanziell nicht in Frage kommt. Daher ist es wichtiger denn je, dass wir das Problem bekämpfen, bevor solche extremen Maßnahmen notwendig werden", sagt Milliner.

Townsend fügt hinzu: "Die jüngste Arbeit von LV= General Insurance im Vereinigten Königreich ist beispielhaft. Während wir weiter an Vorsorge und nachhaltigen Versicherungslösungen als Reaktion auf den Klimawandel arbeiten, dürfen wir nie unsere Verantwortung zur Bekämpfung der globalen Erwärmung aus den Augen verlieren. Wir bei der Allianz wissen, dass der Klimawandel unser Geschäft und das Leben unserer Kunden stark beeinträchtigen wird. Wir arbeiten daran, den Klimaschutz in alle unsere Kernaktivitäten zu integrieren, und berücksichtigen systematisch Nachhaltigkeitskriterien in unserem Versicherungs- und Investmentgeschäft."

Die Allianz Gruppe zählt zu den weltweit führenden Versicherern und Asset Managern und betreut rund 125 Millionen* Privat- und Unternehmenskunden in knapp 70 Ländern. Versicherungskunden der Allianz nutzen ein breites Angebot von der Sach-, Lebens- und Krankenversicherung über Assistance-Dienstleistungen und Kreditversicherung bis hin zur Industrieversicherung. Die Allianz ist einer der weltweit größten Investoren und betreut im Auftrag ihrer Versicherungskunden ein Investmentportfolio von etwa 764 Milliarden Euro**. Zudem verwalten unsere Asset Manager PIMCO und Allianz Global Investors etwa 1,8 Billionen Euro** für Dritte. Mit unserer systematischen Integration von ökologischen und sozialen Kriterien in unsere Geschäftsprozesse und Investitionsentscheidungen sind wir unter den führenden Versicherern im Dow Jones Sustainability Index. 2023 erwirtschafteten über 157.000 Mitarbeiter für den Konzern einen Umsatz von 161,7 Milliarden Euro und erzielten ein operatives Ergebnis von 14,7 Milliarden Euro.
* Einschließlich nicht konsolidierter Einheiten mit Allianz Kunden.
** Stand: 30. September 2024
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:
„Es ist wichtig, mit unseren Kunden beim Hochwasserschutz zusammenzuarbeiten“

Sibylle Steimen, Managing Director Advisory & Services bei Allianz Re, leitet ein Team von über 40 Wissenschaftlern im Bereich Katastrophenmanagement. Sie promovierte in Seismologie am Schweizerischen Seismologischen Institut. Wir sprachen mit ihr über die jüngsten Überschwemmungen in Süddeutschland.

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