Ein Interview mit Carsten Quitter, Group CIO
Investieren in die Energieautobahn: Die Allianz und die Energiewende
NeuConnect ist eine Verbindungsleitung, eine Struktur, die den Stromfluss zwischen zwei getrennten Stromnetzen ermöglicht, und es ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Projekt. Dabei werden Unterseekabel zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich verlegt, um eine unsichtbare Energieautobahn zu schaffen, die zum ersten Mal eine direkte Stromverbindung zwischen zwei der größten Energiemärkte Europas herstellt. Es ist ein historisches Projekt.
Nach seiner Fertigstellung wird NeuConnect eine 725 km lange Strecke zwischen Kent im Südosten Englands und Wilhelmshaven in Norddeutschland umfassen und damit eines der größten Verbundprojekte der Welt sein. Bis zu 1,4 Gigawatt (GW) werden in beide Richtungen zwischen den beiden Ländern fließen können, was genug Strom für bis zu 1,5 Millionen Haushalte ist.
Welche Probleme werden mit NeuConnect angegangen?
Die Widerstandsfähigkeit der Energieversorgung und eine verbesserte Sicherheit der Stromversorgung. Die Regierungen im Vereinigten Königreich und in Europa haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um bis zum Jahr 2050 "Netto-Null-Emissionen" zu erreichen. Das bedeutet, dass von treibhausgasemittierenden Energiequellen wie Kohle auf erneuerbare Energien wie Wind und Sonne umgestellt wird.
Chief Investment Officer, Allianz Group
Verbindungsleitungen tragen zur Integration erneuerbarer Energien in das britische und europäische Energiesystem bei, indem sie die gemeinsame Nutzung kohlenstoffarmer Elektrizität in einem größeren geografischen Rahmen ermöglichen. Es gibt Tage, an denen der Wind in Deutschland nicht weht, sich aber die Windturbinen in England heftig drehen und übermäßige Mengen an Strom erzeugen, die nicht gespeichert werden können. Genauso kann es aber sein, dass die Sonne in Deutschland scheint, während der Himmel über England bewölkt und dunkel ist.
NeuConnect wird es beiden Ländern ermöglichen, die überschüssige Energie des jeweils anderen Landes kostengünstig anzuzapfen, um eine sicherere und widerstandsfähigere Energieversorgung zu gewährleisten, während wir die Energiewende vorantreiben, um bis 2050 einen kohlenstofffreien Ausstoß zu erreichen. Insgesamt wird sich der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in beiden Ländern erhöhen und gleichzeitig die Sicherheit der Energieversorgung verbessern.
Es ist interessant, dass das Vereinigte Königreich ein so großes Projekt mit Deutschland in Angriff nimmt, wo doch in den letzten Jahren der Trend dahin ging, sich vom Kontinent zurückzuziehen.
NeuConnect ist nicht nur ein wichtiges neues Stück Energieinfrastruktur, sondern auch ein symbolträchtiges Bindeglied zwischen diesen beiden großen Volkswirtschaften, das zeigt, wie ein gemeinsames Vorgehen bei der Bewältigung gemeinsamer Probleme allen Beteiligten zugute kommen kann. Mit Kosten von 2,8 Mrd. EUR (2,4 Mrd. GBP) ist NeuConnect das größte deutsch-britische Infrastrukturprojekt, das jemals durchgeführt wurde. Auch wenn sich das Vereinigte Königreich für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden hat, deckt der Verbund mit der EU 9,1 % des Strombedarfs des Landes im Jahr 2021, so dass das Land weiterhin Stromhandel betreiben muss.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass NeuConnect eine privat finanzierte Verbindungsleitung ist, die eine Gruppe internationaler Investoren zusammenbringt. Allianz Capital Partners leitet NeuConnect im Namen der Allianz-Versicherungsgesellschaften. Die anderen beteiligten Partner sind Meridiam, ein in Paris ansässiger Investor und Vermögensverwalter, Kansai Electric Power, ein Stromversorgungsunternehmen aus Japan, und ein Konsortium aus 20 nationalen und internationalen Banken, darunter die Europäische Investitionsbank und die Japanische Bank für Internationale Zusammenarbeit. Es handelt sich also um ein globales Projekt.
Und was sind die Vorteile von NeuConnect?
NeuConnect bringt eine ganze Reihe von Vorteilen für Deutschland und das Vereinigte Königreich und ganz allgemein für die europäischen Strommärkte. NeuConnect wird Energieflexibilität bieten, um die jährlichen Emissionen zu senken, indem es fossil befeuerte Energiequellen verdrängt.
Eine unabhängige Analyse schätzt, dass NeuConnect durch die Integration erneuerbarer Energiequellen in Deutschland und im Vereinigten Königreich über einen Zeitraum von 25 Jahren mehr als 13 Millionen Tonnen (Megatonnen) Kohlendioxidäquivalent (MTCO2 Eq) einsparen und gleichzeitig bis zu 1,5 Millionen Haushalte mit Strom versorgen wird. Dies entspricht der Einsparung von rund 325 000 Autos oder der Pflanzung von 23 Millionen Bäumen in einem Jahr.
Außerdem tragen die Verbindungsleitungen aus Sicht der Verbraucher zu niedrigeren Strompreisen bei, da sie die Energie effizient über eine größere Fläche verteilen. Die Analyse zeigt, dass das Projekt allein für die britischen Kunden in den nächsten 25 Jahren Vorteile in Höhe von über 1,7 Mrd. GBP bringen wird.
In der Pressemitteilung zu dem Projekt wurde das Wort Greenfield, "grüne Wiese", hervorgehoben. Was ist das und warum ist es wichtig?
Greenfield bezeichnet ein Projekt, das bei Null anfängt, bei dem es zum Beispiel keine vorherige Infrastruktur oder Gebäude gibt. Wir haben 2017 mit der Entwicklung von NeuConnect begonnen, als es noch nicht einmal auf dem Papier existierte, geschweige denn eine Kabelinfrastruktur vorhanden war.
Für die Allianz ist es relativ neu, sich an Greenfield-Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien zu beteiligen. Wir haben 2005 in unseren ersten Windpark in Francofonte, Italien, investiert und unser Portfolio an erneuerbaren Energien seither stetig erweitert. Derzeit sind wir an mehr als 100 Wind- und Solarparks in zehn europäischen Ländern sowie in Großbritannien und den Vereinigten Staaten mit unseren Investments beteiligt, was einer Gesamtleistung von rund 3,5 GW entspricht.
Allerdings haben wir bisher eher in laufende Wind- und Solarparks investiert. Die Allianz als Gruppe verfügt nun über die Erfahrung und das Wissen, um sich in einem früheren Stadium des Prozesses stärker zu engagieren und investiert daher in die Entwicklungs- oder Bauphase der Anlagen, um einen noch größeren Einfluss auf die Energiewende zu haben.
In der Vergangenheit hat die Allianz beispielsweise Offshore-Windkraftanlagen wegen des zusätzlichen Risikos im Vergleich zu Onshore-Windkraftanlagen gemieden. Doch Ende letzten Jahres unterzeichnete Allianz Capital Partners eine Vereinbarung über den Kauf eines 25-prozentigen Anteils an dem Windpark Hollandse Kust Zuid (HKZ). Das Projekt befindet sich in der Nordsee, vor der Küste der Niederlande. Nach seiner vollständigen Inbetriebnahme wird HKZ mit 140 Windturbinen und einer installierten Gesamtleistung von 1,5 GW der größte Offshore-Windpark der Welt sein.
HKZ war der erste Offshore-Windpark und die erste Investition der Allianz in erneuerbare Energien in den Niederlanden. Die Allianz hat investiert, weil wir die Offshore-Windkraft inzwischen als ausgereifte Technologie mit einer beachtlichen Erfolgsbilanz ansehen und weil es wichtig ist, dass mehr Kapital in die Dekarbonisierung investiert wird.
Wir gehen davon aus, dass das kontinuierliche globale Wachstum der Energienachfrage erhebliche Investitionsmöglichkeiten bietet. Die Allianz beabsichtigt, diese Chancen zu nutzen und eine wichtige Rolle bei der Energiewende zu spielen.
Was sind die nächsten Schritte?
Wir haben im Juni den Financial Close erreicht und eine Reihe von Aufträgen vergeben, so dass die Arbeiten noch in diesem Jahr beginnen werden. Die Arbeiten an den beiden Umspannwerken in Wilhelmshaven und auf der Isle of Grain, einem Dorf in Kent, sind für Anfang 2023 geplant, und die Arbeiten an den beiden Seekabeln werden im selben Jahr beginnen. NeuConnect soll bis 2028 ans Netz gehen.
2028! Das ist eine lange Zeitspanne. Ist das typisch für ein solches Projekt?
NeuConnect umfasst die Verlegung von zwei 700 km langen Unterseekabeln durch niederländische, britische und deutsche Gewässer, in denen sich einige der meistbefahrenen Schifffahrtswege der Welt befinden. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht explodierte Munition vorhanden ist. Bomben aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sind nur ein Bruchteil des gefährlichen Materials, mit dem der Meeresboden übersät ist. Bis zum Jahr 1975, als das Londoner Übereinkommen über die Meeresverschmutzung dies verbot, wurde Munition von vielen Nationen regelmäßig auf See entsorgt.
Bei einem ähnlichen Projekt wie NeuConnect, das Belgien und das Vereinigte Königreich miteinander verband, wurden 19 nicht explodierte Sprengkörper entdeckt - und das nur auf einer 130 km langen Strecke des Unterseekabels. NeuConnect muss also mit Vorsicht vorgehen. Wenn scharfe Munition gefunden wird, muss auch mit ihr sorgfältig umgegangen werden.
Carsten, vielen Dank für Ihre Zeit.
Und ich danke Ihnen.
Über die Allianz
** Stand: 30. September 2024