Dieser Artikel wurde von der Süddeutschen Zeitung am 12. Juni veröffentlicht
Wenn das Wasser abläuft, fängt die Arbeit an
Dieser Artikel wurde von der Süddeutschen Zeitung am 12. Juni veröffentlicht


Foto: Christoph von Eichhorn
Die Allianz hat mehr als 600 Experten ins Flutgebiet geschickt
Für die Versicherungsbranche ist die Flutkatastrophe eine Mammutaufgabe. „Uns wurden bereits 6000 Schadensfälle in den ersten Tagen gemeldet“, sagt Christian Krams, Schadenvorstand der Versicherungskammer Bayern, in seinem Büro in München. Eine Zahl, die die gewöhnlichen Erwartungen bei solchen Ereignissen bei Weitem übertrifft. Eine Taskforce aus rund 20 Spezialisten tagt bei der Versicherungskammer nun jeden Morgen, um die angespannte Situation zu koordinieren. 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten an den Schadensfällen der vergangenen Tage, unterstützt von Kollegen aus anderen Abteilungen.
„Bei dieser Anzahl von Schadensmeldungen müssen wir eventuell priorisieren“, erklärt Krams. Schadensfälle mit gefährlichen Gütern oder Gefahrenstoffen könnten etwa leichten Kellerüberflutungen vorgezogen werden. Die Allianz hat laut eigenen Angaben mehr als 600 Experten ins Flutgebiet geschickt, außerdem seien 6700 Trocknungsgeräte unterwegs in die Region. Läuft man heute durch den besonders betroffenen Ort Wertingen, sieht es auf den ersten Blick gar nicht mal so schlimm aus: Das Wasser ist abgelaufen, die Autos fahren wieder, die Supermärkte haben offen. Aber kaum jemand, der nicht in Gummistiefeln unterwegs ist, keine nass gewordenen Möbel nach draußen trägt, nicht putzt und Sachen aussortiert. In den Einfahrten röhren Dieselgeneratoren, stapeln sich Autoreifen, Werkzeuge und kaputte Waschmaschinen.

Foto: Christoph von Eichhorn
Viele hier rätseln, wie aus den drei Bächen, die sonst gemächlich durch den Ort plätschern, innerhalb kürzester Zeit reißende Ströme werden konnten. Praktisch alle sind sich einig: So etwas gab es noch nie. Drohnen- und Handyvideos zeigen, wie weitflächig die Kleinstadt Anfang Juni unter Wasser stand - Straßen, Supermärkte, etliche Wohnhäuser waren überschwemmt, viele Einwohner wurden mit Booten in Sicherheit gebracht.
Einen davon besucht Andreas Stoye jetzt. Hans Volpert, 69, erklärt in Arbeitskluft zur Begrüßung sein Motto: „Ich hab zwar Wasser im Haus, aber Sonne im Herzen.“ Selbst als mitten in der Nacht die Flut kam, verlor er nicht den Mut, in Wathosen versuchte er zu retten, was zu retten ist. Bis das Boot kam, um ihn aufzulesen. „Für mich der schlimmste Moment“, sagt Volpert. Bei ihm sind gleich drei Gebäude beschädigt: In sein Wohnhaus, errichtet im Jahr 1864, lief das Wasser kniehoch. Das Vorderhaus, gebaut in den 1950ern, hatte er an Gewerbekunden vermietet. Nun steht es leer, der Holzboden wölbt sich zu allen Seiten. Auch seine Garage ist beschädigt.


„Du bist Geldgeber, aber du bist auch in irgendeiner Form Psychologe ohne psychologische Ausbildung“, hatte Andreas Stoye am Morgen gesagt - ein Satz, der sich spätestens an diesem Punkt erschließt. Er hat zwar schon einige Überschwemmungen miterlebt, 2016 in Simbach, 2021 im Ahrtal. Trotzdem habe das Unglück jetzt eine besondere Dimension, findet der Allianz-Mann. „Das Ausmaß der Ausbreitung, vom Bodensee bis Passau, hat eine eigene Qualität“, sagt der 45-Jährige. Daran könne man erkennen, „wie viel von dem Kredit, den uns Mutter Natur gegeben hat, wir schon verspielt haben“.
Dass es in Deutschland vermehrt zu Extremwetterereignissen wie Sturm, Hagel, Starkregen und Hochwasser kommt, lässt sich mit hoher Sicherheit auf den fortschreitenden Klimawandel zurückführen. Vor wenigen Tagen erklärten französische Klimaforscher in einer Kurzanalyse, die Erderwärmung habe die Unwetter in Süddeutschland wahrscheinlich verstärkt. Infolge der höheren Temperaturen seien bis zu zehn Prozent mehr Niederschläge gefallen. Und die 2021 veröffentlichte Klimawirkungs- und Risikoanalyse des Umweltbundesamtes rechnet damit, dass Extremwetterereignisse insbesondere im Osten und Südwesten Deutschlands in den nächsten Jahren zunehmen. Sollte der Klimawandel weiter voranschreiten, könnten sich die Wetterereignisse laut den Autorinnen und Autoren bis zum Ende des Jahrhunderts auf das gesamte Bundesgebiet ausbreiten.

Extremwetterereignisse verursachen erhebliche Schäden an Gebäuden

Foto: Christoph von Eichhorn
Angesichts steigender Klimarisiken wird das aber kaum reichen, daher sieht das Konzept der Versicherer insgesamt drei Säulen vor: Neben Prävention und individuellen Schutzmaßnahmen zählen ein privater Versicherungsschutz und staatliche Unterstützung für extreme Naturkatastrophen dazu. Zunächst müsse man den Menschen einen geeigneten Versicherungsschutz anbieten, findet Christian Krams von der Versicherungskammer Bayern. „Es ist für mich unverständlich, dass jemand, der ein Haus besitzt, nicht entsprechend versichert ist.“ Aktuell sind in Deutschland 54 Prozent der Gebäude gegen Hochwasser und Überschwemmungen versichert. In Bayern beläuft sich die Anzahl sogar lediglich auf 47 Prozent. Wäre dann nicht die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ein probates Mittel? Nein, diesen Vorschlag halte Krams für nicht zielführend, vielmehr müsse man weitere Präventionsmaßnahmen vornehmen. Flutpolder, Überschwemmungswiesen, aber auch die Sicherung von Heizöltanks sowie stabile Kellerfenster seien notwendig, um zukünftigen Schäden vorzubeugen.
„Ich möchte nicht wissen, wie viele Schäden uns noch überrollen“, sagt Andreas Stoye am Ende eines langen Arbeitstags- und zeigt auf seinem Smartphone eine Nachricht der Stadt Wertingen, die vor Gesundheitsgefahren durch belastetes Wasser warnt. Beunruhigend findet Stoye das. Für heute ist aber erst mal Schluss. Vier Kundinnen und Kunden hat er besucht, ist durch Keller gestiefelt, hat Wände befühlt, unzählige Flutschäden fotografiert und an die 150 000 Euro überwiesen - und dafür jedes Mal Danke gehört.
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** Stand: 31. Dezember 2024